Mittwoch, 28. Dezember 2016

Kontrastprogrammschwankungen zwischen den Jahren

Weihnachten, das sind sowieso schon immer Kontraste, und dieses Jahr nun besonders deutliche, die zu benennen fast schon platt ist:
Deutsche Gemütlichkeit im Familienidyll bei der Geburtstagsfeier eines obdachlosen und unehelichen Kindes.
Dazu Terror und Gewalt in Aleppo, in Berlin und anderswo, während man zwischen den Jahren endlich entspannt die freien Tage genießen will.
Gesang von der stillen Nacht, die (jedenfalls in Berlin) schon von Böllern torpediert wird.
Wo das Familienidyll nur Sehnsucht bleibt, sind besonders heftige Auseinandersetzungen an der Reihe.
Von all den anderen Reibepunkten des Weihnachtskapitalismus und der Glühweinseligkeit mit der christlichen Botschaft ganz zu schweigen.

Blick auf die Stadt unter dem Himmel. Jena, 2016.
Aber theologisch gilt dasselbe:
Ein ewiger Gott erscheint im schutzlos-kleinsten Menschen.
Die prosaische Schilderung des Lukas von der Kleinfamilie in Betlehem - und der theologische Hymnus aus dem Johannesevangelium.
Geburt des Retters am 25. und Todesgedenken des ersten Märtyrers Stephanus am Tag darauf.

Mir fiel in diesem Jahr jedoch besonders der Kontrast zwischen den ursprünglich christentümlichen Traditionen in Liedgut und Festdekorationen und der Glaubenslosigkeit unserer Gesellschaft auf. Einige Artikel gab es diesbezüglich über die liturgisch Unbedarften und auch sonst Fernstehenden, die es an Weihnachten dann doch mal in die Kirchen zieht.

Wenn ich die Inhaftierten bei uns sehe, so sind Weihnachtsbräuche - vom Schenken abgesehen - weitgehend nicht präsent. Das mag man bedauern, ist als neuer Volksatheismus (nicht nur) der bildungsferneren Schichten hier im Osten (bzw. in der Laisser-faire-Hauptstadt Berlin) aber der Alltag - pragmatisch, metaphysikfrei und einigermaßen seelisch gesättigt.
Wenn ich an Festtagen Nachrichten schaue und die kurzen Zusammenfassungen der Predigtinhalte höre, dann sagt mir mein Sachverstand zum Glück, dass das nicht alles gewesen sein kann. Sonst müsste ich mich fragen, warum die hohen Geistlichen jedes Jahr nur zu Frieden und gesellschaftlichem Zusammenhalt predigen, und ob denen nicht mal was Neues oder wenigstens Originelleres einfällt.
Denn was erleben Menschen hierzulande denn als Botschaft des Christentums außer den ewigen Verweis auf die Nächstenliebe und die hohle Phrase vom christlichen Menschenbild?

Was ist die Weihnachtsbotschaft: Menschwerdung als Teil von göttlichem Erlösungshandeln?
Erlösung von was, fragen sich selbst viele Christen.
Welche theologische Bedeutung sollte die Botschaft von einer Menschwerdung Gottes denn auch haben, wenn Gott sich auflöst in ewiges Sein oder "höhere Macht" oder "Irgendetwas über mir"?
Die Lebensrelevanz ist dann meist gleich Null.
Und Weihnachten wird höchstens wohliges "Einanderwohlwollen" und Abkehr vom Alltagsstress.
Gottes Liebe, die als Mensch bei den Menschen sein und sie aus dem Gefangensein (in sich selbst, in Schuld, in Ängste, in Beziehungen, in strukturelle Fesselungen, in die Todesverfallenheit...) herausführen will, erreicht dann ihr Ziel nicht.

Das Licht kam in die Welt. Lampenwelt, Jena, 2016.
Vielleicht ist das die eigentliche wichtige und große Frage des kommenden Reformationsgedenkjahres - Wie kann der gnädige Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat, als lebensbedeutsamer wiedergefunden werden? Reformatorische Selbstvergewisserung und auch selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist ja schön und gut, ebenso mögen die ökumenischen Annäherungen und theologisch-historische Aufarbeitungen sinnvoll sein.

Aber der Kontrast dieser High-end-Fragen zum Lebensgefühl europäisch abgeklärter Menschen ist doch größer als oft eingestanden wird. Und die etwas volleren Kirchen zur Weihnachtszeit täuschen nur über die unbeantworteten Fragen weg:
Wie kommt Gott heute wieder zur Welt und den Menschen, die sie bewohnen? Welche Inkarnation braucht es für unsere Zeit? Was ist für uns heutige Christen zu tun?