Das Gespräch am Jakobsbrunnen aus dem
Evangelium des Sonntags (Joh 4,5-42) hat exemplarischen Charakter.
Der Evangelist Johannes stellt anhand der Begegnung Jesu mit der
Samariterin heraus, dass Menschen mit einer existenziellen Frage oder
einer tiefen Sehnsucht im Herzen bei Jesus Gottes Heil und ein Leben
in Fülle finden können.
Im Verlauf des Gesprächs erkennt die
Frau Jesus in immer tieferem Maße – zunächst ist ihr nur klar,
dass er als „Jude“ auf sie zutritt (v9). Nach einigen
Sätzen fragt sie sich (und ihn) schon, ob er denn größer als ihr
gemeinsamer Vorvater Josef sei (v12) und kommt zum Schluss, dass er
ein „Prophet“ sein müsse (v19). Als er dann von der Zeit
spricht, in der Gott unabhängig von einzelnen Anbetungsorten und
-formen zu finden sei, erwähnt sie den verheißenen „Messias“
– als der er sich ihr sogleich zu erkennen gibt (v25.26). Das alles
führt schließlich zum Bekenntnis der ganzen Stadt zu Jesus als dem
„Retter der Welt“ (v42).
Hier könnte nun die jeweils persönlich
anzustellende Überlegung anknüpfen, wo ich persönlich denn gerade
auf diesem Weg stehe und wer Jesus für mich ist.
Deckel auf! Rixdorf, Berlin, 2015. |
Unterstützend möchte ich drei Fragen
anbieten, die vom Text ausgehend näher in die Spuren dieses Weges
führen.
1 Welche Grenzen hindern mich?
Die Ausgangssituation des Evangeliums
ist die Ankunft eines religiösen Ausländers auf der Durchreise.
Samariter und Juden leben zwar nah beieinander, haben normalerweise
aber nichts miteinander zu tun (dazu unter 3. noch mehr). Zudem
verehren beide den gleichen Gott und berufen sich auf die
Glaubensvorfahren der Geschichte, nur halten sich Konflikte gerade
dann besonders hartnäckig, wenn man sich eigentlich recht nah ist.
Aus der christlichen Kirchengeschichte kennen wir das im Streit
zwischen den Konfessionen nur zu gut, auch in Familien oder unter
Nachbarn taucht dieses Problem nicht selten auf.
Was tut nun Jesus? Er überwindet diese
Grenze. Ganz selbstverständlich spricht er die Frau an (auch das
kann in patriarchalen Gesellschaften ja schon problematisch sein).
Die verwunderte Frage der Frau: „Wie kannst du als Jude mich,
eine Samariterin, um Wasser bitten?“ (v9) lässt sich einfach
mit unseren Lebensrealitäten füllen.
Wie kannst du als Christ mich, einen
Muslim, um etwas bitten? Wie kannst du als Beamter mich, einen
Inhaftierten, um etwas bitten? Die Beispiele ließen sich beliebig
erweitern.
Darum also auch für mein Leben – wo heißt es da: Wie kannst du … mich … um etwas bitten?
Darum also auch für mein Leben – wo heißt es da: Wie kannst du … mich … um etwas bitten?
Jesus kann. Und wir können auch. Denn
manchmal ist das Überwinden von Grenzen viel einfacher als gedacht.
Zumal dann, wenn es reine Konventionen und keine wirklich
gravierenden Verschiedenheiten sind, die im Wege stehen.
Bezogen auf die religiöse Sphäre: Was
hindert mich, auf Jesus zuzugehen? Was für scheinbar unüberwindbare
Grenzen tun sich in mir selbst auf, wenn es um Gott geht?
Ist es mein Überdruss? Meine Ungeduld?
Mein fehlender Glaube? Meine Langeweile?
Oder glaube ich, eigentlich gar nichts
von Gott zu wollen?
Damit erreichen wir die zweite Frage –
Was will ich denn überhaupt von Gott?
2 Was ist mein Durst?
Der Grund für Jesu Grenzüberschreitung
war sein Wunsch nach Wasser. Er wollte etwas von der samaritischen
Frau. Sein Wunsch ist dann auch der Aufhänger für das sich
anschließende Gespräch, in dem in bildhafter Weise die Rede vom
Durst und vom Wasser für die menschliche Sehnsucht steht.
Zunächst: Es gibt eine Reihe von
tiefen Wünschen und Sehnsüchten, die wir haben und die auch ganz
wichtig sind, damit unser Leben funktioniert. Neben dem Wunsch nach
Freiheit und Selbstbestimmung, der gerade im Gefängnis besonders
spürbar wird, gibt es den Wunsch nach Sicherheit und damit nach
materiellem Besitz. Es gibt die sexuellen Wünsche, den Wunsch nach
menschlicher Zuwendung und allgemeiner nach Gemeinschaft. Ältere
Menschen fragen sich manchmal, ob sie überhaupt noch gebraucht
werden – ihr Wunsch ist es, jemandem wichtig zu sein. Und dieser
Wunsch betrifft natürlich nicht nur ältere Menschen, so wie der
Wunsch nach Freiheit nicht nur Gefängnisinsassen betrifft.
