Freitag, 6. Oktober 2023

SORRY in FFO. Ansprache bei der Finissage

Herzlich willkommen – und vielen Dank, dass ihr heute Abend hierhergekommen seid!

Besonderen Dank für die Performance als Auftakt!

Ich werde ein wenig stichprobenartig auf verschiedene Ebenen von SORRY in Frankfurt (Oder) schauen.

Die Performance hat die Vielfalt unserer Veranstaltungen rund um SORRY angerissen:Denn es gab in diesem Sommer sehr viele unterschiedliche Aktionen, die wir hier erleben und gestalten konnten:

Hier wurde gesungen und musiziert – auf polnisch, deutsch und ukrainisch.
Hier wurde gemalt und geschrieben bei einem Workshop für die Oder.
Es wurden Texte auf belarussisch deklamiert.

Ausschnitt aus der Film-Collage von
Franziska Wulschke-Paczkowski.
SORRY in FFO, 2023.
Es wurde diskutiert über die Gestaltung des Stadtraums zusammen mit dem Viadrinicum.
Es wurden Lebensgeschichten aus der Ukraine erzählt.
Es wurde demonstriert für Gleichbehandlung Geflüchteter und gegen die Festung Europa mit Slubfurt.
Es wurde gebetet angesichts der Mauern und der Brücken zwischen uns mit der Hochschulseelsorge.
Es wurde gestritten über Migration.

Und natürlich gab es dabei sehr viele sehr unterschiedliche Interpretationen und Reaktionen, mündlich und schriftlich.

Es gab:
-Kritik am Kunstwerk – wieviel Geld es kostet, wie das Material wirkt, was Kunst ausmacht…
-Verteidigung des Kunstwerks – „Hallo! Ich glaube, das soll so sein!“ - Ich war sehr froh, von Passantinnen angesprochen zu werden, als ich einmal ansetzte, Klebestreifen zu entfernen
-Erklärung des Kunstwerks - jeder tat das anders, ich habe mich öfter gefreut, wenn jemand etwas zum Verständnis beitrug, der nicht mit uns verbunden war
-Verwunderung über das Kunstwerk – die Gestalt und auch die Botschaft sind wirklich eine Herausforderung
-Ignorieren des Kunstwerks - viele gehen vorbei – auch das ist legitim
-Erweiterung des Kunstwerks - mit Müll, mit Schal, mit Kunstwerken, mit Klebeband…

Manchmal war ich im Zwiespalt: Welche Nutzung ist legitim – da hängt eine Werbung für einen Klimastreik – ein wichtiges Anliegen. Aber gehört die Werbung ans Kunstwerk?

Zugegebenermaßen war unser Konzept auch sehr weit gespannt.

SORRY ist
-ein Forum, nicht Pranger
-es wollte Kontroverse, nicht Kampf um Leben & Tod
-Kunst, nicht Propaganda
-Kritik, nicht Pädagogik

Die im Kunstwerk angelegte Mehrdeutigkeit war uns sehr wichtig: es geht nicht nur um Geflüchtete zwischen Polen und Belarus. Auch um sie geht es und um den Grenzschutz der EU. Aber es geht tiefer – SORRY ist universell.

Eine Frau, der ich oft begegnet bin, sagte mir irgendwann: Sie sei erst skeptisch gewesen, habe sich dann aber die Tafel durchgelesen und gedacht „proste, ale daje do myślenia” – „es ist einfach, aber es gibt zu denken."

So wie diese Begegnung waren mir selbst die vielen zufälligen Gespräche wichtig, die ich hier geführt habe mit jenen, die vorbeikamen.
Leute aus Berlin und aus Mexiko,
Leute aus Naumburg und aus Beeskow,
Leute aus Poznań und aus Krakau,
Leute vom Niederrhein und Leute aus dem Oderland…

Jedes Mal war neu anzusetzen im Versuch, gerade für diese oder jene Gruppe etwas vom Anti-Monument zu erläutern.
Das aber bedeutet Arbeit auch für die, die sich damit auseinandersetzen – ganz allgemein gesprochen:

Um etwas wirklich zu verstehen, muss man die Perspektive wechseln.
So auch hier: von unten erscheint manches wirr, erst von oben erschließen sich die Mauern.

