Mittwoch, 1. März 2017

Zollstock - Schlüssel - Herz. Drei Symbole für Aschermittwoch

Am Aschermittwoch stellt sich die Frage nach dem, was die Fastenzeit in diesem Jahr für mich bedeuten soll.
Traditionell steht der Aufruf zur Buße als innere Vorbereitung auf Ostern im Zentrum. Das heutige Evangelium konkretisiert diesen Ruf durch die Aufforderung zum Fasten, Beten und Almosengeben. Ich möchte mich diesem Dreigestirn der Fastenzeit heute mithilfe dreier Symbole nähern.

Schlüssel mit Schüssel. Rixdorf, Berlin 2017.
1 Der Zollstock
Das Fasten ruft dazu auf, einen Verzicht zu leisten. Ziel dieses Verzichts kann unter anderem das Einüben des richtigen Maßes sein. Das für mich passende, individuell richtige Maß zu finden kann nämlich eine echte Herausforderung sein. Konditioniert durch den für Kinder oftmals üblichen Verzicht auf Süßigkeiten halten sich auch Erwachsene bisweilen daran – unabhängig davon, ob es auch für sie tatsächlich einen Verzicht bedeutet. Vielleicht, und das ist inzwischen ja auch schon ein Gemeinplatz, habe ich das rechte Maß aber eher an einer anderen Stelle nötig – im Umgang mit Kollegen, bei der Nutzung des Internets oder beim Schlafen. Nicht immer ist weniger tun – oder mehr – automatisch der bessere Weg. Das rechte Maß für meine persönlichen Bedürfnisse, Vorlieben und Süchte zu finden, ist ein Weg der Unterscheidung und Abwägung – und dann der inneren Befreiung. Und das Fasten kann Einübung in diese Freiheit sein.

Darum der Zollstock – Symbol und Erinnerung, dass ich mein eigenes richtiges Maß im Hingehen auf Ostern finden muss.

2 Der Schlüssel
Gebet ist die Kontaktaufnahme mit Gott. Seine Kontaktdaten finden wir in der Heiligen Schrift – und in unserem Herzen. In der Bibel können wir lesen, dass sich das Volk Israel nicht begrenzt hat auf irdische Antworten. Die ganze Zeit über wird in den biblischen Erzählungen die eigene Geschichte im Lichte Gottes gedeutet. 
Auch für unser eigenes Leben kann es hilfreich sein, wenn wir uns nicht auf Irdisches einengen, sondern den Blick weiten.
Denn auch das Gebet ist ein Einüben von Freiheit. Ein Schlüssel, der das Gefängnis bloßer Weltlichkeit aufschließen kann und den Aufschwung zu Gott möglich macht.
Oder, mehr in JVA-Kategorien gesprochen: Gebet ist der Ausbruch schlechthin.
Im Gebet kann ich auch meine persönliche Lebensgeschichte ganz vor Gott bringen – und vielleicht kann mir das völlig neue Perspektiven auf mich selbst "aufschließen".

3 Das Herz
Einem Armen etwas zu schenken oder, in der Sprache der Bibel, ein Almosen zu geben, steht bei kritischen Zeitgenossen zuweilen im schlechten Ruf, die bestehenden sozialen Verhältnisse eher zu zementieren, anstatt sie aufzusprengen. Und so wenig wir von der Verantwortung für das Umfeld, in dem wir leben, entbunden werden können, so sehr ist doch in der konkreten Situation, in der mir ein bedürftiger Mensch gegenüber steht, meine persönliche Antwort, also mein Herz gefragt.
Und hier steht das Geben einer Gabe natürlich für die Möglichkeit, großherzig zu sein.
Aber selbstverständlich ist die Großherzigkeit nicht auf das Schenken und Geben beschränkt. Ein großes Herz ist auch in Stress und Streit hilfreich, beim Schauen auf das Unbekannte und Fremde, und im Umgang mit denen, die einem am Nächsten stehen sowieso.
 
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Damit wäre die ganzheitliche Aufgabe des Dreigestirns klar: vor Gott leben als maßvoller, aufgeschlossen-freier, großherziger – und demütiger Mensch. Denn die Pointe der Rede Jesu ist nicht das Fasten, Beten und Almosengeben an sich, sondern die Frage, in welcher Weise dies getan wird.
Denn wenn Menschen versuchen, nach dem Reich Gottes zu leben, wie dies in den letzten Sonntagsevangelien mit Texten aus der Bergpredigt (von den innerlich verschärften Geboten, der Feindesliebe und der unnötigen Sorge) anklang, dann besteht nach Dietrich Bonhoeffer gerade in diesem "Ruf zum Außerordentlichen [...] die große, unvermeidliche Gefahr (!) der Nachfolge".1
Denn das drohende Gefühl eigener Großartigkeit aufgrund "vollbrachter" Liebe zum Feind oder der Sorglosigkeit in einer kaputten Welt setzt sich möglicherweise fort in die intime Beziehung zu Gott, also in ein auf äußere Effekthascherei getrimmtes Beten, Fasten und Almosengeben. 

Deshalb ist der maßvolle, aufgeschlossene und großherzige Mensch nichts ohne die Demut.

Herz und Asche. Rixdorf, Berlin 2017.



(Und damit es mit meiner Demut nicht überhand nimmt, hier noch der ein oder andere Gedanke zur Fastenzeit: irgendwas mit Assoziationen oder mit Sterben oder mit Freude gefällig...?)

1   D. Bonhoeffer, Nachfolge. 10. Aufl. München 1971, 133. Zit n. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. (Mt 1-7) Teilband 1/1 Zürich, Neukirchen-Vluyn u.a. 1985, 329.