"Boże Ciało" heißt übersetzt Leib Gottes, verstanden als Leib Christi. Deshalb ist die Übersetzung des polnischen Films "Boże Ciało" (2019) mit dem lateinischen "Corpus Christi" für die deutsche Vermarktung richtig.
Aber "Boże Ciało" heißt auch noch etwas anderes. Es ist nämlich der volkstümliche polnische Name für das "Fest des heiligsten Leibes und Blutes Christi", das im deutschen Sprachraum in der Regel "Fronleichnam" genannt wird.
Wenn polnische Zuschauer sich den Film von Jan Komasa ansehen, werden sie darum sicher auch an besagtes Fest denken, an dem die Handlung des Filmes zu einem Höhepunkt kommt. Mit dem für Deutschland gewählten Titel gerät die zweite Bedeutung stärker in den Blick. Leider geht dabei aber die Doppeldeutigkeit, die dem polnischen Titel eignet, verloren.
Worum geht es im Film nun?
Wessen Leib? Neukölln, Berlin, 2020. |
Konkret: Der junge Daniel (Bartosz Bielenia) wird aus dem Jugendknast entlassen. Anstatt aber in das Sägewerk zu gehen, in dem er eine Stelle sicher hat, gibt er sich im Dorf nebenan als Priester aus. Während sich der alkoholkranke Pfarrer heimlich in Therapie begibt, muss sich der Betrüger fortan mit den laufenden Pflichten einen Geistlichen in der polnischen Einöde herumschlagen.
Und er macht es, natürlich gar nicht schlecht. Seine Predigten sind lebensnah, seine Herangehensweise unkonventionell und sein Umgang mit der Dorfjugend, besonders mit Marta (Eliza Rycembel), erfrischend.
Außerdem deckt er ein dunkles Kapitel des Dorfes auf und entlarvt auf diese Weise die Doppelbödigkeit der katholischen Moral, hinter der sich alle verbergen. Weil er sich auf diese Weise den Bürgermeister (Leszek Lichota) und die Pfarrhaushälterin (Aleksandra Konieczna) mehr und mehr zu Feinden macht, spitzt sich die Situation mehr und mehr zu, bis Daniel schließlich das Dorf verlassen muss.
Und die Moral von der Geschicht' könnte nun sein, dass der Außenseiter das System Kirche besser auf Vordermann bringen kann als die alten Hasen. Dass die polnische (Dorf-)Gesellschaft hinterlistig verurteilt und eine Umkehr des Herzens nötig hat. Das ist zwar nicht völlig trivial, aber eben auch erwartbar. Kirchenkritik, Gesellschaftskritik – alles wie immer.
Wenn da nicht der Titel wäre!
Welche theologische Ausdeutung gibt ein solcher Titel denn her?
Zunächst ist festzustellen, dass Daniel ein großer Täuscher im Namen des Herrn ist. Er hat keine Ausbildung und keine Beauftragung. Seine Motivation wird zwar nicht vollends klar, aber er scheint ein ernstes Interesse am geistlichen Beruf zu haben und wird darüber hinaus immer wieder als Betender gezeigt. Geht hier einer den falschen Weg aus guter Überzeugung? Dies scheint sich nahezulegen bei einem Blick in das Markusevangelium, wo die Jünger ihrem Meister von einem Mann berichten, der "in deinem Namen Dämonen austrieb" (Mk 9,38) und sie ihn daran hindern wollten, woraufhin Jesus ihnen sagt: "Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen eine Machttat vollbringt, kann so leicht schlecht von mir reden. Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns." (Mk 9,39f)
Das könnte man im Blick auf den Film so lesen, dass Ausbildung, Amt und Auftrag nicht entscheidend sind, wenn nur das Gute im Namen Jesu geschieht. Der Kirche durch die Sakramente dienen, ohne das Recht dazu zu haben, ist (aus institutioneller und kirchenrechtlicher Sicht) zwar ein starkes Stück, aber immerhin wird dadurch der wahre Auftrag der Kirche besser erfüllt als durch die nur vordergründig Frommen.
Polnische Kirche, leer. Rusinowo, 2019. |
Hier würde der Filmtitel "Leib Christi" seine Bedeutung ganz entfalten, denn Daniel würde dann den Leib Christi durch seinen Leib, durch sein Leben repräsentieren. Das ist selbstverständlich eine Provokation – aber das war das Auftreten Jesu ja auch. Ein einfacher Zimmermannssohn, der nicht zum religiösen Establishment gehört, wurde als Messias verehrt. Im Film ist es ein ehemaliger Straftäter, der Wache steht, während seine Kumpel einen anderen quälen und sich nach der Haft als Priester ausgibt, der er nicht ist. Da entsteht eine klare moralische Dissonanz.
Doch demgegenüber stehen diverse andere Szenen: Daniel wehrt sich nicht, als er im Gefängnis angegriffen wird. Er versucht, die Nöte der Dorfbewohner zu verstehen und ihnen mit Wohlwollen zu begegnen, eingeschliffene Konflikte will er zugunsten der Schwachen und Ausgegrenzten lösen.
Er freut sich mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden (vgl. Röm 12,15), ist hingabebereit und zugewandt. Zugleich ist er ganz der junge Mann, der wilde Musik hört, raucht und Gefallen an Marta (!) findet, deren Bruder gestorben ist (vgl. Joh 11, Marta als Schwester des gestorbenen Lazarus).
Immer wieder zieht Daniel sich ins Gebet zurück (vgl. Lk 5,16). Schlussendlich wird er verraten und kann seine Mission im Dorf nicht weiterführen. Auch der Filmschluss (ohne hier zu viel zu verraten), kann in dieser christologischen Richtung gedeutet werden.
Vorsichtig und sehr uneindeutig wird da also ein Bild dieser Hauptfigur gezeichnet, die ein ungewohnter, neuer "Körper" für Christus sein könnte. Ohne den Titel wären mir eine Reihe der eben genannten Vergleichspunkte allerdings gar nicht ein- und aufgefallen. Und das, obwohl Bartosz Bielenia eine asketische und intensive Darstellung Daniels gelingt, die ihm das nötige Christus-Charisma mitgibt. Die Perspektive, die der Titel aufgibt, ist nicht ganz einfach einzuholen.
Fazit: Sieht man "Boże Ciało" nicht nur mit der Brille der Gesellschafts- und Kirchenkritik (eine Dimension, die der Film natürlich auch hat), sondern versucht im falschen Priester Daniel die Christusfigur zu entdecken, die das Drehbuch in ihm angelegt hat, dann treten viele unerwartete und überraschende Aspekte des Leibes Christi ans Licht.
In diesem Licht lohnt sich das Anschauen noch einmal mehr!
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