Scherbenreflexionen.
SORRY in FFO, 2023.
Welche Menschen waren es, die hier regelmäßig unterwegs  waren, hier an diesem öffentlichen Platz, den wir mitgestaltet haben?
Kinder
Polizei
Demonstrierende
Geflüchtete
Radfahrerinnen
Einkäuferinnen
Touristen
Party people
Hundebesitzer
Spaziergängerinnen …

Was noch?
Ich habe es selten gesagt, aber dass diese Skulptur jetzt hier steht, geschah natürlich mit Hilfe vieler Förderer und Unterstützerinnen:
OeC, Stadt, Land, Bund, Kirchen, Universität, Einzelförderer…
Allen sind wir sehr dankbar!

Aber bevor die alle zum Zuge kommen konnten, begann alles ganz klein:
Am Anfang war die Liebe. Und ein Witz.
Genauer: Ich hatte irgendwo etwas über SORRY gelesen und war sofort fasziniert. Im Scherz habe ich gesagt: das müsste man hierher holen.

Und aus dem Scherz wurde dieses Projekt. Mit Anträgen, Aufträgen, Terminen, Kontakten, Abrechnungen,…

Und natürlich mit der Frage, was wir hier in Frankfurt (Oder) mit SORRY wollen.


Als Seelsorger ist mir besonders wichtig, dass Joanna Rajkowska genauso wie die biblischen Propheten und wie Jesus die Heuchelei aufs Korn nimmt.
Das Behaupten einer Entschuldigung oder das Vollziehen eines religiösen Rituals reichen eben nicht aus, wenn das Herz nicht erreicht wird. Wenn das Tun dem Reden nicht entspricht.
Weder an der Außengrenze der EU, noch in den Kirchen, noch beim Schutz der Oder und unserer Umwelt allgemein.
„Sorry“ sagen und sich abwenden oder abschotten - das passt eben nicht zueinander.

Denn diese Skulptur in Form einer Mauer steht gegen die Mauern.
Steht als Provokation gegen eine gefällige Schönheit, die wir uns manchmal wünschen.
Steht gegen die Gleichgültigkeit – man muss sich positionieren.

Zitat eines Bundespolizisten: „Das da? Irgendein Kunstwerk - Schwachsinn!“

Apropos Bundespolizei: Durch die Ausstellung an der Grenze ist SORRY nun auch sehr nah an der Debatte um Flüchtlinge und Migration.
In Polen wird gestritten über den Film „Zielona Granica“ von Agnieszka Holland.
In Deutschland wird gestritten über stationäre Grenzkontrollen.

SORRY steht also im Herzen vieler aktueller Konflikte – was wir für unsere Arbeit sehr hilfreich gefunden haben.

Vielleicht muss in diesem Zusammenhang aber auch das noch einmal gesagt werden:
Es ist kein anti-polnisches Denkmal - es ist ein polnisches Anti-Denkmal.

Umso froher waren wir, dass wir mit den Young Peace Ambassadors Poland zusammen arbeiten und einen Raum für ihre Ausstellung und Workshops zum Thema Heimat, Menschenrechte, Flucht, Grenze… geben konnten.

Froh waren wir aber auch über die Kooperationen in Frankfurt und Umgebung:
Viadrina und Prof. Rottmann, das BLMK und Frau Kremeier, die Volkshochschule, der CVJM, die Kirchengemeinden, Slubfurt, Helping Hands - Blaue Brücke, Students for Climate Justice, die Grünen, das Viadrinicum, der Verband der Blinden und Sehbehinderten, …

sowie viele viele Einzelpersonen aus nah und fern.


Was noch?

In einer Zeit multipler Krisen ist es normal, gestresst zu sein, Fehler zu machen.
Dann sollte es auch normal sein, sich entschuldigen zu können.
Aber – das Schwierigste ist, das habe ich in diesem Sommer bei SORRY gelernt, aus den Fehlern zu lernen und mit der ausgesprochenen Entschuldigung auch wirklich einen Wunsch nach Änderung zu meinen.
Wie die neue Inschrift hier sagt: „Sorry macht es auch nicht gut“ – dieser Satz trifft es ganz gut.

Ich und wir sind sehr dankbar für die viele Unterstützung und den Zuspruch, aber auch für die konstruktive Kritik und die Auseinandersetzung und hoffen in Frankfurt (Oder) weiterhin auf belebte Plätze, auf kreative Auseinandersetzungen, auf Kunst und Debatte.

Letzte Blicke.
SORRY in FFO, 2023.

 

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