Dieser Tage hat Papst Franziskus in
Schweden eine aktualisierte Fortschreibung der Seligpreisungen
angeboten, die ich sehr ansprechend finde und die es wert wäre, hier
besprochen zu werden. Ich möchte an dieser Stelle aber nur darauf
hinweisen (hier)
und den Anlass lieber nutzen, um eine ältere Reformulierung der
Seligpreisungen vorzustellen, die von dem bereits erwähnten
galizischen Autor Avraham Ben Yitzhak stammt.
Die folgenden, 1930 in Wien
geschriebenen Zeilen stellen die letzte Gedichtveröffentlichung des
Dichters dar.
Wohl denen, die säen und nicht
ernten1
Wohl denen, die säen und nicht
ernten
denn sie werden weit gehen.
Wohl denen, die großherzig sind,
die Herrlichkeit ihrer Jugend
vermehrte das Licht der Tage und ihr
Strahlen
und sie legten ihren Schmuck ab an
der Wegkreuzung.
Wohl den Hochmütigen, deren Hochmut
die Grenzen ihrer Seele überschritt
und wurde zur Bescheidenheit des
Weiß
nachdem der Regenbogen sich in die
Wolke erhob.
Wohl den Wissenden, deren Herz aus
der Wüste ruft
und auf ihren Lippen blüht die
Stille.
Wohl ihnen, denn sie werden
aufgenommen ins Herz der Welt
gehüllt in den Mantel des
Vergessens
und Opfer wird ihr Gesetz sein, ohne
Rede.
Wohl denen, die eine Leiter haben. Alt-Buchhorst, 2016. |
Mit ihrer pathetischen und zugleich
biblisch gesättigten Sprache lädt das Gedicht zur längeren
Betrachtung ein, denn nicht immer erschließen sich die Bilder
augenblicklich.
Drei kurze Gedanken meinerseits:
1. Die ersten beiden Seligpreisungen
erinnern mich an Jesu originale Seligpreisungen in der Bergpredigt
(Mt 5,3-12) – wer nicht für sich schafft und rafft und an sich
reißt und dabei Gewalt anwendet, der wird hier wie dort selig
gepriesen. Das hat zu tun mit der Großherzigkeit, die die Anderen im
Blick behält. (Worauf übrigens auch die Formulierungen von Papst
Franziskus besonders hinweisen – und was unser hiesiger Autor nur
ganz entfernt mitschwingen lässt.)
Wer nun also das Schmückende ablegt
und auch keine reiche Ernte (des Lebens? der Arbeit?) mit sich nimmt,
scheint durch die innere Armut und Freigiebigkeit so frei zu sein,
dass er weit kommt.
Wohl den dennoch Aufragenden. Lübbenau, 2015. |
2. Zum Widerspruch reizt zunächst die
Seligpreisung der Hochmütigen – doch wird hier die Veränderung
der solchermaßen Beschriebenen gleich mit benannt: wer die eigenen
Grenzen zu überwinden fähig ist, erreicht wahre Bescheidenheit. Mit
der Ausgangssituation des Hochmuts zusammengelesen sind hier
augenscheinlich Menschen gemeint, die große Fähigkeiten haben und
um sie wissen und dennoch wieder auf den Boden kommen. Der Bogen als
Zeichen des Bundes und die Wolke als Metapher der Gegenwart Gottes
gelesen wären dann Hinweis darauf, dass die Hochmütigen durch die
Erfahrung von Gottes Nähe zu einer demütigen Haltung gelangt sind.
Vielleicht klingt im Hintergrund die Erfahrung von jüdischen
Torah-Studierenden mit, die nach langem (charakterlich nicht immer
förderlichen) Studium der Schriften den Überschritt in die Mystik
finden.
3. Dazu würde auch passen die letzte,
zusammenfassende Formulierung von der doppelten Aussicht, im "Mantel
des Vergessens" aufgenommen zu werden "ins Herz der
Welt". Möglicherweise ein Anklang an die mystischen
Formulierungen der Gottesnähe ohne inneren Kontakt zum Davor und
Danach. Der zusätzliche Hinweis, dass es "ohne Rede"
geschehe, also in der Tat und nicht im Wort, erinnert an die
Formulierung des Ignatius aus dem Exerzitienbuch, dass "die
Liebe [...] mehr in die Werke als in die Worte gelegt werden"2
solle.
Daneben stehen das Aufgenommenwerden
und Eingehülltsein – Erfahrungen der Passivität.
Beides gehört zusammen, und beides
steht zwar in Spannung, aber nicht im Gegensatz.
Auch wenn Gott in den Zeilen nicht
explizit benannt wird, so vibriert doch seine Verwandlungskraft in
meiner Lesart immer mit.
Denn er selbst ist ja das "Herz
der Welt", die von innen blühende Stille, die Überschreitung
aller Grenzen und die Herrlichkeit in einem großen Herzen.
Wohl den Beschienenen. Schranktüren, 2014. |
1 Avraham
Ben Yitzhak, Es entfernten sich die Dinge. Gedichte und Fragmente. München, Wien 1994, 32.