Die heutige 20-Uhr-Tagesschau sendete
vierzehneinhalb Minuten zum Thema Flüchtlinge aus allen möglichen
Perspektiven. Darüber hinaus nennenswert war in diesen Nachrichten
eigentlich nur der Festakt zum 100. Geburtstag von Franz Josef
Strauß.
Beides zusammen könnte, wenn es nicht so tragisch
wäre, Anlass genug für ironische Heiterkeit sein.
Aber ich kann nicht ruhig bleiben, wenn
ich dieser Tage die Nachrichten verfolge. Denn die Nachrichten
verfolgen mich und ich kann erst recht nicht ruhig bleiben.
Besser ohne Rauch. Galerie im Körnerpark, Neukölln, Berlin, 2014. |
Wer bewusst wahrnimmt,
wie syrische Flüchtlinge nach ihrer
bisherigen Odyssee nun über ungarische Autobahnen gen Westen
Richtung Deutschland ziehen,
wie Straßenschlachten zwischen Polizei
und Rechtsradikalen in sächsischen Kleinstädten eskalieren,
wie Haß und Angst schreiende Gesichter
entstellen und regelmäßig Unterkünfte für Flüchtlinge in Flammen
aufgehen,
wie PolitikerInnen immer wieder mit
betroffener Miene die Toten oder die Fliehenden beklagen und ihre
Politik doch nicht ändern,
wie in einigen deutschen Städten
Bürgerinitiativen, Hilfsorganisationen und spontane Freiwillige
wegen Überforderung oder Unwilligkeit der zuständigen Stellen
staatliche Aufgaben übernehmen,
wie Osteuropas Regierungschefs sich
ihrer permanenten Verantwortungslosigkeit bezüglich höherer
Aufnahmezahlen nicht schämen,
dem wird vielleicht schwarz vor Augen.
Was mich persönlich in der Pein dieser
Bilder aufrecht hält, ist das Wissen darum, dass eine solche Krise
beide Extreme, nämlich das äußerst Schlechte und das äußerst
Gute aus Menschen hervorlocken kann.
Es gibt neben und in all dem oben
Genannten doch so unglaublich viel zivilgesellschaftliche Offenheit
und herzliche Mitmenschlichkeit, so viel spontane Gastlichkeit, dass
die politisch-strukturellen Defizite fast (!) in den Hintergrund
treten könnten.
Die Frage der neuen Heimatlosen berührt
viele Menschen tief in ihrem Innersten, in Ängsten und Wut, bei
Mitgefühl und der Bereitschaft zur Hingabe.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass
Ende des Jahres im emotionalen Gehäuse mindestens Deutschlands, wenn
nicht vieler Gesellschaften Europas eine Menge Fundamente verschoben
sein werden.
Vielleicht wäre es sogar gut, wenn
Fragen wie Freiheit, Solidarität und Menschenrechte für alle in
Europa und Deutschland neu verhandelt werden. Wenn nicht zu viele
Steine aufeinander bleiben, sondern diese scheinbaren
Selbstverständlichkeiten mal wieder in Frage stehen.
Natürlich nur, wenn wir den Mut haben,
dann freiheitlich, solidarisch, menschenfreundlich und
rechtsstaatlich aufzubauen.
Ein fliehendes Pferd? Hohenschönhausen, Berlin, 2015. |