Samstag, 3. Juni 2017

Pfingsten – Geist ohne Taube bei Volker Stelzmann

Es ist ein Kreuz mit dem Geist Gottes.
Unbefriedigend ist vor allem, sich keine befriedigende visuelle Vorstellung, kein Bild von ihm machen zu können. Entweder wird er durch ein fliegendes Tier symbolisiert oder mithilfe eines kleinen Feuerflämmchens, was jeweils seine theologischen und künstlerischen Gründe hat, aber für befriedigend halte ich auch das nicht. Vielleicht sollte man ihn einfach überhaupt nicht darstellen.
Diese letztere Möglichkeit passt nämlich für Gott überhaupt am besten – zur Theologie genauso wie zu Kunst mit christlichen Motiven.

Im Gefängnis und in der Schule habe ich zur Vorbereitung auf das Pfingstfest immer mal Pfingstbilder bekannter Maler angeschaut – Tizian, El Greco, Giotto di Bondone, Nolde, Dürer …
Überall finden sich Feuerflammen oder Tauben oder beides. Oft auch noch himmelwärts gerichtete Verzückung und Strahlenglanz.
Volker Stelzmann, Das Pfingstbild. (2001/02)
Quelle: E. Poll (Hg.), Volker Stelzmann.
Versuchsanordnungen. Frankfurt a.M. 2007, 127
Aber da gibt es auch ein relativ aktuelles Bild von Volker Stelzmann, "Das Pfingstbild" von 2001/02.1 Darauf sind vor einfarbig dunklem Hintergrund eine Reihe eng vor- und hintereinander stehender Personen zu sehen. Viele Männer, vielleicht einige Frauen, alle im Bildvordergrund nahezu auf einer Ebene positioniert. Sie schauen in verschiedenste Richtungen und scheinen nicht koordiniert miteinander zu tun zu haben. Einige Hände stechen in verschiedenen Haltungen hervor, zeigen nach oben oder nach unten, sind wie zum Gebet gefaltet oder ausgestreckt. Die Menschen scheinen in Bewegung zu sein, aber es ist nicht zu erkennen, ob es einen gemeinsamen Grund oder gar eine Ordnung für diese Bewegungen gibt. Erst nach mehrmaliger Betrachtung erschloss sich mir außerdem eine Art Lichtschein auf Höhe der Knie. Die Beine sind bei drei im Vordergrund abgebildeten Personen kurz behost und darum nackt zu sehen.
In all dem aber: kein Geist in Form von Taube oder Flamme, kein Leuchten, kein Aureole. Nur diese Menschen vor dunklem Grund mit hellen Beinen. Und eben die Bildunterschrift, dass es sich um ein Pfingstbild handle.
Denn wie sehen geisterfüllte Menschen denn aus, wenn nicht auch so...?

Möglicherweise wirkt auch die Kirche für Nichtchristen heute genau so: unterschiedlichste Menschen tun verschiedenste Dinge, ohne dass Außenstehenden klar wird, was sie da genau antreibt. Es ist keine Einheitlichkeit zu erkennen, keine gemeinsame gleichzeitige Ausrichtung, keine besondere Schönheit und erst recht kein Heiliger Geist.
Schon insofern wäre Volker Stelzmanns Bild passend und dem Blick von außen angemessen. Aber auch für uns Christen fragt sich ja, ob und wie der Geist, an dessen Wirken wir ja in Kirche und Welt glauben, sichtbar wird.
Und da scheint es ja, dass wir vornehmlich seine "Effekte" wahrnehmen können, also nicht ihn selbst, sondern sein Wirken in den Menschen. WWeil die Bibel von den Gaben des Geistes spricht, wäre der Geist also sichtbar dort, wo Menschen einander guten Willens Rat geben oder den Namen Gottes in ihrem Leben heilig halten ("Gottesfurcht") oder prophetisch Kritik an bestehenden ungerechten Verhältnissen üben usw. (vgl. Jes 11,2; 1Kor 14).
Aber das wäre, darauf verweist das Bild Stelzmanns, eben nur unter der Prämisse wahrnehmbar, dass es sich da gerade wirklich um das Wirken und Wehen des Geistes handelt.

Darum noch zwei Bemerkungen zum Bild:
Einer weist nach oben und einer nach unten – die Diskrepanz im Bereich christlicher Meinungen kann wie Unfrieden oder Uneinigkeit wirken. Es kann aber auch sein, dass der Geist die Kirche ganz bewusst an den verschiedenen Punkten, an denen sie in der Welt steht, zu verschiedenen Hinweisen veranlasst, weil in der Welt eben je nach Zeit und Ort verschiedene Richtungsweisungen nötig sein können.
Die angestrahlten Beine – worauf ist der Fokus gerichtet, wenn Menschen die Kirche anschauen? Auf die Gesichter und Hände – also auf den Glauben und auf das, worauf sie hinweist? Oder auf die "unteren" Bereiche, dort wo sie nackt ist, wo manche Menschen nur "Unkultur" erkennen können? Denn bei allem Erfülltsein von Heiligendem Geist ist doch auch der Kirche – leider und zum Glück, und sowieso unvermeidlich – nichts Menschliches fremd.

Auf diese Weise entspricht dieses Bild in Vielem dem, was Pfingsten und was Kirche ausmacht. Kein riesiger Wunder-Feuersturm mit Haus-Brausen zeigt sich heute, sondern normale Menschen in verschiedensten Situationen, Haltungen und Ausrichtungen, die geeint werden durch ihre Anwesenheit dort, wo der Heilige Geist sich ihnen gibt.
Und er gibt sich jedem anders, so dass jeder etwas anderes aus seiner Gegenwart macht.
Das aber kann dann seine Wahrnehmbarkeit in der Welt sein.

1   Zu finden in: E. Poll (Hg.), Volker Stelzmann. Versuchsanordnungen. Frankfurt a.M. 2007, 127. Oder unter: http://www.volkerstelzmann.de/Bilder.0.6.1.html.