Samstag, 19. September 2015

Nicht mein Vorwärtskommen, sondern Gottes Ankommen bei mir

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Jesus spricht im Evangelium des Sonntags (Mk 9,30-37) zunächst von Leid und Tod und Rettung. Dass "der Menschensohn" an die "Menschen" ausgeliefert wird, ist aber für die Jünger zu weit weg, sie sind emotional nicht angesprochen von dieser Aussage.
Denn sie hatten bei diesen Worten im Hinterkopf sicher die Vorstellung der endzeitlichen Gestalt eines "Menschensohnes" aus dem Himmel, der eine "ewige, unvergängliche Herrschaft" (Dan 7,14) antritt. Diese Verknüpfung wird nun durch die Worte Jesu auf den Kopf gestellt, wenn gerade jener von Gott kommende Herrscher in Menschengestalt nun an Menschen ausgeliefert werden soll.
Augenscheinlich können sie weder "Leid" und "Menschensohn" noch den "Menschensohn" und sich selbst in eine sinnvolle Beziehung zueinander bringen. Dabei hatte sie Jesus extra mitgenommen, um ihnen gerade diese wichtige Sache zu sagen.

Vorwärtskommen? Neukölln, Berlin, 2015.
Doch das Leiden eines "Menschensohnes" und die Rede von Auferstehung sagt ihnen ebensowenig etwas wie uns das Leiden fremder Menschen und ihre Rettung interessieren. Was sich jedenfalls dieser Tage an gesellschaftlich geäußertem Mitgefühl mit den nach Deutschland strömenden Flüchtlingen zeigt, bildet ja wohl eine Ausnahmeerscheinung unseres medial stets überforderten Empathievermögens.
Jesus dagegen scheint der Meinung zu sein, dass das Leiden anderer Menschen, dass sein eigenes Leiden etwas mit uns zu tun hat.

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Was die Jünger wirklich beschäftigt, zeigt sich am Ende des Weges: sie drehen sich um sich selbst.
Auf die Frage Jesu, was ihnen auf dem Wege wichtig war und worüber sie geredet haben, zeichnet der Evangelist sie jedenfalls als betreten schweigende Kinder, die merken, dass ihr Auftrumpfen voreinander ganz und gar nicht dem angemessen ist, was Jesus von ihnen erwartet.
Die Lesung aus dem Jakobsbrief (3,16-4,3) wirkt wie ein Kommentar dazu: "Ehrgeiz und Eifersucht" bringen Unordnung (3,16), der "Kampf der Leidenschaften in eurem Innern" bewirkt Unfrieden und Streit (Jak 4,1).
Noch sind in diesem Evangelienausschnitt solche Auswirkungen nicht wahrnehmbar, aber die Kirche spürt die Auswirkungen dieser Untugenden heute sehr deutlich.
Was Jesus dagegen von allen Christinnen und Christen erwartet, ist Geöffnetheit und Demut. Der Dienst an "geringen" Menschen (Jesus wählt hier ein Kind als gegensatz zu ihrem kindischen Verhalten) wird nach seinen Worten ein Einfallstor Gottes in unser Leben – "Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat." (9,37)
Genial: Der Menschensohn und der ewige Gott selber werden Gäste dessen, der Menschen im christlichen Geist aufnimmt. Wenn dieser Gedanke nur auch die europäische Asylpolitik beflügeln würde...

3
Christsein heißt, dass jedes Leiden mit mir zu tun hat. Christsein heißt, dass Jesus mich in Leiden, Tod und Auferstehen mitnehmen will auf seinem Weg. Christsein heißt, dass nicht mein Vorwärtskommen zählt, sondern Gottes Ankommen bei mir. Christsein heißt, dass ich dafür von mir selbst absehen und dem Nächsten dienen lernen muss.

P.S.
Das alles passt natürlich ganz wunderbar zu einem lokalen Ereignis: Heute wurde der neue Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, in sein Amt eingeführt. Ihm wünsche ich, dass nicht Ehrgeiz ihn treibt oder Hochmut ihn verführt, sondern, was der Jakobusbrief von der "Weisheit von oben" schreibt, soll ihn prägen: Diese nämlich "ist erstens heilig, sodann friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht." (Jak 3,17)
Alles Eigenschaften und Gaben, die in Berlin und bei der anstehenden Bischofssynode in Rom gut einsetzbar sind...
U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz, Charlottenburg, Berlin, 2015.