Seit ich als Gefängnisseelsorger
arbeite, fragen mich immer wieder Menschen, was denn die Inhaftieren
von mir wollen, wenn sie um ein Gespräch bitten. Ob sich denn Viele
bekehren würden, ob Menschen ihr Gewissen erleichtern wollten.
Wenn ich dann sage, dass ich oft
einfach ein Bedürfnis sehe, mit jemandem zu sprechen und jemandem
ein familiäres oder ein sonstiges Problem zu erzählen oder eine
Frage loszuwerden, findet man das zwar interessant, aber eben nicht
besonders spektakulär. (Vom Wunsch nach Tabak und Kaffee einmal
abgesehen...)
Tatsächlich ist es ja eine spannende
Sache, dass aus diesem kleinen Kind, auf das wir an Weihnachten
schauen, am Ende eine Religion entstehen wird, in deren Auftrag ich
jetzt im Rahmen des Justizvollzugs tätig bin und Menschen auf einem
kleinen Abschnitt ihres Lebens begleite.
Wir feiern die Geburt dieses Mannes aus
dem Volk Israel, wegen dem ich heute einen Gottesdienst feiere und
der heute noch Menschen dazu bringt, einander ihr Leben zu erzählen,
einander ein Stück zu begleiten, einander zuzuhören.
Natürlich ist das Erzählen und Hören
nicht nur Jesus geschuldet und vielleicht könnte das auch irgendwie
anders möglich sein. Aber schon dann, wenn es allein das wäre, was
Jesu Geburt gebracht hat, dass Menschen einander mehr zuhören, wäre
das doch klasse.
Licht im Dunkel. Naumburger Dom 2015. |
Um einen Kern der christlichen
Botschaft, der das erläutern kann, darzulegen, möchte ich den
Slogan eines in diesem Jahr sehr bekannt gewordenen Mannes variieren.
Bei der Geburt Jesu geht es darum: MAKE
MANKIND GREAT AGAIN!
Nicht eine einzelne Person steht im
Fokus, nicht eine einzelne Nation (wie dieser baldige US-Präsident
ja suggeriert), sondern die Menschheit als Ganze.
Und es ist Gottes Fokus, um den es hier
geht – nicht (nur) das auserwählte Volk Israel, auch nicht (nur)
der Mann aus Nazareth, sondern die ganze Menschheit soll (wieder)
groß gemacht und aufgerichtet werden durch die Geburt dieses einen
kleinen Kindes.
1.
Im Lesungstext aus der Heiligen Nacht
heißt es, dass in der Herberge kein Platz für die werdenden Eltern
und ihr Kind war (Lk 2,7). Zum einen kann uns das natürlich ethisch
aufrütteln, dass auch wir denen, die in Not sind, helfen und einen
Platz in unserem Herzen freimachen. Zum anderen aber geht es an
dieser Stelle ja um Gott, der einen Platz bei den Menschen sucht. Und
er drängt sich nicht auf oder nimmt sich den ihm gebührenden Platz
auf irgendwelchen goldenen Kissen, sondern er sucht und fragt – und
lässt sich abweisen. Ähnliches hören wir auch im Prolog des
Johannesevangeliums, der morgen zu hören sein wird: "Er kam
in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf ."
(Joh 1,11)
Es ist nicht selbstverständlich, dass
Gott Platz findet in unseren Herzen. Aber wo es geschieht, da können
Menschen aufblühen. Das ist das, was die christliche Tradition mit
Berufung meint: wo Gott im Lebenslauf eines Menschen Gehör geschenkt
wird, wo jemand das findet, was ihn im Innersten berührt und wo er
sich selbst spüren kann, wir nennen es oft: wo jemand sich selbst
verwirklichen und seine bisher vielleicht verborgenen Fähigkeiten
aktivieren kann, dort findet Gott einen Platz – und zugleich wächst
ein Mensch aus seiner Tiefe heraus.
"Make mankind great again!"
kann also heißen: Gott findet im Menschenherzen einen Platz auf eine
Art und Weise, dass Menschen wachsen können.
2.
Diese Geburt wird den Beteiligten auf
ganz verschiedene Weise mitgeteilt: Maria wurde ein "Sohn des
Höchsten" und ein "König" (Lk 1,32f)
angekündigt. Den Hirten wird ein "Heiland" (Lk
2,11) versprochen. Josef wird im Traum der "Immanuel",
der "Gott mit uns", verkündet (Mt 1,23). Die Sterndeuter
aus dem Osten schließlich suchen den "König der Juden"
(Mt 2,2) und einen Hirten (Mt 2,6).
Und doch geht es immer um dieses eine
kleine Kind. Eine Rollenüberfrachtung und Überforderung für einen
Einzelnen, könnte man sagen.
Oder aber: Gott naht sich jedem
Menschen auf seine Weise.
