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Jesus spricht im Evangelium des
Sonntags (Mk 9,30-37) zunächst von Leid und Tod und Rettung. Dass
"der Menschensohn" an die "Menschen" ausgeliefert
wird, ist aber für die Jünger zu weit weg, sie sind emotional nicht
angesprochen von dieser Aussage.
Denn sie hatten bei diesen Worten im
Hinterkopf sicher die Vorstellung der endzeitlichen Gestalt eines
"Menschensohnes" aus dem Himmel, der eine "ewige,
unvergängliche Herrschaft" (Dan 7,14) antritt. Diese
Verknüpfung wird nun durch die Worte Jesu auf den Kopf gestellt,
wenn gerade jener von Gott kommende Herrscher in Menschengestalt nun
an Menschen ausgeliefert werden soll.
Augenscheinlich können sie weder
"Leid" und "Menschensohn" noch den "Menschensohn"
und sich selbst in eine sinnvolle Beziehung zueinander bringen. Dabei
hatte sie Jesus extra mitgenommen, um ihnen gerade diese wichtige
Sache zu sagen.
Vorwärtskommen? Neukölln, Berlin, 2015. |
Doch das Leiden eines "Menschensohnes"
und die Rede von Auferstehung sagt ihnen ebensowenig etwas wie uns
das Leiden fremder Menschen und ihre Rettung interessieren. Was sich
jedenfalls dieser Tage an gesellschaftlich geäußertem Mitgefühl
mit den nach Deutschland strömenden Flüchtlingen zeigt, bildet ja
wohl eine Ausnahmeerscheinung unseres medial stets überforderten
Empathievermögens.
Jesus dagegen scheint der Meinung zu
sein, dass das Leiden anderer Menschen, dass sein eigenes Leiden
etwas mit uns zu tun hat.
2
Was die Jünger wirklich beschäftigt,
zeigt sich am Ende des Weges: sie drehen sich um sich selbst.
Auf die Frage Jesu, was ihnen auf dem
Wege wichtig war und worüber sie geredet haben, zeichnet der
Evangelist sie jedenfalls als betreten schweigende Kinder, die
merken, dass ihr Auftrumpfen voreinander ganz und gar nicht dem
angemessen ist, was Jesus von ihnen erwartet.
Die Lesung aus dem Jakobsbrief
(3,16-4,3) wirkt wie ein Kommentar dazu: "Ehrgeiz und
Eifersucht" bringen Unordnung (3,16), der "Kampf der
Leidenschaften in eurem Innern" bewirkt Unfrieden und Streit
(Jak 4,1).
Noch sind in diesem
Evangelienausschnitt solche Auswirkungen nicht wahrnehmbar, aber die
Kirche spürt die Auswirkungen dieser Untugenden heute sehr deutlich.
Was Jesus dagegen von allen Christinnen
und Christen erwartet, ist Geöffnetheit und Demut. Der Dienst an
"geringen" Menschen (Jesus wählt hier ein Kind als
gegensatz zu ihrem kindischen Verhalten) wird nach seinen Worten ein
Einfallstor Gottes in unser Leben – "Wer ein solches Kind
um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt,
der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat."
(9,37)
Genial: Der Menschensohn und der ewige
Gott selber werden Gäste dessen, der Menschen im christlichen Geist
aufnimmt. Wenn dieser Gedanke nur auch die europäische Asylpolitik
beflügeln würde...
3
Christsein heißt, dass jedes Leiden
mit mir zu tun hat. Christsein heißt, dass Jesus mich in Leiden, Tod
und Auferstehen mitnehmen will auf seinem Weg. Christsein heißt,
dass nicht mein Vorwärtskommen zählt, sondern Gottes Ankommen bei
mir. Christsein heißt, dass ich dafür von mir selbst absehen und
dem Nächsten dienen lernen muss.
P.S.
Das alles passt natürlich ganz
wunderbar zu einem lokalen Ereignis: Heute wurde der neue Erzbischof
von Berlin, Heiner Koch, in sein Amt eingeführt. Ihm wünsche ich,
dass nicht Ehrgeiz ihn treibt oder Hochmut ihn verführt, sondern,
was der Jakobusbrief von der "Weisheit von oben" schreibt,
soll ihn prägen: Diese nämlich "ist erstens heilig, sodann
friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten
Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht." (Jak
3,17)
Alles Eigenschaften und Gaben, die in
Berlin und bei der anstehenden Bischofssynode in Rom gut einsetzbar
sind...
U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz, Charlottenburg, Berlin, 2015. |