Samstag, 17. Juli 2021

Vom Ruhen und Aufbrechen, von Orientierung und Sorge. Predigt im Gefängnis

 

Vorbemerkung: So erschreckend ich die katastrophalen Bilder und Berichte aus den aktuell überfluteten Gebieten Deutschlands finde, so wenig halte ich sie für relevant in der Realität des Lebens in einem Berliner Gefängnis, weshalb ich dieses Thema nicht in der Predigt, sondern nur in den Fürbitten thematisiert habe.


Heute möchte ich auf drei unterschiedliche Perspektiven hinweisen, die uns im Evangelium des Sonntags (Mk 6,30-34) etwas sagen können: Da sind einmal die Jünger, da sind die Leute, die Jesus suchen und da ist Jesus selbst.

  1. Ruhen

Ersehnen wir sie nicht alle, die Ruhe nach einer stressigen Zeit?

Ruhe finden.
Flüchtlingsunterkunft,Tempelhofer Feld, Berlin, 2018.
Die Apostel waren im Auftrag Jesu unterwegs und kehren nun zu ihm zurück. Jesus hatte sie ausgesendet, damit sie Dämonen austreiben, Kranke heilen und das Reich Gottes verkünden (Mk 6,7-13). Wer letzten Sonntag in der Kirche war, konnte das schon hören.

Nun scheinen die Apostel ziemlich kaputt zu sein, so dass Jesus sie auffordert, sich auszuruhen.
Und auch Sie kennen das, im Gefängnis gibt es ja genügend stressige Momente.
Aber wann kommen Sie zur Ruhe? Wann können Sie innerlich mal aussteigen aus dem Alltag? Und was hilft Ihnen dabei?
Ich selbst bezweifle ja, dass der Fernseher eine gute Methode ist um zur Ruhe zu kommen. Auch die Rauchwaren, auf die manche Leute ja zurückgreifen, sind wahrscheinlich nicht die beste Lösung.
Manchmal kann man eine Minute auf dem Bett nutzen. Einfach mal durchatmen, sich bewusst sagen, "Jetzt habe ich Pause" und den Moment genießen. Fortgeschrittene schaffen das auch beim Anstehen an der Unterzentrale, bevor es losgeht zu Arbeit oder beim Warten vor der Tür des Sozalarbeiters oder sonstwann. Durchatmen – Pause machen.

Das kann so ein Moment sein, zu dem wir uns von Gott einladen lassen, so wie Jesus die Jünger dazu einlud.

Aber genauso wie es bei Jesus nicht klappte und er einen anderen Ort suchte, wird es auch bei uns nicht immer klappen, dass wir wirklich zur Ruhe kommen. Dann müssen wir uns einen besseren Zeitpunkt suchen.
Aber ich kann es ihnen nur empfehlen, unterbrechen Sie das, was Sie tun, ab und zu mal um auszuruhen.


  1. Aufbrechen

Ruhe ist wichtig. Und doch, wenn wir auf die anderen Protagonisten dieses Evangeliums schauen, nämlich auf die Leute, die Jesus suchen, dann gerät noch etwas anderes in den Blick: Gibt es nicht genügend gute Gründe, die uns in Bewegung bringen?

Diesen Leuten war der Kontakt zu Jesus anscheinend so wichtig, dass sie lange Märsche auf sich genommen haben, dass sie sich gedrängt haben, dass sie angestanden haben, nur um einen Moment mit Jesus zu haben.

Von Jesus muss also damals eine starke Faszination ausgegangen sein. Er war der Grund, warum die Apostel ihre Familien verlassen haben. Er ist immer noch der Grund, warum auch heute junge (aber auch ältere) Menschen sich entscheiden, ihr altes Leben aufzugeben und neu aufzubrechen. Die Apostel taten das und die Jünger tun dies bis heute, weil sie in ihrem Innern einen Ruf spüren.

Bewegung.
Polnische Ostsee, 2019.
Darum auch hier die Frage an Sie: Was bringt Sie in Bewegung? Was lässt Sie aufbrechen? Gibt es etwas, das Sie motiviert, noch einmal neu loszugehen?

Für viele ist es sicher der Wunsch nach einem gelingenden Leben – nach einem Leben, das nicht in diese Wände hier führt. Für andere ist es die Familie, die eine starke Motivation für einen Aufbruch darstellt.

Denn das ist es ja, was Gott sich von uns wünscht – dass wir aufbrechen und uns auf den Weg machen. Und er will natürlich noch mehr: Er wünscht sich, dass wir uns auf den Weg machen zu ihm.
Und hier wird der letzte Punkt wichtig.


  1. Orientieren

Nun können wir auf Jesus schauen. Als er sieht, wie viel Energie diese Menschen aufgewendet haben, um in seine Nähe zu kommen, wendet er sich ihnen zu. Sie haben viele Entbehrungen auf sich genommen, um ihn zu treffen. Als er sie sieht, hat er Mitleid.

Und er "lehrte sie lange" (v34). Das heißt, er gibt ihnen die Orientierung, die ihnen fehlt. Er gibt ihnen, was sie brauchen.

Ausruhen oder aufbrechen – das hat alles seine Zeit. Doch egal ob ruhen oder losgehen, es bleibt immer die Frage: Was gibt Ihnen Orientierung? Wonach entscheiden Sie, was dran ist? Nach welchen Kriterien richten Sie Ihr Leben aus?

Auch wenn nicht berichtet wird, was Jesus genau lehrte, können wir es aus dem Rest der Evangelien schlussfolgern: Jesus schlug damals vor, die jüdische Tora als Grundlage zu nehmen und sich dann an ihm auszurichten.

Und das bleibt auch für uns heute eine Möglichkeit: Gottes lange Geschichte mit seinem Volk Israel im Hinterkopf zu haben und dann auf Jesus zu schauen. Er zeigte in seinem Leben, was seine Lehre war.
Heute haben wir von einigen Aspekten gehört: Er wollte für seine Apostel sorgen und ihnen Ruhe verschaffen. Dann hatte er Mitleid mit denen, die zu ihm kommen wollten. Und er sorgt für sie.

Wollten wir also aus diesem kurzen Text etwas mitnehmen zur Orientierung für uns, dann wäre es die Sorge für unsere Mitmenschen. 

 

Diese drei Perspektiven kann uns das Evangelium heute also mitgeben:
Ruhe finden. In Bewegung kommen. Uns orientieren an Jesus und seiner Sorge für seine Nächsten.

Sorgen für das Lebendige.
Neukölln, 2021.


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