Der sich durchziehende Grundton vieler
biblischer Texte, die zwischen Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten
gelesen werden, entspricht dem, was wir an diesem Sonntag im
Johannesevangelium (Joh 14,15-21) hören: Gott ist bei uns, auch wenn
wir ihn nicht sehen oder erfahren können.
Die Jünger Jesu hatten nach seinem
grausamen Tod ganz persönliche Erfahrungen der Auferstehung Jesu,
die ihnen zeigten, dass er lebt.
Als sich die junge Kirche einige
Jahrzehnte später fragte, was denn angesichts des Ausbleibens solch
exorbitanter Erfahrungen nun werden solle, entwickelte sich bei Lukas
und Johannes, aber auch bei Paulus die Überzeugung, dass Gott ihnen
fortan in anderer Weise nahe sein wollte als durch den
leibhaftig-menschlichen Wanderprediger Jesus und auch anders als
durch übernatürliche Erscheinungen des Auferstandenen.
Denn dass Gott bei den Menschen
sein will, erschien ihnen klar, darauf vertrauten sie. Nur auf welche
Weise würde er es sein?
Halt finden. Holz im Unterholz bei Naurod, 2017. |
Und da lesen wir nun im heutigen
Evangelium dass Jesus seinen Jüngern verspricht, er werde ihnen
"einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch
bleiben soll." (v16)
Zwei Gedanken zu diesem verheißenen
Beistand.
1 Der Anwalt
Im Gefängnis ist zunächst einmal
glasklar, dass der Anwalt eine Menge Geld gekostet hat und eventuell
noch kosten wird, und dass er ständig mit vielen Schriftsätzen
Klärungen im Sinne des Angeklagten – und später in Haft selbst,
des Inhaftierten – verfassen, einreichen und vorantreiben soll. Ob
er das in der angemessenen und für den Mandanten richtigen Weise tut
oder nicht, steht auf einem anderen Blatt.
Hier, in der Bibel, ist mit dem
"Beistand" – im griechischen Original
"parakletos", in der lateinischen Vulgata
"advocatus" – der Heilige Geist gemeint. Die
lateinische Übersetzung zeigt schon, in welche Richtung gedacht
werden kann: Gottes Geist, seine Gegenwart unter den Menschen, ist
ein Beistand auch gegen Verurteilung und ein Schutz bei Anklage. Gott
selbst ist unser Anwalt!
Das dreht die in manchen Köpfen immer
noch verankerte Vorstellung eines anklagenden Gottes vom Kopf auf die
Füße. Es ist nicht Gott, der anklagt, dass wir dies oder das nicht
schaffen würden! Sondern Gott steht hinter uns und hält uns den
Rücken frei, damit wir unser Leben nach ihm ausrichten können,
unsere Anliegen vor ihn tragen und allen Menschen "Rede und
Antwort" stehen können, wie es die Lesung aus dem 1.
Petrusbrief formuliert (1Petr 3,15).
Das bedeutet:
Wir müssen nach christlicher
Vorstellung nicht selbst krampfhaft zu beten versuchen, wenn unser
Herz leer ist – sondern der Geist nimt sich "unserer
Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise
beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen,
das wir nicht in Worte fassen können." (Röm 8,26) Ein
schöner Gedanke des Paulus: wenn wir vor Gott – hilflos, traurig,
erleichtert... – seufzen, dann betet Gottes Geist selbst in uns.
Und wenn wir angefragt werden, was denn
dieser Glaube an einen Gott über uns und mit uns solle, dieser
Glaube an Leben über den Tod hinaus und an den Triumph des Guten
über die Schlechtigkeit der Welt – dann wird uns der Geist selbst
an der Hand nehmen und zeigen, wie wir darauf antworten können –
in der Art und Weise sicher "bescheiden und ehrfürchtig"
(1Petr 3,16), im Inhalt als befreite Zeugen der Liebe Gottes.1
– Walter Kasper schreibt dazu: "Am meisten bewährt sich die
vom Geist geschenkte Freiheit in der sich verströmenden Liebe in der
Situation der Verfolgung und des Leidens. Im Aushalten von Verfolgung
und im geduldigen Ertragen des Leidens kommt die innere
Unabhängigkeit gegenüber den von außen andrängenden Mächten und
Gewalten zu ihrer höchsten Vollendung."2
Sicher, uns gelingt es noch nicht
einmal immer zu seufzen oder ein passendes Wort über den Grund
unserer Hoffnung über die Lippen zu bekommen.
Aber der göttliche Geist ist eben auch
ein Anwalt, den wir einlassen müssen in unser Herz. Wenn wir einen
Gott verkünden, der Liebe ist, dann müssen wir auch Liebe zulassen
– und das bedeutet Verletzlichkeit und Gefährdetsein.