Manche finden Gott in der Stille,
andere im Trubel großer Menschenmengen, die einen singen am
liebsten, andere lesen in der Schrift, manche zünden eine Kerze an,
wieder andere Weihrauch, die einen erfahren ihn in der Größe der
Natur, wieder andere beim philosophischen Nachdenken.
Alle gleich und doch alle anders. Alt-Buchhorst, 2016. |
Manch einer mag pikiert sein von der
Aussage, dass der allmächtige, große und unendliche Gott sich auf
den Bedarf eines einzelnen Menschen einlassen würde. Als würde den
Wald interessieren, was die Vögel singen.
Aber genau das ist es! Gott zeigt sich
jedem Menschen so, wie dieser es braucht. Jesus hat deshalb eine
Unmenge an Titeln mitbekommen Er wurde bezeichnet als Weg zum Leben,
als Freund in der Einsamkeit, als Retter aus Not, als stärkendes
Brot, als Revolutionär aus Galiläa, als Kämpfer gegen
Ungerechtigkeit und so fort. Und in allem bringt er Gott nahe zu den
Menschen.
"Make mankind great again!"
bedeutet dann, dass Gott jeden ganz individuell anspricht, dass Gott
sich von jedem Menschen so finden lässt, wie dieser ihn sucht.
3
Gerade in Zeiten, in denen viel
Schreckliches geschieht, kann Weihnachten eine Ermutigung sein:
"Gegen die Schrecken der Welt wird diese Gotteserzählung
gesetzt." Die Antwort auf die Frage, warum Gott denn Mensch
geworden ist, kann darum lauten, "dass Gott selbst als Mensch
dieser Hoffnung, dass die Schrecken der Geschichte und der Tod nicht
das letzte Wort über den Menschen haben werden, ein unverbrüchliches
Zeichen setzen wollte".1
Wenn man sich anschaut, wie die
ärmliche Geschichte dieses obdachlosen Kindes Jesus weitergeht, mit
kleineren Erfolgen und einer bescheidenen Anhängerschaft aus
Fischern, Zöllnern und Bauern, mit einer Botschaft, die ihn in einen
solchen Konflikt mit den religiösen und weltlichen Obrigkeiten
bringt, dass er schließlich gewaltsam umgebracht wird – und wenn
man dahinter eine Absicht Gottes vermutet, dann hieße das: "Dieser
Gott meint es ernst damit, dass Menschen das Leben riskieren sollen,
entschieden in ihrem Gerechtigkeitswillen, lustvoll – und in allem
auf Gott vertrauend, dass er dieses Leben an ein gutes, ewig
erfülltes Ende bringen will und wird."2
Wenn Gott mit diesem Menschen aus
Nazareth so etwas zeigen und eine solche Hoffnung in ihre Herzen säen
wollte, dann macht er auf diese Weise das Menschsein wieder groß.
Gott hat in diesem in Bethlehem
geborenen Menschen Jesus "die Lust, aber auch die Zumutung,
die die Welt darstellt, mit den Menschen geteilt, ist einer der ihren
geworden und hat geworben um ihr Ja zu ihm."3
Wie oben schon gesagt, Gott drängt
sich nicht hinein, sondern er wirbt, er lädt ein und er hofft selbst
auf das Ja des Menschen – Gott hofft auf uns. Papst Franziskus hat
am 13.11.2016 zu Gefangenen gepredigt: "Gott
hofft! Seine Barmherzigkeit lässt ihn nicht ruhig. Er ist wie der
Vater im Gleichnis, der immer auf die Rückkehr des Sohnes, der
gefehlt hat, hofft (vgl. Lk 15,11-32). Es gibt für Gott weder Rast
noch Ruhe, bis er nicht das verlorengegangene Schaf gefunden hat
(vgl. Lk 15,5). Wenn nun Gott hofft, dann kann die Hoffnung niemandem
genommen werden, denn sie ist die Kraft, um weiterzugehen; sie ist
die Spannung auf die Zukunft hin, um das Leben zu verändern; sie ist
ein Ansporn auf das Morgen hin, damit die Liebe, mit der wir trotz
allem geliebt werden, zu einem neuen Weg werden kann"4
Trotz alles des Schrecklichen, das
Menschen einander antun, hofft Gott auf uns! Eine Wahnsinnsbotschaft!
"Make mankind great again!"
heißt zuletzt also auch, dass Gott auf uns hofft, dass er um jeden
Menschen wirbt!
Konsequenz des Sich-Einlassens: Rost. Neukölln, Berlin, 2016. |
1 M.
Striet, Gottes Schweigen. Auferstehungssehnsucht – und Skepsis.
Ostfildern 2015, 123.
2 Ebd.,
126.
3 Ebd.,
127.
4 Predigt
an Gefangene zum Ende des Jahres der Barmherzigkeit:
http://de.radiovaticana.va/news/2016/11/06/„gott_hofft“_papstmesse_mit_häftlingen/1270393