An
einer evangelischen Kirche habe ich mal gelesen:
„Reformation bedeutet: Sein Leben immer wieder neu an
Jesus Christus ausrichten.“
Eigentlich
geht es in jeder christlichen Existenz genau darum. Besonders stark
aber verdichtet sich diese Ausrichtung auf Jesus und die immer neue Angleichung
an Ihn in den Menschen, die wir als Heilige verehren.
Der
selige Rupert
Mayer, an
dessen 70.
Todestag an diesem 1. November erinnert wird,
hat die Gestaltung seines Lebens nach dem
Vorbild Christi so überzeugend gelebt, dass schon viele seiner
Zeitgenossen in ihm einen heiligen Mann sahen. Es war ein Leben des
Dienstes. Illustrieren lässt sich das durch das Jesuswort, das an
seinem Gedenktag in der Lesung zu hören ist: „Der
gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe.“
(Joh 10,11)
Jesus liegt am Boden. Powazkowski-Fiedhof, Warschau, 2015 |
Sein
Alltag war geprägt von der Sorge um die Menschen, die ihm anvertraut
waren. Als Feldgeistlicher im Ersten Weltkrieg versorgte er z.B. die
Frontsoldaten mit Geschenken und zusätzlichen Essensgaben, er
feierte mit ihnen in den vordersten Stellungen Gottesdienste und
lebte dabei immer in der Gefahr, dort auch sein Leben zu verlieren.
Ende Dezember 1916 wollte er, mit den vorrückenden Soldaten
mitgehend, gerade eine Brücke im rumänischen Gebirge überqueren,
als ihm eine Granate das linke Bein vom Knie abwärts zerschmetterte.
All seine vielfältige Arbeit nach dem Ersten Weltkrieg, dreißig
Jahre aufreibender Arbeit, hat er mit einem Holzbein geleistet.
So
trifft auch auf ihn zu, was Papst Franziskus meint, wenn er sagt, ein
Seelsorger müsse den Stallgeruch seiner Gläubigen kennen Im Sinne
des Jesuswortes: „Ich kenne die Meinen und
die Meinen kennen mich.“ (Joh 10,14)
Es
ist ein Kennen, das aus Nähe entspringt. Rupert Mayer versuchte nah
dran zu sein und schaute genau auf die Notwendigkeiten seiner Zeit.
Darum führte er in den 1920er Jahren im Münchner Hauptbahnhof
Bahnhofsgottesdienste für die Ausflügler und die Angestellten von
Post und Bahn, für die Taxichauffeure und Polizisten ein. Er ging
dorthin, wo es nötig war.
So
wurde er auch selber zum Bettler für die Armen. Er setzte sich ein
für die, die im Krieg und in der Zeit der Inflation alles verloren
hatten, er sammelte trotz Schikanen und Behinderungen für die
Caritas auf der Straße, unterstützte Invaliden und Familien mit
vielen Kindern. Im Winter und Frühjahr 1930/31 wurden unter seiner
Leitung von der Kommunität in St. Michael Lebensmittel und
Brennmaterial an über 4000 Familien ausgegeben.
Dass
er bei all dem auch ausgenutzt wurde, machte ihm wenig aus, vielmehr
war seine christliche Überzeugung: „Der
selbstlosen Liebe kann auf die Dauer kein Mensch widerstehen.“
Zugleich
war er nicht politisch naiv, sondern beschäftigte sich sehr intensiv
mit den geistigen Strömungen seiner Zeit.
Denn
ein Kernpunkt von Rupert Mayers Wirken war sicher die
gesellschaftlich relevante Predigt für jene, die durch die
verschiedenen politisch-weltanschaulichen Gruppierungen im Glauben
verunsichert wurden.
