Was nützt es uns heute, dass Gott sich
vor 2000 Jahren in Jesus Christus gezeigt hat und was hat es mit
unserem Leben zu tun?
So müssen sich wohl viele
Nichtchristen (und Christen) fragen, denen nicht spontan ein
tragfähiger Sinn aus der Gottesoffenbarung in Jesus Christus
aufgeht. Zudem scheint sich der kirchliche Ballast theologischer
Gedankengebäude aus vielen Jahrhunderten zwischen uns und dieses
Ereignis zu drängen, so dass ein persönliches Angesprochensein
durch Jesus Christus und seine Botschaft noch schwieriger wird.
Wenn sich in unsicheren Zeiten dann
theologisch konservative Gruppen verstärkt auf den Wert kirchlicher
Traditionen berufen, stellt sich die Frage, wie die Botschaft von
Jesus noch als persönliches Wort an einen Menschen im Heute ankommen
kann.
Klarer Blick. Blumenstiele, 2015. |
Angesichts dieser Konstellation hat
sich Hans Urs von Balthasar in seinen frühen Jahren einige Gedanken
in der Schrift "Schleifung der Bastionen" gemacht,
die ich auch heute noch für bedenkenswert halte. Als Basis des
Christseins zeigt er die unmittelbar persönliche Inanspruchnahme
durch Gott selbst auf, die sich nicht hinter den (unweifelhaft
großen, aber eben auch oft missgreifenden) Zeugnissen der
Vergangenheit verstecken darf. Wir sehen, "daß alles vordem
Realisierte noch nicht das ist, was Christus jetzt, unmittelbar von
mir, von dir, von unserer Generation verlangt, daß Geschichte für
diese Stunde keine Lösung weiß (aus dem einfachen Grunde, weil sie
Geschichte und nicht Gegenwart ist) und daß durch dieses Nichtwissen
der Geschichte der Blick frei wird auf das Evangelium".1
Dieser freie Blick auf das Evangelium
und die Ur-Kunde von Jesus ist das Entscheidende, das hilft, das von
uns "verlangte" zu erkennen. Selbstverständlich
soll man sich gerade darum auch mit der theologischen Tradition (in
ihren hilfreichen und problematischen Aussagen) auseinandersetzen –
diese darf aber nicht zum Eigentlichen werden. Mit den Worten von
Balthasars: "Tradition innerhalb des christlichen Denkens und
Lebens kann nichts anderes sein: sich von der geistigen Kraft der
frühern Generationen tragen zu lassen, um selber lebendig dem
Mysterium zu nahen".2
Der freie Blick soll zur eigenen
Begegnung führen. Es geht damit um christliches Leben und Denken im
Heute, das die Tradition durchaus ernsthaft zur Kenntnis nimmt, sich
aber nicht von ihren Begriffen und Gedanken bestimmen lässt, sondern
Gott selbst in dieser Zeit findet.
Das bedeutet "das Herabsteigen
der Kirche in die Fühlung mit der Welt",3
eine Solidarisierung mit der Gegenwart, die später in den Worten des
Zweiten Vaticanums in der Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes"
neu begegnet: "es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das
nicht in ihren [der Christen] Herzen Wiederhall fände." (GS
1)
Leider trifft sich dieser Anspruch auch
heute nicht immer mit der Wirklichkeit. Gerade deshalb können von
Balthasars Gedanken immer noch helfen, weder die Gegenwart noch eine
Tradition absolut zu setzen, sondern sich ganz auf die stets
frisch-gegenwärtige Quelle seiner Anwesenheit unter den Menschen
auszurichten.
Mehr Transparenz. Eisfläche auf der Spree, Berlin, 2014. |
1 H.U.
v. Balthasar, Schleifung der Bastionen. Von der Kirche in dieser
Zeit. 5. Aufl. Einsiedeln, Trier 1989, 16.
2 Ebd.,
21f.