Unvermeidlich wird es irgendwann einmal
so weit sein, aber wenn der Augenblick nach jahrelangem aufreibenden
Warten endlich da ist, dann ist es kaum zu glauben.
Während der heutige 8. Mai in
Deutschland als Jahrestag des Kriegsendes begangen wird, steht für
viele der aktuellen Kriege und Konflikte ein Ende mit Freude und
Schrecken noch aus. Wir sehen die Kriege unserer Tage aus der Ferne –
und doch wird auch ein Kriegsende in Syrien für uns spürbar sein,
mindestens wenn sich für Geflüchtete die Frage nach ihrer Rückkehr
in die Heimat stellt.
Die Lyrikerin Hilde Domin erlebte das
Kriegsende 1945 auch aus der Ferne, und zwar als deutsche Exilantin
(so hießen Flüchtlinge damals) in Santo Domingo. Sie beschreibt
ihre damaligen Erlebnisse und Gedanken so:
In die Luft gehängt. Container, Alt-Treptow, Berlin, 2016. |
"Die Sirenen der Zeitung
heulten dreimal, durchdringend. Dann stimmten alle Sirenen der Stadt
ein. Es war ein furchtbarer Lärm. Da unser Radio gerade in der
Reparatur war, stürzte ich auf die Straße zum nöchsten
öffentlichen Telefon, um zu hören, was passiert war."1
Auf dem Weg sieht sie einen der
einheimischen Armen, den sie als glücklich "am Rande der
Geschichte" sitzend einschätzt und passieren will. Doch:
"Als ich an ihm vorbeiging, sah
er auf und sagte: 'Wunderbare Nachrichten, Señora.
Wunderbar! Der Krieg ist aus. Frieden!'"
Sie bleibt stehen und ist wie betäubt:
"Das war sie also, die große,
die lang ersehnte Nachricht. Ich fühlte nichts ... wie es geht, wenn
das Erwartete da ist und die Spannung uns losläßt: Man wird einen
Augenblick lang aufgehoben aus dem Zusammenhang, gehißt ins
Nichtwirkliche. Dann wird man fallengelassen in irgendeine Tiefe, von
der man erst langsam wieder an die Oberfläche zurückkommt. Das
Gefühl setzt aus."
Mitten in diese Erschütterung hinein
teilt ihr der Mann mit, dass auch er sich nun nach Europa auf den Weg
machen würde und beginnt zu singen:
"Bim Bam,
Der Krieg ist aus,
Jetzt fahren sie nach Haus"2
Mit diesem Lied im Ohr eilt sie nach
Hause und taucht langsam wieder auf an die Oberfläche ihres Alltags.
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Als Hilde Domin einige Jahre später
das erste Mal ein Gedicht veröffentlicht, ist es "Wen es
trifft", in dem sie das Motiv des Herausgerissenseins
aufnimmt und die Gefühle eines gerade noch Davongekommenen so
einleitet:
"Wen es trifft,
der wird aufgehoben
wie von einem riesigen Kran
und abgesetzt,
wo nichts mehr gilt,
wo keine Straße
von Gestern nach Morgen führt."3
Zwar führt der Verlauf des Gedichts
zunächst ins schreckliche Erleben der Heimatlosigkeit, Unsicherheit
und Ohnmacht, aber auch zu neuer Beheimatung und Verortung in
Sicherheiten.
Der erste Teil des Gedichtes schließt
mit folgender Charakterisierung eines solchermaßen Geretteten und
neu ins Leben Gekommenen:
"Doch eine gewisse Leichtigkeit
ist ihm
wie einem Vogel
geblieben."4
Vielleicht geht das allen so, die
Kriege überlebt und es gerade so noch einmal geschafft haben.
Vielleicht sind die Geflohenen und die Deplatzierten in aller
Traumatisierung doch auch Freigesetzte.
Wenn der Krieg vorbei ist, wenn das
Gefühl wieder einsetzt und die Last von Verfolgung, Angst und
Entwurzelung langsam abfallen kann – dann bleibt "eine
gewisse Leichtigkeit".
Nachträglich hat sie diese Leichtigkeit sicher auch im Lied des Armen entdeckt:
"Bim Bam
Der Krieg ist aus"
Leichtigkeit auf Teppich. Seddin, 2016. |
1 H.
Domin, Von der Natur nicht vorgesehen. Autobiographisches. Frankfurt
a.M. 1993, 128.
2 Ebd.,
129.
3 H.
Domin, Nur eine Roe als Stütze. Gedichte. Frankfurt a.M. 1994, 46.
4 Ebd.,
50.