Mit diesem Thema kann man sich nur
Feinde machen.
Wer versucht, sich mit der Frage der
vollen rechtlichen Gleichstellung von Ehen zwischen Partnern gleichen
Geschlechts nicht einseitig auseinanderzusetzen, sondern die
unterschiedlichen Positionen wahrnehmen und differenziert bewerten
will, setzt sich wahlweise dem Vorwurf des Glaubensverrats
(hierzulande zumeist von konservativ-katholischer Seite) oder der
homophoben Intoleranz (von den meisten anderen Seiten) aus.
Die nette Form der Verachtung zeigt
sich in der Titulierung dieses Versuchs als Meinungsschwäche.
Ich oute mich also und sage gleich zu
Beginn, dass ich mir in dieser Sache einigermaßen unklar bin.
Einerseits kann ich das Bedürfnis nach
dieser Gleichstellung voll und ganz nachvollziehen und halte die Ehe
für Homosexuelle auch theologisch problemlos für begründbar.
Andererseits habe ich ein großes
Unbehagen bei der Frage der Begrifflichkeit und dem, was unter dem
Begriff Ehe dann noch verstanden werden kann.
Richtig so! Graffito, Berlin, 2012. |
Also der Reihe nach.
1
Der Theologe, und als dieser schreibe ich hier in erster Linie, sieht zunächst einmal die Praxis Jesu. Der hat sich über die herrschenden Konventionen und rechtlichen Vorgaben des jüdischen Gesetzes hinweggesetzt, um Gottes Zuwendung zu allen zu verkünden. Dazu gehörte der Ruf zur Umkehr an jene, die sich nicht für Gottes Liebeswerben öffneten, sondern ihr Herz verschlossen hielten.
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Der Theologe, und als dieser schreibe ich hier in erster Linie, sieht zunächst einmal die Praxis Jesu. Der hat sich über die herrschenden Konventionen und rechtlichen Vorgaben des jüdischen Gesetzes hinweggesetzt, um Gottes Zuwendung zu allen zu verkünden. Dazu gehörte der Ruf zur Umkehr an jene, die sich nicht für Gottes Liebeswerben öffneten, sondern ihr Herz verschlossen hielten.
Über Homosexualität hat Jesus sich
nicht explizit geäußert, die Ehe war ihm die unverbrüchliche
Verbindung zwischen Mann und Frau vor dem Angesicht Gottes. Damit
bewegte er sich (jedenfalls was die Komplementarität der
Geschlechter angeht) innerhalb der Vorstellungen seiner Zeit .
Der maßgebliche Impuls Jesu war es,
alle Menschen zu erreichen, um sie in die Herrschaft seines
göttlichen Vaters zu ziehen. Es ist aus dieser Botschaft von Gottes
Zuwendung zu allen nicht ersichtlich, dass Menschen, die homosexuell
empfinden und ihre Homosexualität leben wollen, davon ausgeschlossen
sein sollten.
Dass dies von den Evangelisten nicht
ausdrücklich so formuliert wurde, mag an den Entstehungsbedingungen
der einzelnen Evangelien liegen, aber auch daran, dass sich die Frage
wegen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so gar nicht stellte.
Es bliebe damit bei Jesu Predigt und
Zeugnis von der werbenden Liebe Gottes allen gegenüber, auch und
besonders den gesellschaftlich nicht Integrierten (als welche
Homosexuelle zur damaligen Zeit wohl zählen müssen).
2
Für die früheste Kirche, vornehmlich
für die Gemeindegründungen um Paulus war der prophetische Impuls
Jesu eingebettet in ein konkretes, zumeist von heidnischen
Vorstellungen beherrschtes Umfeld. So konsolidiert und nivelliert
sich die revolutionäre Dynamik Jesu zu einem gewissen Grad – die
tätige Nächstenliebe wurde sehr geschätzt, andere
Moralvorstellungen glichen sich eher der Umwelt an.
In diese Situation hinein schreibt
Paulus seine wirkmächtigen Sätze aus Röm 1,226f, in denen mit
Bezug auf die gleichgeschlechtliche Liebe die Begriffe "Unzucht"
und "Verwirrung" (v27) fallen. Damit lehnt er sich an
alttestamentliche Vorstellungen an (vgl. Lev 18,22) und deutet sie
unter der Prämisse der Erkennbarkeit der "eindeutigen"
Gebote Gottes und allgemeinmenschlicher Verwischung geschlechtlicher
Grenzen.1
Wie auch immer man diese Worte des
Paulus genau deuten möchte, so eindeutig ist die Schöpfungsordnung
eben nicht erkennbar – weder in der Welt noch in der Schrift. Ein
wortgetreues Herausziehen einzelner Sätze ohne Beachtung des
zeitgeschichtlichen Kontexts verbietet sich heute. Auch können die
Sexualnormen der Antike, seien es die jüdisch-christlich oder die
griechisch-römisch geprägten, nicht ohne Weiteres für heute
Gültigkeit beanspruchen. Das gilt auch dann, wenn sie aus
christlicher Sicht einem Offenbarungstext entstammen. Denn auch
dieser ist ein Text seiner Zeit und als solcher auszulegen.
