Donnerstag, 29. Juni 2017

Alles für alle!? Theologische Gedanken über die gleichgeschlechtliche Ehe

Mit diesem Thema kann man sich nur Feinde machen.
Wer versucht, sich mit der Frage der vollen rechtlichen Gleichstellung von Ehen zwischen Partnern gleichen Geschlechts nicht einseitig auseinanderzusetzen, sondern die unterschiedlichen Positionen wahrnehmen und differenziert bewerten will, setzt sich wahlweise dem Vorwurf des Glaubensverrats (hierzulande zumeist von konservativ-katholischer Seite) oder der homophoben Intoleranz (von den meisten anderen Seiten) aus.
Die nette Form der Verachtung zeigt sich in der Titulierung dieses Versuchs als Meinungsschwäche.

Ich oute mich also und sage gleich zu Beginn, dass ich mir in dieser Sache einigermaßen unklar bin.
Einerseits kann ich das Bedürfnis nach dieser Gleichstellung voll und ganz nachvollziehen und halte die Ehe für Homosexuelle auch theologisch problemlos für begründbar.
Andererseits habe ich ein großes Unbehagen bei der Frage der Begrifflichkeit und dem, was unter dem Begriff Ehe dann noch verstanden werden kann.
Richtig so! Graffito, Berlin, 2012.
Also der Reihe nach.

1
Der Theologe, und als dieser schreibe ich hier in erster Linie, sieht zunächst einmal die Praxis Jesu. Der hat sich über die herrschenden Konventionen und rechtlichen Vorgaben des jüdischen Gesetzes hinweggesetzt, um Gottes Zuwendung zu allen zu verkünden. Dazu gehörte der Ruf zur Umkehr an jene, die sich nicht für Gottes Liebeswerben öffneten, sondern ihr Herz verschlossen hielten.
Über Homosexualität hat Jesus sich nicht explizit geäußert, die Ehe war ihm die unverbrüchliche Verbindung zwischen Mann und Frau vor dem Angesicht Gottes. Damit bewegte er sich (jedenfalls was die Komplementarität der Geschlechter angeht) innerhalb der Vorstellungen seiner Zeit .
Der maßgebliche Impuls Jesu war es, alle Menschen zu erreichen, um sie in die Herrschaft seines göttlichen Vaters zu ziehen. Es ist aus dieser Botschaft von Gottes Zuwendung zu allen nicht ersichtlich, dass Menschen, die homosexuell empfinden und ihre Homosexualität leben wollen, davon ausgeschlossen sein sollten.
Dass dies von den Evangelisten nicht ausdrücklich so formuliert wurde, mag an den Entstehungsbedingungen der einzelnen Evangelien liegen, aber auch daran, dass sich die Frage wegen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so gar nicht stellte.
Es bliebe damit bei Jesu Predigt und Zeugnis von der werbenden Liebe Gottes allen gegenüber, auch und besonders den gesellschaftlich nicht Integrierten (als welche Homosexuelle zur damaligen Zeit wohl zählen müssen).

2
Für die früheste Kirche, vornehmlich für die Gemeindegründungen um Paulus war der prophetische Impuls Jesu eingebettet in ein konkretes, zumeist von heidnischen Vorstellungen beherrschtes Umfeld. So konsolidiert und nivelliert sich die revolutionäre Dynamik Jesu zu einem gewissen Grad – die tätige Nächstenliebe wurde sehr geschätzt, andere Moralvorstellungen glichen sich eher der Umwelt an.
In diese Situation hinein schreibt Paulus seine wirkmächtigen Sätze aus Röm 1,226f, in denen mit Bezug auf die gleichgeschlechtliche Liebe die Begriffe "Unzucht" und "Verwirrung" (v27) fallen. Damit lehnt er sich an alttestamentliche Vorstellungen an (vgl. Lev 18,22) und deutet sie unter der Prämisse der Erkennbarkeit der "eindeutigen" Gebote Gottes und allgemeinmenschlicher Verwischung geschlechtlicher Grenzen.1
Wie auch immer man diese Worte des Paulus genau deuten möchte, so eindeutig ist die Schöpfungsordnung eben nicht erkennbar – weder in der Welt noch in der Schrift. Ein wortgetreues Herausziehen einzelner Sätze ohne Beachtung des zeitgeschichtlichen Kontexts verbietet sich heute. Auch können die Sexualnormen der Antike, seien es die jüdisch-christlich oder die griechisch-römisch geprägten, nicht ohne Weiteres für heute Gültigkeit beanspruchen. Das gilt auch dann, wenn sie aus christlicher Sicht einem Offenbarungstext entstammen. Denn auch dieser ist ein Text seiner Zeit und als solcher auszulegen.

