Gerade habe ich einen Oasentag für das
Kollegium einer katholischen Grundschule in Berlin gestaltet. Orte
der Veranstaltung waren der Gemeindesaal und die Kirche von St.
Canisius im Berliner Stadtteil Charlottenburg.
Weil ich die Architektur und
Ausgestaltung dieses Kirchenneubaus von 2002 so schön finde, habe
ich mir aus diesem Anlass einige Gedanken dazu gemacht und
aufgeschrieben.
Blick nach außen. St. Canisius, Berlin, 2016. |
Raumgestalt
Zwei riesige Betonquader bilden die
heutige Kirche – bestehend aus einem offenen und einem
geschlossenen Raum. Wer sich in dem lichten hohen und zugleich
geschlossenen Raum befindet und durch die riesige Glasfront nach
draußen in den offenen Raum schaut, sieht einen im besten Sinne des
Wortes unnützen Raum. Für eine normale liturgische Feier ist er
schlicht überflüssig. So kann man zu unterschiedlichen
Einschätzungen kommen, ob es sich hierbei um einen einzigen, aber
halbierten Kirchenraum oder um einen "richtigen" nur innen
liegenden Kirchenraum oder um zwei Kirchenräume handelt.
Wie auch immer man seinen inneren Blick
einstellt, immer handelt man sich dabei die Frage ein, als was dieser
offene Raum da draußen anzusehen ist: als Verbindung mit der Welt
und damit als Schritt aus einem geschlossenen Denkkreis in größere
Offenheit – oder aber als trennender Riss, der durch die
Möglichkeit des Blickes hinaus schmerzlich bewusst macht, dass die
Welt da draußen anders tickt als die Kirche drinnen.
Altar
Beides, Verbindung und Trennung, werden
durch die Altargestalt (eine Arbeit des Bildhauers Guy Charlier)
betont. Denn der nahezu rohe Block aus burgundischem Kalkstein, der
im Kirchenraum steht, findet sein Gegenüber im Altar-Block des
offenen Raumes.
Es gilt dasselbe wie eben: Das kann
verbindend wirken – die Kirche hat einen Stand in der Welt draußen.
Oder auch trennend – da ist etwas abgebrochen.
Es kommt auf die eigene Perspektive an,
was ich sehe. Und ob ich diese meine Sicht auf die Welt im Prozess
der Aneignung des Raumes anfragen lasse.
Außenraum bei Nacht. St. Canisius, Berlin, 2016. |
Und diese Perspektive vermag auch
Einfluss auf mein Gottesbild zu haben. Bete ich mit dem Psalmisten:
"Sei mir ein schützender Fels, eine feste Burg, die mich
rettet." (Ps 31,3), dann ist eben fraglich, ob Gott mir ein
zerbrochener Fels ist, der keinen Schutz mehr gewähren kann – oder
ob er mir ein gespaltener Fels ist, der im Binnenraum der Kirche
anders ist als außen – oder ob gerade diese göttliche
Allgegenwart außen und innen seine Stärke ist...
Letzteres wäre ganz im Sinne einer
Jesuitenkirche, heißt doch ein spirituelles Motto dieses Ordens
"Gott in allen Dingen suchen und finden".1
Der Boden
Noch etwas anderes hilft, die
Raumgestalt weiter zu erschließen: wenn ich mich entscheide, auch
den offenen Raum als Teil des Kirchenraumes anzusehen, dann wird die
Welt dadurch in die Kirche hineingeholt.
Diese Sichtweise würde bestätigt,
wenn man den Boden der Kirche in ähnlicher Weise deutet.
Die Kirche wurde als "Kirche am
Weg" konzipiert, was gestalterisch besonders durch die Aufnahme
des Straßenpflasters als Boden der Kirche aufgenommen wird.
Auf diese Weise holt die Architektur
den Alltagsboden in den heiligen Raum hinein. Die Besucherinnen und
Besucher der Kirche können also auf dem gleichen Grund stehen, wenn
sie innerhalb und wenn sie außerhalb der Kirche mit Gott in Kontakt
treten. Gottesdienst und Alltag, Beten und Arbeiten, Feiern und Leben
gehören zusammen. Da ist kein grundsätzlicher Unterschied zwischen
dem Innenraum und dem Außenraum.
Wahrscheinlich ist draußen auf der
Straße auch ein guter Ort, um Jesus zu finden. Immerhin hat Jesus
von sich gesagt: "Ich bin der Weg" (Joh 14,6) und
nicht "Ich bin der Sakralbau". Dementsprechend werden auch
seit einigen Jahren "Straßenexerzitien" angeboten.