Auf die eine oder andere Weise können
wir diese Wünsche erfüllt bekommen, manche leichter, andere nie,
jedoch meist mit anderen Menschen zusammen oder durch sie und ihre
Anwesenheit in unserem Leben.
Was löscht den Durst? Grünheide, 2015. |
Wir haben unsere Durstlöscher. Und
wenden uns anderen Dingen zu, wenn unser Durst einstweilen nicht mehr
spürbar ist. Ebenso gesteht Jesus im Evangelium den anderen Wässern
zu, dass sie tatsächlich den Durst löschen können. Aber der Durst
kommt wieder, das kennen wir.
Ich glaube, dass hinter ganz vielen
Sehnsüchten eine grundlegende Sehnsucht steht. Nämlich der Wunsch,
angenommen zu sein, so wie ich bin. Vor allem, was ich leisten könnte
und trotz aller Schuld, die ich auf mich geladen habe. Nicht mehr
Männchen machen müssen, um etwas zu bekommen, nicht muskelbepackt
oder toll im Bett oder ein cooler Sprücheklopfer sein müssen. Nicht
reduziert werden auf meine Vergangenheit oder ewig untergebuttert
wegen eines Fehltrittes.
Stattdessen: bejaht sein – vor aller
Leistung und trotz aller Schuld.
Das ist ein Durst, eine tief in uns
wohnende Sehnsucht, von der ich glaube, dass Jesus hauptsächlich sie
meint, wenn er davon spricht, dass wir niemals mehr Durst haben
müssen.
Alle anderen Wünsche werden damit
nicht egal, aber sie stehen unter der Verheißung, dass wir keine
Angst mehr haben müssen, irgendwie schlechter gestellt zu werden als
andere und dass wir gewollt und bejaht sind so wie wir sind.
Wenn ich also in mich hineinhorche –
gibt es dann diese Sehnsucht nach Bejahtsein auch in mir? Kann ich
schon ein kleines Vertrauen spüren, dass Jesus genau das bringen
wollte – die Botschaft, dass wir von Gott gewollt und geliebt sind?
Wenn ich diese vertrauende Sehnsucht
spüre, und sei sie noch so klein, dann stellt sich die dritte Frage.
3 Wo finde ich Gott?
Beginnen wir wieder beim Evangelium:
Auf den Hinweis der Frau, dass Juden und Samariter an
unterschiedlichen Orten beten, erklärt Jesus, dass weder das eine
noch das andere der Weisheit letzter Schluss sei. Gott will "weder
auf diesem Berg noch in Jerusalem" (v21) angebetet werden,
sondern "im Geist und in der Wahrheit" (v23).
Ein Grund der Trennung von Samaritern
und Juden war, dass sich die Samariter nicht im Rahmen der
israelitischen Kultreform und der Zentralisierung der Verehrung
Gottes im Jerusalemer Tempel darauf beschränken wollten, Gott nur
dort anzubeten, sondern auf dem Berg Garizim eine eigene Kultstätte
für denselben Gott hatten.
Eine feste Burg? Alt Lobeda, Jena, 2014. |
Wenn Jesus nun weder der einen noch der
anderen Religion bezüglich ihres Lieblingsgebetsplatzes zustimmt,
sondern über beide hinaus will, dann ist das zunächst sehr
sympathisch gegen religiöse Engstirnigkeiten gerichtet.
Jesus fügt aber an, dass Voraussetzung
für diese Gottesbegegnung das Beten in Geist und Wahrheit sei.
Für uns kann das zuallererst bedeuten,
dass wir nicht in einen evangelischen oder katholischen Gottesdienst
müssen, um Gott zu begegnen. Und schon gar nicht gegen andere
Religionen polemisieren brauchen, weil vielleicht weder mein noch ihr
Lieblingspunkt den Kern trifft. (Auch wenn natürlich klar ist, dass
ich immer ein bißchen rechter habe als Menschen mit anderer
Überzeugung...)
Wir finden Gott im Geist – aber was
meint das?
In erster Linie geht es darum, dass wir
im Gebet offen sind. Hören üben.
Nicht wie in einer Spielszene für
Jugendliche, in der Gott einem Betenden antworten will und als erstes
unterbrochen wird mit: Störe mich nicht, Gott, ich bete.
Dazu gehört, dass wir annehmen, dass
Gott auch wirklich Kontakt aufnehmen will mit uns. Wenn die Wahrheit
ist, dass er uns annimmt und bejaht, wenn er unseren Durst stillen
will und auf unsere Sehnsucht eingeht, dann müssen wir ihn auch
lassen. Auch diese Grenze also müssten wir dann aufgeben.
Denn in der Unbegrenztheit finden wir
ihn.
Ich fasse zusammen:
Was will ich von Gott? Ich kann es ihm
immer wieder sagen.
Vertraue ich darauf, dass er mich
bejaht – vor aller Leistung und trotz aller Schuld?
Welche Orte oder Weisen habe ich, um
Gott zu suchen – kann ich hören?
Nehme ich ernst, dass er bei mir sein
will?