Freitag, 18. April 2014

Karfreitag - Ein Fisch, ein Brief, ein Grab

Jesu Tod wird durch verschiedenste Brillen gesehen und mit vielerlei Deutungen aufgeladen. Drei Möglichkeiten hier.

Treppen-Abgang, Haus des Evangelischen Werks
für Diakonie und Entwicklung, Berlin, 2014.
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Mit dem Ende der Sowjetunion standen viele Menschen vor ihrem gesellschaftlichen Tod, andere atmeten zum ersten Mal frei und fühlten sich wie neu geboren. Die Mehrheit dürfte zwiespältig gefühlt haben und fand im Tod des Althergebrachten nicht so einfach ein Sprungbrett für das Neuentstehende:

"Freiheit. Fisch, du bist frei! Aber wie? Wir hatten gelernt, im kleinen Becken zu schwimmen, nun war der Stöpsel raus, der Wasserpegel sank unabwendbar. Nun wälzten wir uns wie flinke junge Fische im Trockenen, hüpften unbeholfen in die Höhe und plumpsten gleich wieder zurück."1

Menschen stehen vor der Frage, wieviel Umbruch und wieviel Freiheit sie überstehen, welcher Tod ihnen Leben gibt, wieviel Verwesung er beinhaltet. Der Tod kann zeigen, dass Leben nicht mehr so wie bisher, wohl aber anders möglich ist.

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Denn stetig scheinen die Fronten zu wechseln, die Verlierer von gestern sind die Sieger von heute, die Opfer werden Richter, Tote erscheinen als Märtyrer oder als gerächte Bestien. Aus dem Brief eines Rotarmisten in die Heimat, den Walter Kempowski für Mitte April 1945 in sein "Echolot" aufnahm:

"Guten Tag, liebe Dora!
Diesen Gruß sende ich Dir, meine Liebe, aus ... Berlin!
Ja, ja, aus der Hauptstadt Deutschlands, Berlin. Berlin brennt, von ihm sind nur noch Ruinen übrig, unter Tränen gehen auf den Straßen Frauen und Herren Richtung Osten. Wenn schon, sollen sie weinen, schließlich haben sie fast vier Jahre lang gelacht. Ganz Berlin besteht aus Ruinen, wir rücken ununterbrochen voran. Ich bin einstweilen gesund und munter und liebe Dich wie zuvor heiß und treu.
Wann werden wir uns sehen? Bald, wie es scheint, aber ... wenn bloß alles gut geht.
Ich küsse Dich herzlich
Dein Ljoschka"2

Ebenso kamen im Kreuz Jesu über die Jahrhunderte hinweg Rachegelüste und intimste Liebe zusammen, ähnlich wie in den Grüßen des Soldaten. Lange war das Kreuz Zeichen einer unterdrückten Minderheit, an dem man sich aufrichten konnte, es wurde Siegeszeichen imperialer Mächte, blutige Standarte von Kolonialismus und Antisemitismus, ein Symbol des Leides, aber auch der Hoffnung.

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Was der Tod bringt, ist eine alte, natürlich unbeantwortete Menschenfrage. Nüchterner Naturalismus bleibt als Antwort unbefriedigend. Aber desavouiert ihn das? Welchen Grund hat demgegenüber die Hoffnung? Nelly Sachs hat es in Gedichtform gebracht:

"Sind Gräber Atempause für die Sehnsucht?
Leiseres Schaukeln an Sternenringen?
Agonie im Nachtschatten,
bevor die Trompeten blasen
zur Auffahrt für alle,
zum Leben verwesenden Samenkörner?

Leise, leise,
während die Würmer
die Gestirne der Augäpfel verzehren?"3

Auch Jesu Tod als Pause. Stille. Warten.

Nagel-Stein, Britzer Garten, Neukölln, Berlin, 2014.


1   N. Veremej, Berlin liegt im Osten. Salzburg und Wien 2013, 139.
2
   Zit. nach: W. Kempowski, Das Echolot. Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch. München 2007, 194.
3
   N. Sachs, Gedichte. Frankfurt a.M. 1977, 60.