Im Evangelium von Hirt und Herde, vom
Schafstall und der Tür hinein (Joh 10,1-10) zeichnet das
Johannesevangelium ein Bild des Vertrauens zwischen den Schafen und
ihrem Hüter. Die Schafe folgen dem vertrauten Hirten und ihr Ein-
und Ausgang ist so sicher, dass sie später das "Leben in
Fülle" (v10) haben.
Wer aber auf die heutige Situation der
Kirche in unseren Breiten und auf die bestellten Hirten schaut, der
kann sehr rasch ernüchtert werden. Wenig Kontakt der Christen in
ihre Gemeinden und zu den hauptamtlich Leitenden, wenig Zutrauen in
die Leitung vor Ort, wenig Hoffnung für die Zukunft – und auch
beim inneren Kontakt zum eigentlichen Hirten Christus scheint nicht
Freundschaft im Gebet, sondern Sprachlosigkeit vorzuherrschen.
Was ist das für eine Herde, der die Schafe fortlaufen?
Was ist das für eine Herde, der die Schafe fortlaufen?
Wo stehen wir? Baustelle in Schöneweide, Berlin, 2016. |
Thomas Frings, Priester aus Münster,
wurde letztes Jahr überregional bekannt, als er unter öffentlicher
Kritik an vielerlei Verhältnissen in Pfarreien und unter den
Gläubigen sein Pfarramt niederlegte und sich zunächst in ein
Kloster verabschiedete. Er hat nun vor einigen Monaten seine
Beobachtungen in seinem Buch "Aus, Amen, Ende?"1
ausführlich in Worte gefasst.
Seine Gedanken halte ich für so
spannend, dass ich angesichts des anhaltenden (zumeist
innerkirchlichen medialen) Interesses zu den Fragen der Zulassung zum
Priesteramt (vgl. z.B. hier) und aus Anlass des Sonntags mit besagtem Evangelium einige der
Themen vorstellen möchte.
1
Frings sieht die Kirche in der Krise,
"weil wir Zeugen einer Glaubens- und Gotteskrise sind. Ob wir
jedoch mit mehr Anstrengung und Bemühen etwas ändern können, das
wage ich zu bezweifeln. Nie war Kirche in unserem Land stärker
vertreten bei den Menschen mit mehr Kirchen, Pfarrhäusern,
Kindergärten, Schulen, Pfarrheimen. Nie hatten wir besser
ausgebildetes Personal an Seelsorgern. Nie haben die mit so viel
Ideen, wissenschaftlichen Analysen und Studien gearbeitet – und mit
all dem sind wir da hingekommen, wo wir jetzt sind."2
Das ist ernüchternd – Strukturen,
Geld und Kompetenz überbrücken augenscheinlich nicht das
weitgehende Desinteresse an Gott.
2
Vielleicht drehte es sich zu lange
immer nur darum, mehr Priesterberufungen zu haben. Die seit dem
Konzil vielfach und auch von Papst Franziskus3
(und den Deutschen Bischöfen in "Gemeinsam Kirche sein"4)
neu ins Bewusstsein gerufene gemeinsame Taufgnade aller ChristInnen
wird viel zu oft vernachlässigt.
Angesichts von Kirchenschließungen und
Gemeindefusionen schreibt Frings: "Der Wunsch, vor Ort
präsent zu bleiben, erfüllt sich [...] noch mehr, hundert- und
tausendfach durch die Getauften, die vor Ort leben. Welchen Wert
haben diese aber schon im Vergleich mit dem Gebäude oder dem
hauptamtlichen Seelsorgepersonal? [...] Erst, wenn die Kirche
geschlossen oder die Pfarrerstelle nicht mehr besetzt wird, ist eine
Veränderung für fast alle Menschen spürbar – dagegen regt sich
Widerstand, aber oft auch erst dann. Demnach konstituiert sich bei
uns Kirche wesentlich und sichtbar über Gebäude und Hauptamtliche.
Die Anwesenheit Hunderter und Tausender Getaufter spielt eine
untergeordnete Rolle. Es liegt noch ein weites Feld vor uns, die
Taufgnade ernst zu nehmen und ihre Berufung zu stärken."5
Soll das eine Kirche sein? Aula und UniversitätskirchePaulinum, Leipzig, 2016. |
In diesem Zusammenhang weist Fring auch
auf die Engführung des Gebets um Berufungen hin. Dies wird ja
zumeist so verstanden, dass für "die große Ernte"
(Mt 9,37) Priester oder Ordensberufungen erbetet werden sollen. Doch
hat Jesus "im Hinblick auf uns in Deutschland wirklich daran
gedacht, wir sollten beten um bezahlte Kräfte im Dienst des
Evangeliums? Woraus besteht die besagte Ernte denn? Aus der Betreuung
von Getauften bis zu deren Tod? Sind die Getauften die Ernte, die von
hauptamtlichen Getauften zusammengehalten wird? Kluge Köpfe haben
schon darauf hingewiesen, dass es vielleicht ein Zeichen Gottes ist,
dass er unser Gebet nicht erhört, damit wir hingehen und etwas
ändern."6
Dem ist (aus Sicht eines hauptamtlichen
Gefängnis- und Schulseelsorgers...) nichts hinzuzufügen.
