Donnerstag, 29. August 2013

Scham und Ehre

Was an diesem Sonntag im Evangelium (Lk 14,7-14) von den Tischsitten des Orients zu hören sein wird, bewegt sich innerhalb einer Kultur, die uns Europäern weitgehend nur durch Einwanderer aus dem Nahen Osten bekannt sein dürfte. Es geht um Vorstellungen von Scham und Ehre, die immer dann unrühmlich in unserer Lebens- und Medienwelt auftauchen, wenn es um so genannte Ehrenmorde und um emotional entgleiste Reaktionen auf Verletzungen des Stolzes geht, mit denen wir wenig anfangen können. Es sind Bestandteile einer Schamkultur, in der das öffentliche Ansehen handfest verteidigt werden muss und in der eine Menge Tabus walten, die mit traditionellen Vorstellungen von Hierarchien und Grenzsetzungen zu tun haben.

Zu Tisch, zu Tisch!
Wir haben dies durch die europäische Aufklärung und ihre Kritik an vielerlei überkommenen Autoritäten, durch die zivilisatorischen Brüche des 20. Jahrhunderts mit den aus Nationalstolz und Ideologie resultierenden Grausamkeiten und nicht zuletzt durch die Bewegungen seit den 60er Jahren und dem Abwerfen alten Ballastes weitgehend abgelegt. Viele Formalitäten im Umgang, die meisten Loyalitäten und Pflichtgefühle sind uns fremd.

Und doch: wenn Jesus im Lukasevangelium von der Reihenfolge bei Tisch spricht und es um die hervorgerufenen Gefühle geht, kennen wir diese auch. Wir kennen die Ehrenplätze, das Beschämtsein oder Hervorgehobenwerden vor Anderen (vv8-10).
Denn immerhin unsere soziale Rolle ist uns wichtig: Positiv genannt werden. Sich sehen lassen können. Nicht öffentlich niedergemacht werden.

Doch Gott kehrt die Rollen um – unser menschliches Bedürfnis nach Anerkennung und Belobigung wird nicht durch unsere Gottesbeziehung befriedigt. Religionsausübung soll für Christen nicht mit dem Wunsch nach öffentlicher Lobhudelei einhergehen. „Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt“ (v11) – das gilt auch für die strategische Selbsterniedrigung, die die darauf folgende Erhöhung immer schon im Blick hat. Bei Gott kommen wir an, wenn es uns gerade nicht darum geht.

Vielleicht ist die säkulare Gesellschaft damit tatsächlich der bessere Ort für Christen – hier gibt es außer einem müden Lächeln nichts zu gewinnen für den, der am Sonntag in die Kirche geht oder einen offenen Beichtstuhl sucht.
Zugleich zeigt sich auch in dieser Gesellschaft ein Bewusstsein für „konservative“ Werte: Demut und Bescheidenheit kommen an, wenn das Gegenbild bischöfliche Luxussanierungen und Erste-Klasse-Flüge sind.

Jesus bindet im nächsten Atemzug diese Tugend an ihre soziale Glaubwürdigkeit: „wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein.“ (v13)
Schämen könnten wir uns beispielsweise über unser reiches Land, in dem Asylsuchende keinen Platz finden - und wenn sie einen Antrag stellen können dort untergebracht werden, wo Angst vor ihnen geschürt wird.
Jesus sagt nicht: Du brauchst Dich nicht zu schämen! Machen wir uns nichts vor – Gründe uns zu schämen, gäbe es genug. Wir schämen uns nur meist aus den falschen.
Jesus sagt aber auch nicht: Schäm Dich! Er sagt nur: „Du wirst selig sein“ (v14), wenn Du nicht Ehre suchst, sondern in sozialer Ehrlichkeit vor Gott stehst.

Was hilft dazu?: „Binde uns immer mehr an dich, damit in uns wächst, was gut und heilig ist.
(aus dem Tagesgebet)