Damit lässt sich nur unter der schon vorher gesetzten Prämisse, dass Homosexualität nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar sei, eine klare Verurteilung aus den Texten des Paulus ableiten.
Aus der umfassenden christologischen Vision des Paulus lässt sich aber ebensogut ableiten, dass Geschlechtsfragen insgesamt nachrangig sind und allein die Zuwendung zu Christus im Glauben wesentlich ist (vgl. Gal 3,28).2

Graffito, Berlin, 2012.
Exkurs: David
In der Davidsgeschichte wird erzählt, wie eng David und Jonatan befreundet waren. Als König David vom Tode Jonatans hört, singt er dem biblischen Text zufolge ein Klagelied, in dem es unter anderem heißt:
"Ach, die Helden sind gefallen mitten im Kampf. / Jonatan liegt erschlagen auf deinen Höhen.
Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonatan. / Du warst mir sehr lieb. / Wunderbarer war deine Liebe für mich / als die Liebe der Frauen. Ach, die Helden sind gefallen, / die Waffen des Kampfes verloren." (2Sam 1,25-27)
Diese positive Darstellung einer exklusiven Intimgemeinschaft zwischen Männern steht ebenso in der Bibel wie die Worte des Paulus.

3
Die säkulare Rechtsgestalt drückt in der Regel aus, was in einer Gesellschaft mehrheits- und konsensfähig ist. Insofern ist die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe nur konsequent, wenn es um die Gleichstellung verschiedener Lebensformen geht. Der liberale Geist, in dem wir ganz selbstverständlich leben, fordert eine solche Gleichstellung aus Gründen der Gerechtigkeit geradezu. Die früher entwicklungspsychologisch und sonstwie pathologisierenden Argumente der Kirchen greifen in der Breite schon längst nicht mehr.
Zumal sind kirchliche Sprachregelungen und interne Rechtssetzungen von staatlichen Regelungen zunächst einmal gar nicht betroffen. Trotzdem liegt die Lebenswelt der Christen eben in Kirche und Welt gleichermaßen, so dass die bleibende Differenz zwischen kirchlicher und weltlicher Norm hart ins Auge sticht – so gesehen bei den Fragen von Scheidung und Wiederverheiratung.
Kirche muss also klären, was über das im Katechismus verfügte Verbot der Diskriminierung von Homosexuellen hinaus ihre Rolle in der Lebenswirklichkeit homosexueller ChristInnen sein soll. Auch der inzwischen vielzitierte Satz von Papst Franziskus, dass er über Homosexuelle nicht richten werde, wird wohl weiter ausformuliert werden müssen.

4
In diesem Zusammenhang nehme ich die Äußerungen von Familienbischof Heiner Koch, zugleich Erzbischof von Berlin, als erfreulich differenziert und nüchtern, äußerst klar, doch nicht polemisch wahr.3
Koch verweist vornehmlich auf die "geschlechtliche Differenz", also die Komplementarität oder Dualität der Ehepartner. Die Ausrichtung auf ein Anderes als auf ein auch geschlechtlich abweichendes Gegenüber als springender Punkt ist aber nur ein philosophischer Tupfer, kein soziales Argument. Gleichwohl finde ich dieses Motiv sympathisch, da es die Andersheit des Anderen noch einmal ins Bewusstsein rückt und stark macht. Daraus ein Nein zur gleichgeschlechtlichen Ehe abzuleiten ginge meines Ermessens aber zu weit.
Ferner betont Koch die "generative Bedeutung" der Ehe zwischen Mann und Frau. Auch dieses eher biologische Argument halte ich für eingängig, auch wenn es nicht über Gebühr gewichtet werden sollte. Bisher ist die grundsätzliche Möglichkeit der Ausrichtung auf Nachkommen klarer Bestandteil des grundgesetzlichen ebenso wie des christlichen Ehebegriffs. Eine Erweiterung dieses Begriffs auf homosexuelle Paare würde diese potenzielle Offenheit für eigene Nachkommen negieren.