Der Goldgrund
Von einer weiteren Seite nähert sich
ein Bildwerk im Kirchenraum dem Verhältnis von profan und sakral.
Wenn schon durch den Straßenboden in der Kirche daran erinnert wird,
dass das Heilige sich im Profanen finden lässt, dann geht diese
spezifische "Sehfelderweiterung" weiter im Bild "Golden
field" von Winfried Muthesius.
Im Rahmen des Ökumenischen Kirchentags
in Berlin 2003 entstanden, weist es, ebenso wie der goldene
Hintergrund orthodoxer Ikonen, auf die Aufladung einer Situation mit
religiösem Gehalt hin. Die Ikonen zeigen das Auftreten einer
besonders vom göttlichen Glanz durchstrahlten Person mit dem
Goldgrund an.
Ähnliches lässt sich hier denken: Das
Bild erinnert an den göttlichen Goldgrund, vor dem wir alles
betrachten dürfen – nicht nur das Brot, das der Priester bei der
Wandlung vor dem goldenen Feld erhebt.
Blick zum Altar. St. Canisius, Berlin, 2016. |
Alles nämlich lässt sich unter der
Perspektive der göttlichen Liebe sehen, die alles immerfort umgibt:
meine nervigen Arbeitskollegen, die schwierige Weltlage, der Bettler
in der S-Bahn, jene quengelnde Kinder dort oder der trottelige
Autofahrer vor mir.
Ignatius von Loyola versucht im
Exerzitienbuch diesen Goldgrund des Lebens in seiner "Betrachtung
zur Erlangung der Liebe" hervorzuheben.
Der Exerzitant bekommt dort anfangs die
Anweisung, er solle um "innere Erkenntnis von soviel
empfangenem Guten bitten, damit ich, indem ich es gänzlich
anerkenne, in allem seine göttliche Majestät lieben und ihr dienen
kann." (GÜ 233) Denn wer das Gute im eigenen Leben und in
der ganzen Welt sieht und sich die "empfangenen Wohltaten von
Schöpfung, Erlösung und besonderen Gaben ins Gedächtnis"
(GÜ 234) bringt, so die Prämisse des Ignatius, der wird durch diese
Dankbarkeit ganz von selbst zur Liebe geführt.
Wenn einer Gottes Güte zu sehen
vermag, wird er auch Gottes Liebe leuchten sehen und selber zu
leuchten beginnen.
Der Lichtschacht am Tabernakel
Das führt nun zu einem letzten Ort im
Kirchenraum, den ich bemerkenswert finde.
Über dem Tabernakel scheint ein
weiterer Gedanke aus der genannten Betrachtung aufgenommen worden zu
sein. Gedanklich ist das zwar etwas konventionell, aber dafür mit
hohem architektonischen Aufwand und beachtlicher ästhetischer
Wirkung in Szene gesetzt.
Wenn genau dort, wo das Allerheiligste
aufbewahrt wird, ein Lichtweg sich von oben nach unten erstreckt,
klingen nämlich folgende Anweisungen an den Betenden sehr
einleuchtend: "Schauen, wie alle Güter und Gaben von oben
herabsteigen, etwa meine bemessene Macht von der höchsten und
unendlichen von oben, und genauso Gerechtigkeit, Güte,
Freundlichkeit, Barmherzigkeit usw.; so wie von der Sonne die
Strahlen herabsteigen, vom Quell die Wasser usw." (GÜ 237)
Blick nach oben. St. Canisius, Berlin, 2016. |
Genau diese himmlische Geschenkstruktur
der Welt ist hier wohl gebaut worden.
Die Verbindung zwischen Himmel und Erde
wird dort, wo sich das gewandelte Brot befindet, in ein besonderes
Licht getaucht; oder auch: der Himmel ist offen dort, wo die Hingabe
Jesu sich in der eucharistischen Gestalt kristallisiert.
Alles in allem ein (von den Architekten
sicher nicht in dieser Weise angezielt, aber nichtsdestotrotz)
überaus ignatianisch inspirierender und beeindruckender Ort des
Gebets und der gottesdienstlichen Feier.
1 Vgl.
dazu den Brief des Ignatius vom 1. Juni 1551 an Antonio Brandão:
"Sie [die Studenten] können sich
... darin üben, die Gegenwart unseres Herrn in allen Dingen zu
suchen, wie im Umgang mit jemand, im Gehen, Sehen, Schmecken, Hören,
Verstehen und in allem, was wir tun; denn es ist wahr, daß seine
göttliche Majestät durch Gegenwart, Macht und Wesen in allen
Dingen ist“ In: Ignatius
von Loyola: Briefe und Unterweisungen. Übers. von Peter Knauer.
Würzburg 1993, 346-353, hier 350.