3
Die Anspruchshaltung an Pfarrer in
Gegenden, wo Kirche (noch) als Volkskirche existiert, kenne ich aus
eigenem Erleben nicht. Meine Klientel ist in der Regel randständig
oder von kirchlich allseits gewendeten Glaubensfragen völlig
unberührt.
Wo die regelmäßigkeit des Kirchgangs
und damit der Kontakt zu Pfarrern abnimmt, gewinnt die einzelne
Begegnung an Gewicht.
Das bedeutet einen enormen Druck auf
die Pfarrer: "Erleben Menschen uns nur noch alle fünf bis
zehn Jahre bei einer Taufe, Erstkommunion, Hochzeit oder Beerdigung
und erwischen uns dann an [...] einem schlechten Tag, dann heißt es
für die kommenden Jahre: 'Der ist unsympathisch und macht schlechte
Stimmung. Ein guter Grund, da nicht mehr hinzugehen.'"7
Solchen Nörglern, die vor allem am
kirchlichen "Bodenpersonal" Gottes immer etwas auszusetzen
haben und mit Kirchenaustritt drohen, falls bestimmte Formen bei
kirchlichen Familienfeiern nicht wunschgemäß umgesetzt werden,
selbst aber nur zu Weihnachten und ebendiesen Familienfesten in die
Kirche kommen, möchte Frings entgegnen, dass sie sich doch vor eine
normale Gemeinde stellen und schauen sollten:
"Was meinen Sie, was Sie da für
eine Ansammlung von Mangelerscheinungen zu sehen und zu hören
kriegen! Glauben Sie wirklich, dass nur Sie es schwer haben und wir
umgekehrt nur hundert-oder auch nur achtzigprozentige tolle Menschen
vor uns haben?"8
Wahrscheinlich sollte man sich das
nicht überall erlauben, aber angesichts ständiger Krittelei finde
ich eine solche Aussage nur zu verständlich. Und auch Jesus selbst
war ja nicht zimperlich in der Einschätzung seiner Zeitgenossen.
Realismus und Barmherzigkeit schließen
sich allerdings nicht aus, sondern gehören in der christlichen Herde
zusammen. Das gilt in der Selbsteinschätzung genauso wie in der
Wahrnehmung der Institution. Menschen, die einen Wiedereintritt in
die Kirche überlegen, entgegnet Frings darum: "Wir freuen
uns über jeden Menschen, der bei uns mitmachen will. Doch wer
glaubt, dass wir durch ihn nur besser werden, der überschätzt sich
– und der unterschätzt uns."9
4
Zu guter letzt (dort stehe ich in
meiner Lektüre gerade ...) macht Frings wieder neu sensibel für die
Unterscheidungen in der Kirche. Die Distinktionen sind (v.a. mit
Blick auf das elterliche Verprechen bei der Taufe, das eigene Kind im
Glauben zu erziehen) sehr klar: "Bei uns gibt es immer nur
'ganz' oder 'gar nicht'. Mit dem Ergebnis, dass alles versprochen und
immer weniger gehalten wird."10
Angesichts dieser Situation fragt
Frings, ob eine gestufte Zugehörigkeit für die Mehrzahl der
Menschen nicht viel sinnvoller wäre: "Zum Beispiel, wenn
Eltern ihr Kind zunächst einmal segnen und dann, wenn die
Entscheidung wirklich gereift und gefallen ist, später taufen. So
entscheiden sie mit, wie viel sie versprechen und auch halten können.
Die Katechumenensalbung könnte wieder zu ihrem Recht und ihrer
Wirkung kommen. Unser Angebot und das Bedürfnis der Menschen, die
immer seltener in Übereinstimmung zu bringen sind, könnten sich
wieder annähern."11
Insgesamt sehr spannende Einsichten und
Vorschläge, die zum Einen dem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust
der Kirche und der Abwendung von vielen ihrer Angeboten selbst
seitens ihrer eigenen Mitglieder Rechnung tragen und dabei zugleich
spirituell feinfühlig, hochenagiert, erfahrungsgesättigt und
innovativ sind.
Zugleich behauptet der Autor nicht, auf alles eine Antwort zu haben.
Zugleich behauptet der Autor nicht, auf alles eine Antwort zu haben.
Doch gerade das ist: Überzeugend und voller persönlichem Einsatz. Solche Hirten wünscht man sich.
Eingang zum Park. Kladow, Berlin, 2015. |
1 T.
Frings, Aus, Amen, Ende. So kann ich nicht mehr Pfarrer sein.
Freiburg i.Br. 2017.
2 Ebd.,
31.
3 Vgl.
die Hinweise von Frings ebd. 77f. Und beispielsweise:
http://de.radiovaticana.va/news/2015/01/11/im_wortlaut_papstpredigt_zur_taufe_in_der_sixtina/1117768
5 T.
Frings, a.a.O., 39.
6 Ebd.,
44.
7 Ebd.,
65.
8 Ebd.,
58.
9 Ebd.,
61.
10 Ebd.,
73.
11 Ebd.,
79.