5
Damit komme ich zu dem eingangs erwähnten Unbehagen.
Wenn Worte etwas bedeuten sollen, dann muss klar sein, dass nicht jeder etwas völlig verschiedenes darunter verstehen kann.
Wird aber zur Zeit nur noch von Solidarität, Verlässlichkeit und gegenseitiger Verantwortungsübernahme4 gesprochen, anstatt von Partnerschaft mit der potenziellen Offenheit auf Nachkommen hin, dann verschiebt sich die Begrifflichkeit gewaltig. Das meint auch Erzbischof Koch, wenn er sagt, dass es um "eine qualitative Neuausrichtung des Begriffes Ehe" gehe.
Die völlige rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der "klassischen Ehe" wäre meiner Meinung nach gesellschaftlich und politisch, christlich-theologisch und moralisch überhaupt keine Frage, vielmehr sogar geboten, wenn Gleichheit und Gerechtigkeit und die Förderung von Verantwortungsübernahme und gegenseitigem Beistand in unserer Gesellschaft und im Christentum wichtige Werte sind.
Die Frage ist eher, ob der Begriff durch eine vollkommen neue Befüllung nicht leer wird.
Wie wird rechtlich unterschieden zwischen freundschaftlicher Unterstützung und lebenslanger Ausrichtung auf eine exklusive Person? Wieso sind Eltern und Kinder dann nicht ähnlich gemeint von den eben genannten Begrifflichkeiten?
Andererseits, und auch das verstehe ich, geht es gerade um diesen hochaufgeladenen Begriff – um die symbolische Wertschätzung, wenn der Begriff "Ehe" genutzt werden kann, egal ob er heterosexuelle oder homosexuelle Paare meint.
Aber ich habe ein bleibendes Unbehagen, wenn so verschiedene Dinge, und das sind heterosexuelle und homosexuelle Paare nun einmal, mindestens im Hinblick auf die Generativität, unter einem Begriff summiert werden.

Letztlich geht es (mir) gar nicht darum, ob philosophische oder theologische Argumente etwas gelten oder nicht, sondern wie gewichtet wird.
Steht Gottes bedingungslose Zuwendung zu allen im Fokus oder seine Forderung zu Umkehr? Ist Sexualethik ein entscheidender Baustein des eigenen Denkens oder ist es eher die Ausrichtung an Gerechtigkeit? Sind klassische Rollenbilder wichtig? Welchen Stellenwert geben wir der Frage der Nachkommen? Was für eine Bedeutung hat die christliche Tradition?

Wie gesagt, Freunde macht man sich mit diesen Fragen und Gedanken sicher nicht, aber eine angst- und polemikfreie Auseinandersetzung auch aus christlicher Sicht tut Not.

Nachtrag 01.07.2017: Die katholische Politikerin Claudia Lücking-Michel hat eine sehr schöne, prägnante und inhaltlich fast gleiche Zusammenfassung für diese Fragen veröffentlicht: http://bit.ly/2t7zjxK
(Ob man auch ihre Konsequenz für das Abstimmungsverhalten so nachvollziehen muss, sei dahingestellt...)

Revolution, aber richtig! Graffito, Berlin, 2013.


1   Vgl. J. Römelt, Freiheit, die mehr ist als Willkür. Christliche Ethik in zwischenmenschlicher Beziehung Lebensgestaltung, Krankheit und Tod. Regensburg 1997, 47. [Handbuch der Moraltheologie, Bd. 2]
2   Vgl. zu diesen im engeren Sinne theologischen Fragestellungen auch die äußerst instruktiven innerevangelischen Auseinandersetzungen von 2011: https://www.evangelisch.de/inhalte/103197/13-01-2011/der-offene-brief-der-altbischoefe-gegen-homosexuelle-pfarrerspaare und mehrere Gegenreden http://www.zeit.de/2011/04/Bischoefe-Partnerwahl.