Eines
der ersten Gedichte von Hilde Domin, die mich gefesselt haben, ist
"Im Regen geschrieben"1
Es geht um die Gewissheit, dass das Gute auch in Finsternissen
ausstrahlt.
Licht. U-Bhf Fehrbelliner Platz, Wilmersdorf, Berlin, 2014. |
Im Regen geschrieben
Wer wie die Biene wäre,
die die Sonne
auch durch den Wolkenhimmel fühlt,
die den Weg zur Blüte findet
und nie die Richtung verliert,
dem lägen die Felder in ewigem Glanz,
wie kurz er auch lebte,
er würde selten
weinen.
Es
kam mir wieder in den Sinn im Hinblick auf die Heilige, derer die
katholische Kirche heute gedenkt – Therese von Lisieux.
Diese
ist über das Blumige ihrer Sprache hinaus eine äußerst
faszinierende Person, die wie wohl viele Gläubige und Ungläubige
sowohl Regen als auch Sonnenschein in Bezug auf ihre grundlegenden
Überzeugungen kannte. Doch für sie war, das durfte ich bei Tomáš
Halík lernen, das Vertrauen auf den Glanz der Sonne trotz ihres
Gottesglaubens nicht mehr selbstverständlich.
Sie
stand im Gefühl ihrer Verlassenheit und Dunkelheit allein, ohne den
göttlichen Glanz noch zu ahnen – und nahm dieses Gefühl an "als
Ausdruck der Solidarität mit den Nichtgläubigen."2
In
einer Zeit der Krise, als am Ende des 19. Jahrhunderts mit
Industrialisierung und Atheismus neue soziale und denkerische
Herausforderungen auf den christlichen Glauben zu kamen, schien mir
die Frömmigkeit der "kleinen Therese" oft als eine Flucht
ins Infantile.
Doch
sind ihre Krisen, die sie selbst nur zum Teil als Prüfung zu
verstehen imstande war, so existenziell, dass sie mich damit ein
wenig an die mystisch inspirierte und gleichzeitig realitätsentzogene
Isa aus Wolfgang Herrndorfs letztem Roman "Bilder deiner großen Liebe" erinnert.
Ja, what if?, Schöneberg, Berlin, 2014. |
Selbst
in einer ideologiefernen Zeit wie der unseren ist das Eingestehen
eigener Zweifel normalerweise nicht opportun. Vielleicht weil die
subjektiven Überzeugungen die letzte Bastion sind, auf die ein
Individuum glaubt, bauen zu können, auch ohne dass diese bis ins
Letzte intersubjektiv begründbar sein müssten.
Therese
hatte in ihrer Zeit, in der päpstlicher Syllabus und antikirchliche
Ideologien einander die wahre Weltdeutung streitig machten, die gar
nicht infantile Demut – letztlich den Mut –, zu ihren
Dunkelheiten zu stehen.
Und
dabei zu hoffen, dass der "ewige Glanz", von dem Hilde
Domin spricht, doch ein wirklicher Glanz ist. Als eine, die die Ferne
Gottes leidvoll erfahren hatte, steht sie zwar weiterhin in einem
Bezugsrahmen, der Gott im Blick zu behalten sucht.
Aber
ihr angefochtener Glaube flieht "vor der Herausforderung des
Atheismus nicht feige in die Festung seiner Gewissheiten [...], um
von dort aus den Atheismus aus sicherer Entfernung über den Graben
des Unverständnisses mit Argumenten militanter Apologeten zu
beschießen, sondern sich mit einem weit größeren Mut und
'unbewaffnet' [...] ins 'Lager der Ungläubigen' begibt und von dort
in die Schatzkammer des Glaubens eine neue Trophäe mitbringt,
nämlich die atheistische Erfahrung der Gottesferne."3
Wahrscheinlich
ist auch uns Gläubigen heute diese "verregnete"
Gottesferne gar nicht so fern, vielleicht ist die Herausforderung
viel eher, wie Papst Franziskus immer wieder betont, aus uns selbst
herauszukommen und die Solidarität mit jenen zu spüren, die den
Gottesglanz nicht kennen.
1 Hilde
Domin, Nur eine Rose als Stütze. Gedichte. Frankfurt am Main 1994,
64.
2 T.
Hálik, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute. 5. Aufl.
Freiburg i.Br. 2012, 50.
3 Ebd.,
57f.