Ich selbst merke das in vielerlei
Gesprächen, dass ich den spontanen Impuls habe, so oder so zu
reagieren, zornig oder aufgeregt. Manchmal hilft es dann, innerlich
einen Schritt zurück zu treten, einen Augenblick zu warten und Gott
noch einmal zu fragen: Gott, was willst Du, das ich jetzt sage? Was
hilft der Person mir gegenüber im Augenblick?
Im Haftalltag dürften genügend
Situationen auftauchen, die solche deeskalierenden Momente gebrauchen
können.
Abstrakte Form 1. Grünheide, 2017. |
Wenn Jesus uns also einen Beistand,
einen Anwalt, einen Unterstützer verspricht, dann heißt das vor
allem: Gott steht auf unserer Seite.
Das kann man gar nicht oft genug
wiederholen in einer Zeit von Niedergeschlagenheit und Leere und
Hoffnungslosigkeit: Gott steht auf unserer Seite.
Das bedeutet: wir sind nicht immer nur
die Opfer, die von anderen gepiesackt und untergebuttert werden. Aber
wir müssen auch nicht immer die Täter böser Taten bleiben: was
auch immer wir angestellt haben in unserem Leben – Gott steht auf
unserer Seite.
Aber, und das gehört dazu: wir müssen
uns auch auf unsere Seite stellen. Wenn wir uns beständig von Gott
abwenden und die Liebe, die er uns und allen Menschen entgegenbringt,
ablehnen, dann nehmen wir letztlich seine Verteidigerrolle nicht an, dann geben wir Ärger
und Hass mehr Kraft als der Liebe.
Gott steht auf unserer Seite – stehen
wir auch dort!
2 Der Gottbringer
Ein etwas geheimnisvoller Satz steht
fast am Ende des heutigen Evangelienabschnitts: "Ich bin in
meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch." (v20)
Auch das hat etwas mit dem Heiligen
Geist zu tun. Er ist es, durch den wir in Gott sein können und Gott
in uns. Walter Kasper schreibt darum über den Geist:
"Er ist überall dort am Werk,
wo Menschen die Freundschaft mit Gott suchen und finden. Das liebende
Einswerden mit Gott ist uns ja erst durch den Heiligen Geist möglich.
Durch den Geist sind wir in Gott
und Gott in uns. Durch ihn sind wir Freunde, Söhne und
Töchter Gottes, die weil von innen getrieben, Gott nicht als
Knechte, sondern als Freie dienen und die durch diese
Gottesfreundschaft mit Freude und Trost erfüllt werden."3
Gott ist nicht mehr nur der ganz
Andere, nicht mehr nur der Ferne, nicht mehr nur der Über-alles-Große
– sondern eben auch Gott in uns.
Jesus verspricht uns die größtmögliche
Nähe Gottes. In ihm zu sein und ihn in sich zu haben, das ist etwas,
das wir weder wirklich verstehen, noch auch oft erfahren können.
Abstrakte Form 2. Grünheide, 2017 |
Aber es ist die Wirklichkeit eines
Gottes, der nicht in einer binären Logik von entweder-oder, von
hier-oder-dort, von das Eine oder das Andere gefangen ist. Gott ist
nicht irgendein Gegenstand oder eine Person, die wir genau an diesem
Ort dort oder in jener Zeit lokalisieren und einkästeln könnten.
Vielmehr will er dort sein, wo wir sind – das hat er in Jesus
begonnen, als Mensch unter Menschen.
Im Geist vollendet will er diese Gegenwart vollenden und nicht mehr nur in dem einen Menschen sein, sondern in allen.
Im Geist vollendet will er diese Gegenwart vollenden und nicht mehr nur in dem einen Menschen sein, sondern in allen.
Zusammenfassend:
Seufzen!
Abwarten und
Gott fragen!
Vertrauen, dass etwas kommt!
Gott steht auf unserer Seite – stehen
wir auch dort!
Gott will in uns sein – öffnen wir uns dafür!
1 Eine
ähnliche Aussage finden wir im Lukasevangelium mit dem Hinweis Jesu
im Falle der Verfolgung und des Stehens vor einem Richter: "Nehmt
euch fest vor, nicht im voraus für eure Verteidigung zu sorgen;
denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle
eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können."
(Lk 21,14f) Auch wenn es sich ein wenig so anhört: ich glaube
nicht, dass das dann knallharte Worte sein werden, die wie aus der
Pistole geschossen den Anderen fertig machen. Warum sie nichts
dagegen sagen können? - Weil die Worte, die er eingibt, Worte voll
entwaffnend ehrlicher Liebe sind.
2 W.
Kasper, Der Gott Jesu Christi. 3. Aufl. Mainz 1995, 280.
3 Ebd.