Mittwoch, 14. Juni 2017

Zeichen und Werkzeug – Fronleichnam und die Herausforderung der Ökumene

Die ökumenisch bedeutendste Aussage über die Eucharistie ist eine, die leider jeglicher Popularität entbehrt.
Denn es handelt sich um eine etwas sperrige und technisch klingende Doppelaussage – dass die Eucharistie "Zeichen und Werkzeug" kirchlicher Einheit sei.1
Einheit ist in der eucharistischen Feier darum zentral, weil sich durch das Zusammenkommen der Vielen zum einen Mahl zugleich die Einheit der Kirche verwirklicht. Sie teilen den einen (eucharistischen) Leib Christi und werden darum selbst der (kirchliche) Leib Christi. Paulus schreibt in der zweiten Lesung des heutigen Festes: "Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot." (1Kor 10,17)

Die Crux ist nun, dass die Christenheit bekanntlich nicht eine einzige Kirche ist, sondern aus vielen verschiedenen Kirchen besteht. 

Ein Brot.
Kapelle des Christian-Schreiber-Hauses, Grünheide, 2017.
Wie soll aber eine gemeinsame Feier getrennter Christen ihre Einheit ausdrücken? 
Es würde etwas simuliert, das in der Welt außerhalb dieser Feier keinen Bestand hat.
Das ist der Grundgedanke hinter dem Begriff "Zeichen": die Feier der Eucharistie zeigt, dass diejenigen, die die Fülle des Glaubens gemeinsam feiern, auch tatsächlich die Fülle der Gemeinschaft haben. In der höchsten kirchlichen Feier muss auch das Innerste der Kirche, nämlich ihre Einheit in Christus, hervortreten. Ökumenisch bedeutet das nach einer Reihe von kirchlichen Dokumenten, dass "die eucharistische Gemeinschaft untrennbar an die volle kirchliche Gemeinschaft und deren sichtbaren Ausdruck gebunden" ist.2

Doch seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil stellt die Kirche neben dieses Konzept der Eucharistie als Einheitszeichen den Gedanken der Eucharistie als Werkzeug oder Mittel, der in Spannung dazu steht.
Denn die Eucharistie hat zugleich eine geistliche Wirkung – sie will im gewandelten Brot auch die Empfänger des Brotes verwandeln. Und das nicht nur als Einzelne, sondern auch als Gemeinschaft. "Die Eucharistie ist für die Getauften eine geistliche Nahrung, die sie befähigt, die Sünde zu überwinden, vom Leben Christi selbst zu leben, immer tiefer in seinen Leib eingegliedert zu werden".3 Hier taucht also der "menschenfreundliche" Zug auf, der von dogmatischen Normen insofern absehen kann als dass das "Heil der Seelen" als wichtigstes Ziel kirchlichen Handeln herausgestellt wird. Walter Kasper schreibt dazu: "Die Einheit der Kirche ist keine totalitäre Größe, welche den Einzelnen 'aufsaugt' und gnadenlos einer abstrakten Einheitsideologie unterordnet. Der Einzelne wird vielmehr in seiner persönlich unableitbaren je einmaligen Situation ernst genommen."4 Und dann ist u.U. eben auch gemeinsamer Kommunionempfang mit jenen möglich, die nicht zur vollen "Communio" gehören.

Einheit nicht nur zeigen und ausdrücken, sondern auch bewirken – kürzestmöglich sagt das Konzil in der Kirchenkonstitution, die Einheit der Kirche werde in der Eucharistie "dargestellt und verwirklicht".5
Oder in etwas längeren Worten, es gehe um "die Bezeugung der Einheit der Kirche und die Teilnahme an den Mitteln der Gnade." Im Anschluss daran wird gefolgert: "Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen."6
Dialog nur zwischen Verschiedenen. Dießen, 2015.

