Montag, 26. August 2013

Liebe wiedergeben

Der Mensch ist von Beginn an auf Andere bezogen, er ist - ein Sozialwesen. Eine unabdingbare Voraussetzung, um sich als solches zu verwirklichen, ist Kommunikation. 
Zwischenmenschlicher Kontakt, Gespräch, Begegnung, Beziehung stellen darum die Elemente dar, die menschliches Miteinander prägen. Gelungene Kommunikation führt zu zwischenmenschlicher Gemeinschaft (Communio). Kommunikation verdichtet sich in ausgezeichneter Weise im Geben und Wieder-Geben. Dadurch, dass jemand eine Gabe gibt und ein anderer wieder gibt, konstituieren sich soziale Beziehungen.

In philosophischer Konsequenz lassen sich (im Anschluss an Marcel Mauss1) einige Eckpunkte des Verständnisses für dieses „soziale Totalphänomen“ der Gabe formulieren:

(a) Indem Menschen durch das wechselseitige Austauschen von Gaben miteinander in Beziehung treten, konstituiert sich nicht nur eine materielle, sondern auch eine ideelle Veränderung. Anstatt sich gegenseitig zu bekämpfen, fördert die Gabe ein friedliches Miteinander der beteiligten Personen und Gruppen.

(b) Die ideelle Veränderung reicht aber noch weiter: Denn in der Gabe ist der Geber in gewisser Weise gegenwärtig. Die Gabe nämlich verweist immer zurück auf den Geber, erinnert an ihn, lässt ihn anwesend sein. Letztlich gibt und offenbart er zu einem Teil sich selbst in dem, was er gibt. Gebende Person und gegebene Sache verweisen darum wechselseitig aufeinander.

(c) Gaben sind auf Gegenseitigkeit hin orientiert. Die angemessene Antwort auf eine Gabe ist eine Gegen-Gabe. Das beinhaltet zunächst einmal einen ökonomischen Aspekt, nämlich die Tauschgerechtigkeit, geht aber darüber hinaus. Denn eine wirkliche Gabe ist (nicht Bezahlung, sondern) freiwillig. In freier Großzügigkeit offenbart sich der Charakter des Gebenden und seine Communio-Bereitschaft.

Theologisch wiederum kann daran anknüpfend gesagt werden: 
 
(a) Aus christlicher Sicht ist letztes Ziel des Menschen die lebendige Gemeinschaft mit Gott. Um dieses Ziel erreichen zu können, hat Gott jeden Menschen in verschiedener Weise begabt. Menschliche Begabungen und Fähigkeiten können also aus christlicher Sicht ein Hinweis sein auf die jeweilige Weise des Menschen, wie er in die Gemeinschaft mit Gott kommen kann.

(b) Darum gilt, was Paulus schreibt: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen? (1Kor 4,7). In der gott-menschlichen Beziehung ist Gott immer der Erstgebende. Seine Gabe ist ultimative Vor-Gabe. Bei allen menschlichen Gaben an Gott kann es sich nur um Wieder-Gaben handeln.
(c) Zugleich beinhalten diese Gaben Gottes eine Aufgabe an den Menschen (s. das Talente-Gleichnis, Mt 25,14-30). Der Mensch soll weitergeben, was er selbst empfangen hat (vgl. 1Kor 11,23). So erhalten die Gläubigen z.B. die Gaben des Heiligen Geistes, damit sie anderen nützen, damit die Gemeinde auferbaut wird (1Kor 12,7; 14,12). Gott begabt uns – damit wir geben können.

(d) Die gemeinsame Feier des Mahles, die Eucharistie, schließlich ist klassischer Ausdruck der gegenseitigen Gabe Gottes und der Menschen. Menschen bringen ihre Gaben von Brot und Wein und in diesen Gaben die ganze Welt vor Gott, damit Gott sie verwandelt. Durch den Heiligen Geist schenkt Gott sich in der Erinnerung an Jesu letztes Mahl. Gott selbst wird auf diese Weise die Gabe, die die Gläubigen empfangen. Das ermutigt sie, ebenso zur Gabe zu werden und so bitten sie: Christus „mache uns auf immer zu einer Gabe, die dir [Gott] wohlgefällt“ (3. Hochgebet). Das in der Feier eingeübte Geben und die empfangene Gabe sollen im Alltag fruchtbar werden für die Anderen – also wiederum: das Empfangene weitergeben. 
 
(e) Der christliche Terminus dafür lautet: Liebe. Gottes Gabe an die Menschen ist seine Liebe - das zeigt er in der Lebens-Hingabe für uns, seine Freunde (Joh 15,12f). Und er beauftragt uns wiederum, ihn und einander zu lieben (Mt 22,37ff). Dementsprechend lautet die „Definition“ von Liebe bei Ignatius von Loyola: „Die Liebe besteht in Mitteilung von beiden Seiten: nämlich darin, dass der Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat, oder von dem, was er hat oder kann; und genauso umgekehrt“ [im Orig.: ...el amor consiste en comunicación de las dos partes...] (GÜ 231).



1   Marcel Mauss (1872-1950), franz. Soziologe und Ethnologe; Hauptwerk: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt a.M. 2009. (franz. Erstausgabe 1923/24).