St. Michael über Palmen. München, 2015. |
Dabei
siegte sein Eifer oft über die Vernunft: „Sooft ich auch schon
drinnen war, immer wieder habe ich es mir neu überlegt und bin an
den Lokalen vorbeigegangen. Soll ich hineingehen? Jetzt sind sie
ruhig und jubeln. Wenn ich aber komme, dann geht’s los: Saupfaff,
elendiger! Dann geht alles drunter und drüber und der ganze Friede
ist dahin. Aber ich sagte mir, es ist meine Pflicht, es ist sonst
niemand da. Ich muss hinein.“ So wurde er denn bei den
Versammlungen der Kommunisten oftmals angeschrieen und vom Rednerpult
heruntergezerrt. Selbstlose Liebe hatte bei ihm schon ein sehr
eigenes Aussehen..
Auch
nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten äußerte er,
Münchens bekanntester Prediger und patriotischer Kriegsversehrter,
sich engagiert gegen das neue Regime. Vor allem zwei Punkte
kritisierte er immer wieder: dass als Maßstab der Sittlichkeit nur
noch der Staat angesehen werde und dass das Alte Testament, das
„Judenbuch“ aus der Schule zu verbannen sei.
Mit
viel Energie trat er gegen die Totalisierung des Staates und die
Gleichschaltung der Gesellschaft ein, predigte auch trotz Rede- und
späterem Predigtverbot und wurde deshalb am 5. Juni 1937 wegen
Volksverhetzung und „Kanzelmissbrauch“ das erste Mal verhaftet
und eingesperrt.
Folge
seiner Verhaftung waren Demonstrationen in München und eine viel
beachtete Predigt Kardinal Faulhabers, der, wie Rupert Mayer zuvor,
den Vergleich mit den Aposteln zog, als sie dem Hohen Rat beim Verhör
antworteten: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
(Apg 5,29)
Nach
der rasch darauf erfolgten Entlassung hielt Rupert Mayer sich zwar
einige Zeit an das Predigtverbot des Oberen, aber zu Weihnachten 1937
stand er mit dessen Erlaubnis wieder auf der Kanzel von St. Michael.
Die darauffolgende zweite und schließlich eine dritte Verhaftung
brachten ihn letztendlich erst ins Gefängnis von Landsberg und dann
ins KZ Sachsenhausen. Dort magerte er schließlich so sehr ab, dass
man ihn aus Angst, er könne sterben und so für noch größere
Unruhe sorgen, 1940 ins Benediktinerkloster Ettal verbrachte mit der
Auflage, keinen Kontakt mit der Außenwelt zu haben.
Darüber
klagte er heftig: „Seitdem bin ich lebend ein Toter, ja dieser
Tod ist für mich, der ich noch voll Leben bin, viel schlimmer als
der wirkliche Tod, auf den ich so oft gefasst war.“
Das
Kriegsende erlebte er in klösterlicher Abgeschiedenheit. Als er kurz
nach dem Einmarsch der Amerikaner wieder nach München zurückkehrte,
konnte er zwar ironisch sagen: „Ein einbeiniger Jesuit lebt,
wenn es Wille Gottes ist, länger als eine tausendjährige gottlose
Diktatur“, aber schon am Allerheiligentag 1945 traf ihn bei der
Predigt in St. Michael der Schlag, an dem er kurz darauf (im
Gegensatz zu manchen Legenden erst im Krankenhaus) starb. Doch, wie
die damals Münchner sagten, „selbst im Tod ist er nicht
umgefallen.“
Trotz
dieser Kennzeichnung als standhaften Widerständler war Rupert Mayer
vor allem ein Beter. Er wollte Zeugnis ablegen für seine
Bereitschaft, Gott zu folgen, was auch immer geschieht. Er wollte
sein Leben an Christus ausrichten, es reformieren und stets neu so
gestalten, dass in allem Gottes Wille geschehe:
„Alle
unsere Anmutungen und Vorsätze,
alle
unsere Schwierigkeiten und Versuchungen,
alle
unsere Kämpfe und Leiden,
alle
unsere Sorgen und Ängste legen wir mit unermesslichem,
unerschütterlichem Gottvertrauen
nieder
in das Herz unseres Erlösers.
Wenn
Gott mit uns ist, wer ist dann gegen uns?“