Es hängt also ganz davon ab, welcher theologische Schwerpunkt gesetzt wird. Je nachdem ist dann zu entscheiden, ob eher dem Zeugnis der Einheit der Vorrang gegeben werden soll, die einen Zutritt von Nichtmitgliedern der eigenen Gemeinschaft dann ausschlösse – oder ob in der Hoffnung auf die aufbauende Wirkung der Eucharistie durch die Zulassung ein weiterer Schritt auf die Einheit hin getan würde.

Ich selbst bin kein Kirchenrechtler und habe die einschlägigen Diskussionen nicht vor Augen, aber, wie Kasper schreibt, wird die jeweils individuelle Situation in Frage stehen – ob ein evangelischer Christ in einer persönlichen Krise Trost und Stärkung durch die Nähe Christi in der Eucharistie sucht oder ob sich jemand, "nur" im Wunsch auch dazuzugehören, in die Reihe der Kommunikanden stellt. 
Von außen allerdings wird es schwer sein, sich ohne ein persönliches Gespräch ein Urteil anzumaßen.

"Nach all den Bemühungen um Konvergenzen in den zurückliegenden Jahrzehnten [der ökumenischen Gespräche zwischen evangelischer und katholischer Kirche, R.P.] erscheint es mehr und mehr unerträglich, dass evangelische und katholische Christinnen und Christen nicht gemeinsam Eucharistie feiern können."7 Ich persönlich habe den Riss zwischen den Kirchen immer besonders stark empfunden, wenn ich wusste, dass eine wirklich suchende und im Gebetskontakt mit Gott stehende Person nicht zur Kommunion ging, weil sie sich nicht zugehörig empfand – und stehe zugleich dazu, dass ich glaube, dass vorher noch viele andere Schritte nötig sind, bevor wir umstandslos das "Geheimnis des Glaubens" als Höhepunkt der Einheit regulär miteinander feiern können.
Und trotzdem sollten wir die Kraft Gottes, die in diesem Sakrament wirkt, nicht unterschätzen. Auch durch das gemeinsame Gebet und die Feier der Gemeinschaft will Gott uns tiefer zueinander und tiefer zu sich führen. Und gerade in der gemeinsamen Erinnerung an den Tod und die Liebeshingabe seines Sohnes können wir stärker ermessen, was uns fehlt, wenn wir nicht zusammenkommen können.

Wenn wir Katholiken dieser Tage also das Fest Fronleichnam und darin die Eucharistie feiern, sollte uns diese Feier auch Erinnerung und Ansporn sein, uns weiter und stärker für die volle Einheit der Christen einzusetzen. Denn "Ökumene hat nicht nur mit Texten zu tun, sondern auch mit gegenwärtiger Praxis."8
Ein Haus für alle. Fürstenwalde / Spree, 2016.

1   Vgl. LG 3; UR 8. Etwas ausführlicher W. Kasper, Sakrament der Einheit. Eucharistie und Kirche. Freiburg i.Br. 2004, bes. 130-143. Oder Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus. Hg.: Sekretariat der DBK, Bonn 1993, No 129.
2   Ebd.
3   Ebd.
4   W. Kasper, a.a.O., 139.
5   LG 3.
6   UR 8. Vgl später das Direktorium, a.a.O., 129: "Im Lichte dieser beiden Grundprinzipien, die stets zusammen gesehen werden müssen, gewährt die katholische Kirche im allgemeinen den Zutritt zur eucharistischen Gemeinschaft und zu den Sakramenten der Buße und der Krankensalbung einzig jenen Gläubigen, die mit ihr in der Einheit des Glaubens, des Gottesdienstes und des kirchlichen Lebens stehen.
Aus denselben Gründen erkennt sie auch an, daß unter gewissen Umständen, in Ausnahmefällen und unter gewissen Bedingungen der Zutritt zu diesen Sakramenten Christen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften gewährt oder sogar empfohlen werden kann."
7   V. Leppin, D. Sattler (Hgg.), Reformation 1517-2017. Ökumenische Perspektiven. Freiburg i.Br. / Göttingen, 71.

8   Ebd.