Damit lässt sich nur unter der schon vorher
gesetzten Prämisse, dass Homosexualität nicht mit dem
christlichen Glauben vereinbar sei, eine klare Verurteilung aus den
Texten des Paulus ableiten.
Aus der umfassenden christologischen Vision des Paulus lässt sich aber ebensogut ableiten, dass Geschlechtsfragen insgesamt nachrangig sind und allein die Zuwendung zu Christus im Glauben wesentlich ist (vgl. Gal 3,28).2
Aus der umfassenden christologischen Vision des Paulus lässt sich aber ebensogut ableiten, dass Geschlechtsfragen insgesamt nachrangig sind und allein die Zuwendung zu Christus im Glauben wesentlich ist (vgl. Gal 3,28).2
In der Davidsgeschichte wird erzählt,
wie eng David und Jonatan befreundet waren. Als König David vom Tode
Jonatans hört, singt er dem biblischen Text zufolge ein Klagelied,
in dem es unter anderem heißt:
"Ach, die Helden sind gefallen
mitten im Kampf. / Jonatan liegt erschlagen auf deinen Höhen.
Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. / Du warst mir sehr lieb. / Wunderbarer war deine Liebe für mich / als die Liebe der Frauen. Ach, die Helden sind gefallen, / die Waffen des Kampfes verloren." (2Sam 1,25-27)
Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. / Du warst mir sehr lieb. / Wunderbarer war deine Liebe für mich / als die Liebe der Frauen. Ach, die Helden sind gefallen, / die Waffen des Kampfes verloren." (2Sam 1,25-27)
Diese positive Darstellung einer
exklusiven Intimgemeinschaft zwischen Männern steht ebenso in der Bibel wie die Worte des Paulus.
3
Die säkulare Rechtsgestalt drückt in
der Regel aus, was in einer Gesellschaft mehrheits- und konsensfähig
ist. Insofern ist die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe nur
konsequent, wenn es um die Gleichstellung verschiedener Lebensformen
geht. Der liberale Geist, in dem wir ganz selbstverständlich leben,
fordert eine solche Gleichstellung aus Gründen der Gerechtigkeit
geradezu. Die früher entwicklungspsychologisch und sonstwie
pathologisierenden Argumente der Kirchen greifen in der Breite schon
längst nicht mehr.
Zumal sind kirchliche Sprachregelungen
und interne Rechtssetzungen von staatlichen Regelungen zunächst
einmal gar nicht betroffen. Trotzdem liegt die Lebenswelt der
Christen eben in Kirche und Welt gleichermaßen, so dass die
bleibende Differenz zwischen kirchlicher und weltlicher Norm hart ins
Auge sticht – so gesehen bei den Fragen von Scheidung und
Wiederverheiratung.
Kirche muss also klären, was über das
im Katechismus verfügte Verbot der Diskriminierung von Homosexuellen
hinaus ihre Rolle in der Lebenswirklichkeit homosexueller ChristInnen
sein soll. Auch der inzwischen vielzitierte Satz von Papst
Franziskus, dass er über Homosexuelle nicht richten werde, wird wohl
weiter ausformuliert werden müssen.
4
In diesem Zusammenhang nehme ich die
Äußerungen von Familienbischof Heiner Koch, zugleich Erzbischof von
Berlin, als erfreulich differenziert und nüchtern, äußerst klar,
doch nicht polemisch wahr.3
Koch verweist vornehmlich auf die
"geschlechtliche Differenz", also die
Komplementarität oder Dualität der Ehepartner. Die Ausrichtung auf
ein Anderes als auf ein auch geschlechtlich abweichendes Gegenüber
als springender Punkt ist aber nur ein philosophischer Tupfer, kein
soziales Argument. Gleichwohl finde ich dieses Motiv sympathisch, da
es die Andersheit des Anderen noch einmal ins Bewusstsein rückt und
stark macht. Daraus ein Nein zur gleichgeschlechtlichen Ehe
abzuleiten ginge meines Ermessens aber zu weit.
Ferner betont Koch die "generative
Bedeutung" der Ehe zwischen Mann und Frau. Auch
dieses eher biologische Argument halte ich für eingängig, auch wenn
es nicht über Gebühr gewichtet werden sollte. Bisher ist die
grundsätzliche Möglichkeit der Ausrichtung auf Nachkommen klarer
Bestandteil des grundgesetzlichen ebenso wie des christlichen
Ehebegriffs. Eine Erweiterung dieses Begriffs auf homosexuelle Paare
würde diese potenzielle Offenheit für eigene Nachkommen negieren.
