Die Beispiele Jesu im heutigen
Evangelium (Lk 15,1-10) drehen sich um unterschiedliche Wertigkeiten
– die Verlorenen werden von ihm so hoch geschätzt, dass daneben
sogar das sicher Besessene verblasst.
Der Kontext dieser Aussagen ist ein
Streitgespräch mit Schriftgelehrten, die sich darüber aufregen,
dass Jesus mit Zöllnern und sonstigen Sündern abgibt. Der Prediger
verglich dieses Vorgehen Jesu im heutigen Gottesdienst am Rande
damit, dass es so wäre, wenn wir uns mit AfD-Leuten zusammen an den
Tisch setzen würden.
Freund oder Feind? Rüdersorf bei Berlin, 2015. |
Dadurch kam mir folgender Gedanke:
Jesus setzt durch seine Gleichnisse vom
verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme das Freund-Feind-Schema
außer Kraft, das ihm die Pharisäer aufzwingen wollen. Dabei meinen
die es sicher nicht schlecht: der gute Ruf und die Glaubwürdigkeit
eines Menschen bemisst sich eben auch daran, in wessen Gesellschaft
er sich begibt. Doch Jesus lässt sich nicht darauf ein.
Das Verhältnis einer
liberal Gesellschaft zu ihren
autoritär-nationalistischen Schmuddelkindern (seien es die Neuen
Rechten in Pegida oder AfD, seien es die Putin-Verehrer oder die
Antisemiten und Rassisten in verschiedenem Gewand) wird leider oft geprägt von
deren radikaler Systemkritik. Die vom rechten Rand ausgehenden
Abwertungen eines ökologisch, emanzipiert und liberal ausgerichteten
Mainstreams verwandeln sich in Geschosse, die, kaum angekommen, schon
wieder zurückgeschmissen werden. Duch die gegenseitige Dämonisierung
wird jegliches Gespräch verunmöglicht. So gesehen auch bei der
Nachwahlberichterstattung am letzten Wochenende oder im derzeitigen
Berliner Wahlkampf. So berechtigt die Abgrenzung der extremistischen
Positionen ist – Jesu Herangehensweise ist anders.
Er sieht die Verlorenen als Menschen,
die es verdient haben, zurückgeholt zu werden. Doch das schafft man
nicht mit Abwertung. Und übrigens auch nicht damit, dass man die
ganze Herde in CSU-Manier nun nach rechts außerhalb der Weide ziehen
würde. Nein, Jesus heißt das Verhalten der "Zöllner und
Sünder" zwar nicht gut, aber er wertet sie auch nicht als
Personen ab, sondern will sie dadurch zurückholen, dass er sich zu
ihnen setzt.
Das ist ein Risiko. Er selbst
vergleicht es mit dem Schäfer, der die 99 Schafe zurücklässt, um
dieses eine zu suchen. Vielleicht haben nicht alle der 99 Lust
darauf, von einem solchen Schäfer gehütet zu werden. Doch ihm geht
es eben um die zu Suchenden – nicht aber um Feinde!
Ob das Freund-Feind-Denken nun also von
den schwarzen Schafen oder vom Establishment ausgeht: Christen
sollten sich nicht darauf einlassen und ihr Denken und Argumentieren
bei allen Missverständlichkeiten nicht von Feindschaft, sondern vom
göttlichen Vorbild des Überzeugens durch Nachgehen prägen lassen. Durch Aggression jedenfalls lassen sich die Wenigsten überzeugen.
Abgrenzung oder Umarmung? Treptow, Berlin, 2015. |