Montag, 8. Mai 2017

"Bim Bam, der Krieg ist aus" – Das Kriegsende bei Hilde Domin

Unvermeidlich wird es irgendwann einmal so weit sein, aber wenn der Augenblick nach jahrelangem aufreibenden Warten endlich da ist, dann ist es kaum zu glauben.
Während der heutige 8. Mai in Deutschland als Jahrestag des Kriegsendes begangen wird, steht für viele der aktuellen Kriege und Konflikte ein Ende mit Freude und Schrecken noch aus. Wir sehen die Kriege unserer Tage aus der Ferne – und doch wird auch ein Kriegsende in Syrien für uns spürbar sein, mindestens wenn sich für Geflüchtete die Frage nach ihrer Rückkehr in die Heimat stellt.

Die Lyrikerin Hilde Domin erlebte das Kriegsende 1945 auch aus der Ferne, und zwar als deutsche Exilantin (so hießen Flüchtlinge damals) in Santo Domingo. Sie beschreibt ihre damaligen Erlebnisse und Gedanken so: 

In die Luft gehängt.
Container, Alt-Treptow, Berlin, 2016.
"Die Sirenen der Zeitung heulten dreimal, durchdringend. Dann stimmten alle Sirenen der Stadt ein. Es war ein furchtbarer Lärm. Da unser Radio gerade in der Reparatur war, stürzte ich auf die Straße zum nöchsten öffentlichen Telefon, um zu hören, was passiert war."1

Auf dem Weg sieht sie einen der einheimischen Armen, den sie als glücklich "am Rande der Geschichte" sitzend einschätzt und passieren will. Doch:
"Als ich an ihm vorbeiging, sah er auf und sagte: 'Wunderbare Nachrichten, Señora. Wunderbar! Der Krieg ist aus. Frieden!'"

Sie bleibt stehen und ist wie betäubt:

"Das war sie also, die große, die lang ersehnte Nachricht. Ich fühlte nichts ... wie es geht, wenn das Erwartete da ist und die Spannung uns losläßt: Man wird einen Augenblick lang aufgehoben aus dem Zusammenhang, gehißt ins Nichtwirkliche. Dann wird man fallengelassen in irgendeine Tiefe, von der man erst langsam wieder an die Oberfläche zurückkommt. Das Gefühl setzt aus."

Mitten in diese Erschütterung hinein teilt ihr der Mann mit, dass auch er sich nun nach Europa auf den Weg machen würde und beginnt zu singen:

"Bim Bam,
Der Krieg ist aus,
Jetzt fahren sie nach Haus"2

Mit diesem Lied im Ohr eilt sie nach Hause und taucht langsam wieder auf an die Oberfläche ihres Alltags.

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Als Hilde Domin einige Jahre später das erste Mal ein Gedicht veröffentlicht, ist es "Wen es trifft", in dem sie das Motiv des Herausgerissenseins aufnimmt und die Gefühle eines gerade noch Davongekommenen so einleitet:

"Wen es trifft,
der wird aufgehoben
wie von einem riesigen Kran
und abgesetzt,
wo nichts mehr gilt,
wo keine Straße
von Gestern nach Morgen führt."3

Zwar führt der Verlauf des Gedichts zunächst ins schreckliche Erleben der Heimatlosigkeit, Unsicherheit und Ohnmacht, aber auch zu neuer Beheimatung und Verortung in Sicherheiten.
Der erste Teil des Gedichtes schließt mit folgender Charakterisierung eines solchermaßen Geretteten und neu ins Leben Gekommenen:

"Doch eine gewisse Leichtigkeit
ist ihm
wie einem Vogel
geblieben."4

Vielleicht geht das allen so, die Kriege überlebt und es gerade so noch einmal geschafft haben. Vielleicht sind die Geflohenen und die Deplatzierten in aller Traumatisierung doch auch Freigesetzte.
Wenn der Krieg vorbei ist, wenn das Gefühl wieder einsetzt und die Last von Verfolgung, Angst und Entwurzelung langsam abfallen kann – dann bleibt "eine gewisse Leichtigkeit".

Nachträglich hat sie diese Leichtigkeit sicher auch im Lied des Armen entdeckt:

"Bim Bam
Der Krieg ist aus"

Leichtigkeit auf Teppich.
Seddin, 2016.

1   H. Domin, Von der Natur nicht vorgesehen. Autobiographisches. Frankfurt a.M. 1993, 128.
2   Ebd., 129.
3   H. Domin, Nur eine Roe als Stütze. Gedichte. Frankfurt a.M. 1994, 46.
4   Ebd., 50.