Mitten in die Predigtvorbereitung über
das heutige Evangelium von der Vergebung (Mt
18,21-35) wird mir in der Nacht zu Freitag mein Fahrrad aus dem
Hof geklaut. Das vierte geklaute Rad in acht Jahren in Berlin.
Da fällt es mir schwer, über
Vergebung nachzudenken.
Weil ich selbst betroffen bin.
Sitze ich in der JVA jemandem
gegenüber, der von seinen Straftaten erzählt, kann ich leichter
Verständnis aufbringen. Ich bin ja nicht der Geschädigte, nur der
Seelsorger, der dann die Lebensumstände und den Suchtdruck des
Inhaftierten bedenkt und sich wohlwollend verhalten kann.
Aber wenn es um mich selbst geht, werde
ich aggressiv.
Und dann dieses Evangelium!
Wie hoch ist die Hürde? Neukölln, 2020. |
Mir wurde etwas genommen und es fällt mir schwer zu vergeben - ihm wurde etwas geschenkt und trotzdem vergibt er nicht.
Allgemeiner gefragt: Wie schwer ist es zu
vergeben?
Dort ist einer, der etwas geschenkt
bekommt – und dann verschlossen bleibt.
Hier sitzen Sie, die vom Gericht mit
einer Freiheitsstrafe bestraft wurden, denen also nicht vergeben
wurde – und Sie werden aufgefordert, sich zu öffnen und als
bessere Menschen aus dem Gefängnis zu gehen.
Und ich ärgere mich über den
Diebstahl – und soll nun über Vergebung predigen.
Schwierig.
„Bringt denn der Knast auch was?“,
werde ich immer mal gefragt. Ich bin dann sehr zurückhaltend mit
meinem Urteil.
Denn die Vergeltungslogik setzt sich ja
fest. Jemand tut etwas Schlechtes und Strafwürdiges, dafür wird er
bestraft. Ob das seine eigene Großzügigkeit und
Vergebungsbereitschaft fördert, darf sehr bezweifelt werden. Zumal
ja die Statistiken zeigen, dass auch das Ziel der
Resozialisierung oft verfehlt wird, das ja "nur" darin besteht,
dass keine oder weniger Straftaten verübt werden.
Und wer sich in Haft ungerecht
behandelt fühlt, bei dem wird sich auch noch das Gefühl festsetzen,
ein Opfer der Justiz zu sein.
Wie kann es denn aber klappen mit der
Großzügigkeit, mit der Vergebung, mit der Versöhnung?
Das Evangelium gibt mit dem negativen
Beispiel ja eigentlich die Richtung vor:
Wenn jemand reich beschenkt wurde, dann
sollte es ihm selbst leichter fallen, großzügig zu sein.
Wenn jemandem vergeben wurde, sollte es
ihm leichter fallen, selbst zu vergeben.
Es geht um eine Art Lerneffekt.
Das beginnt bei kleinen Dingen: Ich
sehe zum Beispiel, dass mein Alltag ohne Fahrrad zwar unbequemer ist,
ich aber trotzdem Grund zur Dankbarkeit für mein Leben habe.
Ich muss keine Angst haben, dass meine
Kinder morgen nichts zu essen bekommen. Ich muss mich nicht sorgen,
dass ein Krieg mich aus meiner Heimat vertreibt.
Ich darf dankbar sein, aber dafür muss ich
meinen Blick anders fokussieren.
Vielleicht hören die schlechten
Gefühle wegen des Fahrraddiebstahls dann nicht sofort auf, aber es
hilft ja auch nichts, wenn ich mich immer weiter in Ärger und Wut
hineinsteigere.
Das ist auch mein Vorschlag für Sie:
Wagen Sie den Wechsel der Perspektive, fort vom Ärger und hin auf
das, was Sie dankbar macht. Das kann für Sie unter den Bedingungen der Haft
schwieriger sein als für mich – aber es zu versuchen ist
allemal besser, als sich in schlechter Laune einzurichten.
Der Weg ist frei. Wildau, 2019. |
Gott ist uns gegenüber
vergebungsbereit. Zu vergeben ist fast schon eine Art Eigenschaft
Gottes.
Wir sehen es in Jesu Geschichte: Obwohl
die Schuld des Knechtes so riesig ist, wird ihm auf sein Bitten hin
vergeben. So ist Gott, will Jesus damit sagen.
Bitte ihn um Vergebung und vergib
selbst, dann wird es gut. Es ist das biblische Prinzip, dass wir uns
in unserem Handeln an Gott und seinen Eigenschaften orientieren
sollen.
So wie wir ja auch im Vaterunser beten:
"Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren
Schuldigern." (Mt
6,12)
Beides gehört zusammen.
Voraussetzung ist natürlich, dass wir,
also Sie und ich und der Papst und jeder Mensch, dass wir uns
(erstens) unsere Fehler eingestehen. Unseren Neid, unseren Ärger,
unsere Rachsucht, unsere Gier und so fort.
Wenn wir es dann (zweitens) wagen, uns
mit diesen Fehlern vor Gott hin zu stellen und ihn im Vertrauen auf
seine Vergebungsbereitschaft um Vergebung zu bitten, werden wir
wirkliche Erleichterung spüren können. Das können wir aber nicht,
wenn wir so tun, als wäre doch alles gar nicht so schlimm.
Dann wird (drittens) dieses
Bewusstsein, dass Gott uns vergibt, uns selbst zu fröhlichen
Vergebern machen. Wir werden gern vergeben können.
Probieren Sie es aus: Wenn Sie es
genießen können, großzügig zu sein, wenn Sie gern vergeben
können, dann wird es Ihnen selbst besser gehen – und denen, die um
Sie herum sind.
Dankbar sein, großzügig sein,
vergebungsbereit sein – das ist es, was Gott von uns will. Das ist
es, was er uns in Jesus vorgelebt hat. Das ist es, wozu er uns immer
wieder einlädt.
Manchmal braucht es etwas Anlauf.
Aber es klappt: Im Gefängnis oder
draußen. Mit Fahrrad oder ohne.
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