Es fiel mir erst auf, als ich das
Evangelium (Joh 9,1-41) heute im Gemeindegottesdienst hörte. Gelesen
hatte ich den Lesungstext mehrmals, ohne dass es zündete, aber beim
Hören kam mir dann ein Gedanke.
Die Rede vom dem Mann, den Jesus von
seiner Blindheit heilte, wird regelmäßig begleitet von dem Hinweis,
dass er "von Geburt an" (v1.19.20 u.ö.) blind war.
Vieles dreht sich bei dem Konflikt mit den Pharisäern
dementsprechend darum, ob es ein wirkliches Wunder war, das Jesus an
einem Blindgeborenen vollbrachte, oder ob ein Irrtum vorliegt (v9),
oder ob es sich um eine böse Täuschung seitens der Jesusanhänger
handelt, bei dem ein kurze Zeit "Erblindeter" nun zum
Schein geheilt sei.
Das Evangelium spielt mit der
Doppelbedeutung des "Sehens" als physisches Sehenkönnen
und als meta-physisches Erkennen. Im Hintergrund stehen nämlich,
typisch für Johannes, die theologischen Fragen, was sehen und Jesus
als den Messias zu erkennen eigentlich heißt und was es (in
johanneischer Sicht: für die Juden) bedeutet, diesen Jesus, der das
"Licht der Welt" (v5) ist, abzulehnen.
Der Anschluss ist da. Rixdorf, Berlin, 2017. |
Auf dieser Denklinie möchte ich kurz
entlanggehen.
Und zwar mit einer Antwort, die sich
bei uns eingebürgert hat, mit den immer weiterführenden
Warum-Fragen meiner kleinen Tochter umzugehen. Wenn das Fragen an
einem Punkt ankommt, dass keine sinnvolle Antwort mehr möglich ist:
"Warum ist das eine Frau?", dann heißt es einfach: "Weil
sie so geboren wurde." Natürlich überspringt das eine Reihe
längerer Diskussionen, die es auch gibt, aber manches muss eben an
dieser Stelle enden.
Was für Kinder gilt, ist aber nicht
immer der beste Schluss für Erwachsene.
Denn die Tatsache, dass ein Mensch so
oder so ist, bedeutet bei Gott eben nicht, dass er immer so bleiben
müsste. Gerade in der Fastenzeit, wenn es um Umkehr und Neuanfang
geht, sollte das eigentlich selbstverständlich sein.
Und doch denken wir häufig so –
einmal Junkie, immer Junkie, einmal Knasti, immer Knasti, und so
fort.
Das Evangelium zeigt nun, dass es
möglich ist, aus einer lebenslangen Gottferne herauszukommen und die
Augen zu öffnen für das wahre Licht der Welt. Wer dies erlebt, hat
sie dann, Rousselots "Augen des Glaubens", mit denen
die Welt plötzlich ganz neu sichtbar wird und eine Sache wie die
Heilung eines Menschen der Hinweis (das "Indiz") ist, der
die wahre Natur des Heilenden zeigt: "... die
Zusammengehörigkeit wahrnehmen heißt, das Indiz als Indiz
wahrnehmen. Das Indiz aber kann als solches nicht wahrgenommen
werden, ohne daß man gleichzeitig kraft einer notwendigen
Wechselbeziehung und mit dem gleichen Gewißheitsgrad die vom Indiz
angezeigte Sache wahrnimmt."1
Wenn das Indiz, dass Jesus dieses Wunder getan hat, wirklich ein
Indiz ist, dann eröffnet es als Indiz den neuen Blick auf ihn als
Messias.
Diese Zusammengehörigkeit wahrzunehmen
ist möglich, aber nicht notwendig. Man kann auch weitergehen und
zweifeln wie die Pharisäer des Evangeliums.
Doch für diesen neu sehenden Menschen
erscheint Jesus, der ihm das Augenlicht gab, als das Licht der Welt,
als Menschensohn (v35), als Prophet Gottes (v17), als Christus (v22)
und Retter.
Es stimmt also beides: Wir können uns
ändern, sind nicht festgelegt auf die vielfachen Bedingungen und
Begrenzungen unseres Lebens. Und zugleich sind wir für etwas
geschaffen – Jesus als unser Licht zu erkennen.
Wir haben die Augen
dafür – wir müssen sie uns nur öffnen lassen. Dafür ist
Jesus schließlich gekommen: "damit die Blinden sehend" (v39)
werden.
Wir können anders sein. Wir können
ihn erkennen – weil wir so geboren wurden.
Ohne Licht nur Welt. Rixdorf, Berlin, 2017. |
1 P.
Rousselot, Die Augen des Glaubens. Einsiedeln 1963, 31.