Mittwoch, 7. Juni 2017

Gott ohne Garantie, ohne Maß – und ohne Bild

Und hier noch ein Nachschlag zu meinen Gedanken an Pfingsten, die um die Nichtdarstellbarkeit des Geistes Gottes kreisten.

Klar, das biblische Bilderverbot (Ex 20,4) erinnert uns daran, dass Gott über alle Vorstellungen hinaus geht und mit unseren menschlichen Vorstellungen nicht zu fassen ist. Gott ist größer – darum reichen all unsere Versuche, ihn zu verstehen und in Worte zu fassen nicht aus. Und eine bildliche Darstellung verbietet sich darum noch viel mehr.

Bildlos glücklich. Rixdorf, Berlin, 2014.
Fulbert Steffensky führt den Drang, sich ein Bild von Gott zu machen, anhand der Geschichte vom Goldenen Kalb (Ex 32) zurück auf den Wunsch, eine Art Gottes-Garantie zu bekommen. Mit Bildern und Worten versuchen Menschen (innerhalb und auch außerhalb von Religionen), Gott zurechtzustutzen auf das eigene Maß und ihn so in den Griff zu bekommen:
Das Volk in der Wüste wollte die Garantie seines anwesenden Gottes haben. Seine Kraft sollte gefangen gesetzt werden im kostbaren Bild des mächtigen Stieres. Er sollte dem Volk jederzeit zur Verfügung stehen in dem sichtbaren Bild. Und so wurde das Bild zum Götzenbild. Das war nicht mehr der Gott der Freiheit, der das Volk aus dem Sklavenhaus geführt und es aus dem Meer gerettet hatte. Das war ein nach Menschenmaß berechenbarer und handhabbarer Götze geworden.1

Gott nicht mit Bild und Wort letztendlich greifen und „festnageln“ zu wollen (wie es mit Jesus im wortwörtlichsten Sinn getan wurde), ist eine religiöse Herausforderung. Denn es bedeutet ein Offenlassen und Freihalten, welches besonders für das Aufnehmen des Heiligen Geistes unumgänglich ist. Ihm einen Platz freizuhalten in unserem Denken und Vorstellen ist wohl das entscheidende christliche Moment, das Menschen davor bewahren kann, den Glauben zu einer Ideologie werden zu lassen.

Die religiöse Sehnsucht, die sich bisweilen bloß als Überzeugung, dass da „etwas“ über uns ist, artikuliert, entspricht auch mindestens zu einem Teil dem, was die negative Theologie als Schweigen über Gott (und seine Attribute) bezeichnet. Denn Menschen ohne Religion, die auf einer religiösen Suche sind, stellen sich Gott möglicherweise lieber nicht vor und nutzen eventuell noch nicht einmal dieses Wort für ihn, schon gar nicht denken und suchen sie mit den alten und oft missbrauchten Bildern der Christen. (Wo sie es doch tun und zu einem christlichen Gedanken Gottes kommen – um so schöner!)

Wenn diese Art von Zurückhaltung aus Ehrfurcht vor der Größe Gottes entspringt, würde sie sich genau mit dem unter dem ersten Gedanken Beschriebenen decken.

Denn das sind Menschen, die zwar von der Kirche nichts wissen wollen, wohl aber auf religiöser Suche sind:
"Sie besuchen Meditationskurse. Sie lesen esoterische Bücher. Sie interessieren sich für Engel und für spirituelle Heilkräfte. Sie sind offen für das Göttliche und haben offensichtlich eine spirituelle Sehnsucht. Die Frage ist, wie wir diese vielen suchenden Menschen erreichen und wie wir ihr Herz berühren können."2

Ja, diese Frage sollten wir uns stellen, denn Gottes Größe umfasst alles menschliche Suchen.
Aus diesem Grund sieht Tomáš Halík in dieser Suche auch ein Zeichen des Geistes:
"Das Interesse an der Spiritualität ist unbestritten eines der Zeichen der Zeit, eine der wichtigsten göttlichen Einladungen an Suchende, ganz gleich, ob sie sich im Inneren der Kirchen oder bereits jenseits ihrer Grenzen befinden."3

Möglicherweise ist die Kirche (im Gegensatz zu Gott) nicht einladend genug für jene Suchenden, die auf der Spur des biblisch bezeugten Gott sind, der alle Schranken und Grenzen sprengt und vor dem wir unser Gesicht verhüllen müssten, würden wir ihm begegnen. Die Offenbarung in Jesus hebt diese Unberechenbarkeit Gottes ja nicht auf, Jesu Predigt domestiziert Gott gerade nicht als einen lieben verzeihenden Onkel-Gott.
Entgegen vieler gegenwärtiger Verkündigungstendenzen (auch in diesem Blog) rüttelt der eingangs zitierte Steffensky auf:
"Unsere Lieder, Gebete, Theologien sind fast von einstimmiger Vertrautheit ihm gegenüber. Er ist der gute Vater, die nährende Mutter, der mitreisende Bruder, er versteht uns, er liebt uns, er vergibt uns, er atmet uns, er ist die pure Zärtlichkeit. Dies alles ist ja gut und richtig. Aber diese religiöse Welt ist mir zu geglättet. Das Ganze ist mir zu süß und zu widerspruchsfrei geworden, zu harmonistisch und zu geheimnislos."4
Auch Steffensky lehnt die angstmachenden Gottesbilder früherer Generationen ab – aber genauso stellt er sich gegen eine Harmonisierung, die für ihn in "Selbstinfantilisierung" abzugleiten droht.5

Damit meint er das Ausblenden der Widerständigkeit, die der Gedanke eines ewigen, allgütigen und allmächtigen Gottes eigentlich beinhaltet. Manchmal fehlt uns eben die himmelweite Entferntheit in unserem Sprechen von Gott, die dem Islam zu oft unbedacht vorgeworfen wird.

Das wäre wohl eine wichtige Verantwortung unserer Zeit: Gott-Suchende ernst zu nehmen in ihrem Wunsch, die wahre Größe Gottes zu entdecken und sich dadurch selbst herausgefordert zu sehen, Gott nicht auf das eigene beschränkte Maß zurechtzuschrumpfen.

Bildlos noch glücklicher. Tempelhof, Berlin, 2014.
 
1   F. Steffensky, Die 10 Gebote. Anweisungen für das Land der Freiheit. Stuttgart 2013, 40.
2   A. Grün, Religiös unempfindlich bis spirituell suchend – das bewegte Bild des Atheismus. In: A. Grün, T. Halík, Gott los werden? Wenn Glaube und Unglaube sich umarmen. Münsterschwarzach 2016, 82f.
3   T. Halík, Die Religion und der geistlich suchende Mensch. In: A. Grün, T. Halík, a.a.O., 105.
4   F. Steffensky, a.a.O., 33.
5
   Vgl. ebd., 34f.