Sonntag, 11. September 2016

Schwarze Schafe sind keine Feinde!

Die Beispiele Jesu im heutigen Evangelium (Lk 15,1-10) drehen sich um unterschiedliche Wertigkeiten – die Verlorenen werden von ihm so hoch geschätzt, dass daneben sogar das sicher Besessene verblasst.
Der Kontext dieser Aussagen ist ein Streitgespräch mit Schriftgelehrten, die sich darüber aufregen, dass Jesus mit Zöllnern und sonstigen Sündern abgibt. Der Prediger verglich dieses Vorgehen Jesu im heutigen Gottesdienst am Rande damit, dass es so wäre, wenn wir uns mit AfD-Leuten zusammen an den Tisch setzen würden.

Freund oder Feind? Rüdersorf bei Berlin, 2015.
Dadurch kam mir folgender Gedanke:
Jesus setzt durch seine Gleichnisse vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme das Freund-Feind-Schema außer Kraft, das ihm die Pharisäer aufzwingen wollen. Dabei meinen die es sicher nicht schlecht: der gute Ruf und die Glaubwürdigkeit eines Menschen bemisst sich eben auch daran, in wessen Gesellschaft er sich begibt. Doch Jesus lässt sich nicht darauf ein.

Das Verhältnis einer liberal Gesellschaft zu ihren autoritär-nationalistischen Schmuddelkindern (seien es die Neuen Rechten in Pegida oder AfD, seien es die Putin-Verehrer oder die Antisemiten und Rassisten in verschiedenem Gewand) wird leider oft geprägt von deren radikaler Systemkritik. Die vom rechten Rand ausgehenden Abwertungen eines ökologisch, emanzipiert und liberal ausgerichteten Mainstreams verwandeln sich in Geschosse, die, kaum angekommen, schon wieder zurückgeschmissen werden. Duch die gegenseitige Dämonisierung wird jegliches Gespräch verunmöglicht. So gesehen auch bei der Nachwahlberichterstattung am letzten Wochenende oder im derzeitigen Berliner Wahlkampf. So berechtigt die Abgrenzung der extremistischen Positionen ist – Jesu Herangehensweise ist anders.

Er sieht die Verlorenen als Menschen, die es verdient haben, zurückgeholt zu werden. Doch das schafft man nicht mit Abwertung. Und übrigens auch nicht damit, dass man die ganze Herde in CSU-Manier nun nach rechts außerhalb der Weide ziehen würde. Nein, Jesus heißt das Verhalten der "Zöllner und Sünder" zwar nicht gut, aber er wertet sie auch nicht als Personen ab, sondern will sie dadurch zurückholen, dass er sich zu ihnen setzt.
Das ist ein Risiko. Er selbst vergleicht es mit dem Schäfer, der die 99 Schafe zurücklässt, um dieses eine zu suchen. Vielleicht haben nicht alle der 99 Lust darauf, von einem solchen Schäfer gehütet zu werden. Doch ihm geht es eben um die zu Suchenden – nicht aber um Feinde!

Ob das Freund-Feind-Denken nun also von den schwarzen Schafen oder vom Establishment ausgeht: Christen sollten sich nicht darauf einlassen und ihr Denken und Argumentieren bei allen Missverständlichkeiten nicht von Feindschaft, sondern vom göttlichen Vorbild des Überzeugens durch Nachgehen prägen lassen. Durch Aggression jedenfalls lassen sich die Wenigsten überzeugen.

Abgrenzung oder Umarmung? Treptow, Berlin, 2015.