5
Damit komme ich zu dem eingangs
erwähnten Unbehagen.
Wenn Worte etwas bedeuten sollen, dann
muss klar sein, dass nicht jeder etwas völlig verschiedenes darunter
verstehen kann.
Wird aber zur Zeit nur noch von
Solidarität, Verlässlichkeit und gegenseitiger
Verantwortungsübernahme4
gesprochen, anstatt von Partnerschaft mit der potenziellen Offenheit
auf Nachkommen hin, dann verschiebt sich die Begrifflichkeit
gewaltig. Das meint auch Erzbischof Koch, wenn er sagt, dass es um
"eine qualitative Neuausrichtung des Begriffes Ehe"
gehe.
Die völlige rechtliche Gleichstellung
von homosexuellen Partnerschaften mit der "klassischen Ehe"
wäre meiner Meinung nach gesellschaftlich und politisch,
christlich-theologisch und moralisch überhaupt keine Frage, vielmehr
sogar geboten, wenn Gleichheit und Gerechtigkeit und die Förderung
von Verantwortungsübernahme und gegenseitigem Beistand in unserer
Gesellschaft und im Christentum wichtige Werte sind.
Die Frage ist eher, ob der Begriff
durch eine vollkommen neue Befüllung nicht leer wird.
Wie wird rechtlich unterschieden
zwischen freundschaftlicher Unterstützung und lebenslanger
Ausrichtung auf eine exklusive Person? Wieso sind Eltern und Kinder
dann nicht ähnlich gemeint von den eben genannten Begrifflichkeiten?
Andererseits, und auch das verstehe
ich, geht es gerade um diesen hochaufgeladenen Begriff – um die
symbolische Wertschätzung, wenn der Begriff "Ehe" genutzt
werden kann, egal ob er heterosexuelle oder homosexuelle Paare meint.
Aber ich habe ein bleibendes Unbehagen,
wenn so verschiedene Dinge, und das sind heterosexuelle und
homosexuelle Paare nun einmal, mindestens im Hinblick auf die
Generativität, unter einem Begriff summiert werden.
Letztlich geht es (mir) gar nicht
darum, ob philosophische oder theologische Argumente etwas gelten
oder nicht, sondern wie gewichtet wird.
Steht Gottes bedingungslose Zuwendung
zu allen im Fokus oder seine Forderung zu Umkehr? Ist Sexualethik ein
entscheidender Baustein des eigenen Denkens oder ist es eher die
Ausrichtung an Gerechtigkeit? Sind klassische Rollenbilder wichtig?
Welchen Stellenwert geben wir der Frage der Nachkommen? Was für eine
Bedeutung hat die christliche Tradition?
Wie gesagt, Freunde macht man sich mit
diesen Fragen und Gedanken sicher nicht, aber eine angst- und
polemikfreie Auseinandersetzung auch aus christlicher Sicht tut Not.
Nachtrag 01.07.2017: Die katholische Politikerin Claudia Lücking-Michel hat eine sehr schöne, prägnante und inhaltlich fast gleiche Zusammenfassung für diese Fragen veröffentlicht: http://bit.ly/2t7zjxK
(Ob man auch ihre Konsequenz für das Abstimmungsverhalten so nachvollziehen muss, sei dahingestellt...)
Nachtrag 01.07.2017: Die katholische Politikerin Claudia Lücking-Michel hat eine sehr schöne, prägnante und inhaltlich fast gleiche Zusammenfassung für diese Fragen veröffentlicht: http://bit.ly/2t7zjxK
(Ob man auch ihre Konsequenz für das Abstimmungsverhalten so nachvollziehen muss, sei dahingestellt...)
Revolution, aber richtig! Graffito, Berlin, 2013. |
1 Vgl.
J. Römelt, Freiheit, die mehr ist als Willkür. Christliche Ethik
in zwischenmenschlicher Beziehung Lebensgestaltung, Krankheit und
Tod. Regensburg 1997, 47. [Handbuch der Moraltheologie, Bd. 2]
2 Vgl.
zu diesen im engeren Sinne theologischen Fragestellungen auch die
äußerst instruktiven innerevangelischen Auseinandersetzungen von
2011:
https://www.evangelisch.de/inhalte/103197/13-01-2011/der-offene-brief-der-altbischoefe-gegen-homosexuelle-pfarrerspaare
und mehrere Gegenreden
http://www.zeit.de/2011/04/Bischoefe-Partnerwahl.
3 Aktuell
unter:
http://www.erzbistumberlin.de/medien/pressestelle/aktuelle-pressemeldungen/pressemeldung/datum/2017/06/27/stellungnahme-von-erzbischof-koch/.
4 So beispielsweise Jens Spahn in http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-89672221.html.
4 So beispielsweise Jens Spahn in http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-89672221.html.