Jesu Tod wird durch verschiedenste
Brillen gesehen und mit vielerlei Deutungen aufgeladen. Drei
Möglichkeiten hier.
Treppen-Abgang, Haus des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung, Berlin, 2014. |
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Mit dem Ende der Sowjetunion standen
viele Menschen vor ihrem gesellschaftlichen Tod, andere atmeten zum
ersten Mal frei und fühlten sich wie neu geboren. Die Mehrheit
dürfte zwiespältig gefühlt haben und fand im Tod des
Althergebrachten nicht so einfach ein Sprungbrett für das
Neuentstehende:
"Freiheit. Fisch, du bist frei!
Aber wie? Wir hatten gelernt, im kleinen Becken zu schwimmen, nun war
der Stöpsel raus, der Wasserpegel sank unabwendbar. Nun wälzten wir
uns wie flinke junge Fische im Trockenen, hüpften unbeholfen in die
Höhe und plumpsten gleich wieder zurück."1
Menschen stehen vor der Frage, wieviel
Umbruch und wieviel Freiheit sie überstehen, welcher Tod ihnen Leben
gibt, wieviel Verwesung er beinhaltet. Der Tod kann zeigen, dass Leben nicht mehr so wie bisher, wohl aber anders möglich ist.
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Denn stetig scheinen die Fronten zu
wechseln, die Verlierer von gestern sind die Sieger von heute, die
Opfer werden Richter, Tote erscheinen als Märtyrer oder als gerächte
Bestien. Aus dem Brief eines Rotarmisten in die Heimat, den Walter
Kempowski für Mitte April 1945 in sein "Echolot" aufnahm:
"Guten Tag, liebe Dora!
Diesen Gruß sende ich Dir, meine Liebe, aus ... Berlin!
Diesen Gruß sende ich Dir, meine Liebe, aus ... Berlin!
Ja, ja, aus der Hauptstadt
Deutschlands, Berlin. Berlin brennt, von ihm sind nur noch Ruinen
übrig, unter Tränen gehen auf den Straßen Frauen
und Herren Richtung
Osten. Wenn schon, sollen sie weinen, schließlich haben sie fast
vier Jahre lang gelacht. Ganz Berlin besteht aus Ruinen, wir rücken
ununterbrochen voran. Ich bin einstweilen gesund und munter und liebe
Dich wie zuvor heiß und treu.
Wann werden wir uns sehen? Bald, wie
es scheint, aber ... wenn bloß alles gut geht.
Ich küsse Dich herzlich
Dein Ljoschka"2
Ebenso kamen im Kreuz Jesu über die Jahrhunderte hinweg Rachegelüste und intimste Liebe zusammen, ähnlich wie in den Grüßen des Soldaten. Lange war das Kreuz Zeichen einer unterdrückten Minderheit, an dem man sich aufrichten konnte, es wurde Siegeszeichen imperialer Mächte, blutige Standarte von Kolonialismus und Antisemitismus, ein Symbol des Leides, aber auch der Hoffnung.
3
Was der Tod bringt, ist eine alte,
natürlich unbeantwortete Menschenfrage. Nüchterner Naturalismus bleibt als
Antwort unbefriedigend. Aber desavouiert ihn das? Welchen Grund hat
demgegenüber die Hoffnung? Nelly Sachs hat es in Gedichtform
gebracht:
"Sind Gräber Atempause für
die Sehnsucht?
Leiseres Schaukeln an Sternenringen?
Agonie im Nachtschatten,
bevor die Trompeten blasen
zur Auffahrt für alle,
zum Leben verwesenden Samenkörner?
Leise, leise,
während die Würmer
die Gestirne der Augäpfel
verzehren?"3
Auch Jesu Tod als Pause. Stille. Warten.