Rätselfrage: Was beginnt so winzig klein, dass man es beinahe übersehen kann – aber hat doch eine so unglaubliche Kraft in sich, dass es die Welt aus den Angeln hebt?
So wie Corona viel Angst und Sorge, Not und Unglück über die Welt gebracht hat – so will Gott mit seiner Herrschaft eine Welt des Friedens zu uns bringen.
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Wächst von selbst? Salat, Rudow, 2021. |
Manchmal kommt es vor, dass jemand dann "probeweise" in den Gottesdienst kommt oder ein Gespräch erbittet.
So kann langsam und aus kleinen Episoden eine seelsorgliche Beziehung wachsen. Und aus einer kleinen und zufälligen Begegnung ist auf diese Weise schon einige Male eine Begleitung durch die Höhen und Tiefen des Haftalltags geworden.
Gott hat den Samen seiner Herrschaft in diese Welt und in jeden von uns gesät.
In Ihnen, in mir, in jedem Menschen will er sein Reich und seine Herrschaft aufrichten.
Doch was meint er damit?
Jesus spricht in seinen
Gleichnissen durchgängig von der "basileia thou theou"
– der Gottesherrschaft, oftmals auch übersetzt mit Reich Gottes
(beide Übersetzungen sind möglich). Diese Gottesherrschaft ist, wie
es der Theologe Gerhard Lohfink ausdrückt, "das Angebot
einer unfasslichen Zuneigung und Liebe Gottes."1
Er weist auch darauf hin, dass diese Gottesherrschaft in
verschiedenen Spannungen steht:
Obwohl sie Liebe anbietet, droht
bei ihrer Verweigerung doch das Gericht.
Sie wird sich nicht erst
irgendwann ereignen, sondern schon jetzt – "sie ist nicht
über den Wolken und sie wartet nicht irgendwo in der Zukunft."
Zugleich aber ist sie noch nicht ganz da, muss noch wachsen und zur
vollen Größe reifen.
Außerdem vergleicht Jesus sie mit einem
Dieb in der Nacht – sie kommt also gegen Widerstände und "nicht
einfach so, wie in der Natur alles heranwächst, heranreift und immer
größer und mächtiger wird." Aber zugleich kann Jesus
"auch mit Bildern aus der Landwirtschaft sprechen"
wie er es im heutigen Evangelium tut.
Einerseits ist "jeder Einzelne ... zum Handeln aufgerufen", damit Gottes Herrschaft eine Realität in der Welt wird – andererseits gilt auch, "dass der Mensch das Reich Gottes nicht selbst herbeiführen kann".2
Alles wächst und gedeiht. Neukölln, 2020. |
Einige dieser Akzente finden sich auch in den heutigen Gleichnissen:
Da ist die Saat, die von selbst wächst und keine menschliche Hilfe benötigt (vv26-28), da ist der unscheinbare Anfang, der zu erstaunlicher Größe heranwächst (vv31-32)
So klein beginnt es – und so wächst Gottes Gegenwart in dieser Welt, so wird in unserem Alltag, auch hier im Knast, sein Reich mehr und mehr gegenwärtig.
Und, wie es das Gleichnis vom Senfkorn sagt: Es wird klein beginnen.
Man mag das eben Gesagte unterschätzen – und vielleicht sagen: Das soll schon Anfang des Reiches Gottes sein? Das soll ein Dienst an Gott, ein Gottes-Dienst sein?Die Antwort auf diese Fragen ist: Ja. Ja, so unscheinbar und klein beginnt es. So leicht zu unterschätzen, dass wir vielleicht die Gewalt und die Macht für größer oder sogar für besser halten als die Liebe und die Vergebung. Dass wir die Freundlichkeit und Höflichkeit für unpassender halten als das Drängeln und Motzen.
Aber wenn wir Gottes Herrschaft wirklich wachsen lassen in uns, dann wächst auch Liebe und Bereitschaft zur Vergebung, dann wachsen Freundlichkeit und zugleich Klarheit, dann wachsen Frieden und Freude. Eierkuchen dürfen später auch dazukommen.Das sagt das Evangelium, wenn es davon spricht, dass in diesem Baum, der aus dem winzigen Senfkorn gewachsen ist, "die Vögel des Himmels nisten können." (v32)
In diesem Reich Gottes kann man "nisten", sich also niederlassen, ausruhen; viele verschiedene "Vögel" oder Charaktere haben darin Platz, es ist eine einladende und angenehme Atmosphäre.
Ich lade Sie heute ein, dieses Senfkorn, das Gott in Sie hineingesät hat, wachsen zu lassen, damit das Reich Gottes auch in ihrem Leben und durch Sie mehr und mehr erfahrbar wird.
1 G.
Lohfink, Die vierzig Gleichnisse Jesu. Freiburg i.Br. 2020, 282.
2 Vgl.
alle Zitate ebd., 280.281.
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