Freitag, 20. Januar 2023

„Tut Gutes! Sucht das Recht!“ (Jes 1,17). Ein Radiobeitrag zum Ukraine-Krieg

 So ähnlich werde ich am Sonntag, 22.01.2023, um ca. 10 vor 10 morgens auf rbb 88,8 zu hören sein:

Immer wenn mir auf die Frage nach dem Kern des Christseins jemand sagt, das sei die Nächstenliebe, rolle ich innerlich ein bisschen mit den Augen. Schon wieder dasselbe – immer die eine Hohlformel, die ein ganzes Glaubenssystem eindampft auf die Aufforderung: „Seid nett zu einander!“

Das Problem ist, dass das mit der Nächstenliebe irgendwie stimmt. Aber gleichzeitig auch zu wenig ist. Denn natürlich spricht die Bibel davon, einander Gutes zu tun, und das nicht erst seit Jesus.

Autoschrott mit Blick auf die Oder.
Slubice, 2021.
Zum Beispiel im Motto der Gebetswoche für die Einheit der Christen, die gerade stattfindet. Mit einem langen Zitat aus der Bibel gibt sich die Gebetswoche ein Programm. Da heißt es: „Lernt, Gutes zu tun! Sucht das Recht! Schreitet ein gegen den Unterdrücker! Verschafft den Waisen Recht, streitet für die Witwen!“ (Jes 1,17).
Während dieser Woche beten die christlichen Gemeinden nicht in erster Linie für sich selbst, sondern sie ringen auch um eine gerechtere Gesellschaft. Bei Nächstenliebe geht es nämlich nicht nur um das Verhalten Einzelner zueinander, sondern auch um gesellschaftliche Fragen. Nett zueinander zu sein ist gut, aber es braucht mehr.

„Sucht das Recht“ ist eine bleibende Aufgabe, die in jeder Gesellschaft neu ausgehandelt werden muss. Als Christinnen und Christen machen wir uns diese Aufgabe zu eigen, weil wir überzeugt sind, dass Gott das Gute für alle Menschen will. Und dieses Gute drückt sich auch in gerechten Verhältnissen aus.

Der Nächste, den zu lieben wir aufgefordert sind, braucht oftmals eben nicht nur ein aufmunterndes Wort oder eine kleine Spende. Nein, wenn jemand unterdrückt wird oder unter seinen ganz konkreten Lebensbedingungen leidet, sollen wir auch daran arbeiten, dass diese Lebensbedingungen besser werden.

Dann wird Christsein auch eine ziemlich politische Sache. Die Bibel verwendet hier sogar das Wort „streiten“ – „Streitet für die Witwen!“ 

Das klingt ziemlich hart und gar nicht mehr so lieb und romantisch wie das Wort „Nächstenliebe“. Es zeigt sich darin jedoch der harte Realismus der Bibel, der weiß, dass einander gut sein auch bedeutet, sich für Schwache und Entrechtete einzusetzen – und gegen Unrecht aufzustehen. Und wer das tut, wird sich auch gegen Widerstände durchzusetzen haben.

Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich es als Christ für wichtig halte, die Ukraine auch militärisch zu unterstützen – dann muss ich mit Widerspruch rechnen. Und wenn ich als Gründe anführe, dass ich die Aufforderungen „Sucht das Recht! Schreitet ein gegen den Unterdrücker!“ auch so verstehe, dass wir die Ukraine in ihrem Freiheitskampf unterstützen – muss ich mit Widerspruch rechnen.

Denn „Nächstenliebe“ und „Tut Gutes“ in einen Satz zu stecken mit „Waffenlieferungen“ und „militärische Unterstützung“, das ist eine Herausforderung. Und keine kleine!

Ethisch und intellektuell ist das unbequem. Und gerade als Christ muss ich – auch vor mir selbst – immer wieder gut begründen, warum ich glaube, dass Panzer und Raketen plötzlich eine gute Sache sind.

Natürlich herrscht hier zwischen den unterschiedlichen christlichen Gemeinschaften keine Einigkeit. Und die Gefahr von mehr Waffen an Kriegsschauplätzen will ich auch gar nicht kleinreden.

Aber ich glaube, es ist wichtig, wenn diese Fragen nach dem Guten und der Gerechtigkeit von uns Christinnen und Christen nicht ausgespart werden. Sondern dass wir miteinander ringen und nach guten Lösungen suchen – besonders für Entrechtete, Angegriffene und Unterdrückte. 

Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen!

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