Was an diesem Sonntag im
Evangelium (Lk 14,7-14) von den Tischsitten des Orients zu hören
sein wird, bewegt sich innerhalb einer Kultur, die uns Europäern
weitgehend nur durch Einwanderer aus dem Nahen Osten bekannt sein
dürfte. Es geht um Vorstellungen von Scham und Ehre, die immer dann
unrühmlich in unserer Lebens- und Medienwelt auftauchen, wenn es um
so genannte Ehrenmorde und um emotional entgleiste Reaktionen auf
Verletzungen des Stolzes geht, mit denen wir wenig anfangen können.
Es sind Bestandteile einer Schamkultur, in der das öffentliche
Ansehen handfest verteidigt werden muss und in der eine Menge Tabus
walten, die mit traditionellen Vorstellungen von Hierarchien und
Grenzsetzungen zu tun haben.
Zu Tisch, zu Tisch! |
Und
doch: wenn Jesus im Lukasevangelium von der Reihenfolge bei Tisch
spricht und es um die hervorgerufenen Gefühle geht, kennen wir diese
auch. Wir kennen die Ehrenplätze, das Beschämtsein oder
Hervorgehobenwerden vor Anderen (vv8-10).
Denn
immerhin unsere soziale Rolle ist uns wichtig: Positiv genannt
werden. Sich sehen lassen können. Nicht öffentlich niedergemacht
werden.
Doch
Gott kehrt die Rollen um – unser menschliches Bedürfnis nach
Anerkennung und Belobigung wird nicht durch unsere Gottesbeziehung
befriedigt. Religionsausübung soll für Christen nicht mit dem
Wunsch nach öffentlicher Lobhudelei einhergehen. „Denn wer sich
selbst erhöht, wird erniedrigt“ (v11) – das gilt auch für die
strategische Selbsterniedrigung, die die darauf folgende Erhöhung
immer schon im Blick hat. Bei Gott kommen wir an, wenn es uns gerade
nicht darum geht.
Vielleicht
ist die säkulare Gesellschaft damit tatsächlich der bessere Ort für
Christen – hier gibt es außer einem müden Lächeln nichts zu
gewinnen für den, der am Sonntag in die Kirche geht oder einen
offenen Beichtstuhl sucht.
Zugleich
zeigt sich auch in dieser Gesellschaft ein Bewusstsein für
„konservative“ Werte: Demut und Bescheidenheit kommen an, wenn
das Gegenbild bischöfliche Luxussanierungen und Erste-Klasse-Flüge
sind.
Jesus
bindet im nächsten Atemzug diese Tugend an ihre soziale
Glaubwürdigkeit: „wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme,
Krüppel, Lahme und Blinde ein.“ (v13)
Schämen
könnten wir uns beispielsweise über unser reiches Land, in dem
Asylsuchende keinen Platz finden - und wenn sie einen Antrag stellen
können dort untergebracht werden, wo Angst vor ihnen geschürt wird.
Jesus
sagt nicht: Du brauchst Dich nicht zu schämen! Machen wir uns nichts
vor – Gründe uns zu schämen, gäbe es genug. Wir schämen uns nur
meist aus den falschen.
Jesus
sagt aber auch nicht: Schäm Dich! Er sagt nur: „Du wirst selig
sein“ (v14), wenn Du nicht Ehre suchst, sondern in sozialer
Ehrlichkeit vor Gott stehst.
Was
hilft dazu?: „Binde uns immer mehr an dich, damit in uns wächst,
was gut und heilig ist.“
(aus
dem Tagesgebet)