Seinen Krisendiagosen
schickt der ehemalige Münsteraner Pfarrer einige Ideen hinterher,
die ich einigermaßen einleuchtend finde.
Darum seien sie hier
präsentiert, wenngleich die Phänomene einer kirchlichen Krise in
der Diaspora Ostdeutschlands ein ganz anderes Gesicht haben als in
der (noch) volkskirchlichen Situation des Rhein- und Münsterlandes.
Undifferenzierte Forderungen an die Kirche, Familienfeste mit
religiösem Unterfutter zu versorgen und die zugleich eingegangenen
Verpflichtungen zu ignorieren, stellen m.E. nicht den Regelfall dar.
Doch die abnehmende Zahl der aktiven
Christen und der Mitglieder einer Kirche lassen natürlich auch in
unserem Umfeld die Frage aufkommen, was religiös Suchenden denn
seitens der Kirche anzubieten wäre.
Wohin entwickelt sich das Ganze? Alt-Treptow, Berlin, 2016. |
Frings spitzt die Frage zu: "Was
wäre, wenn es eine andere Form von Gemeinde gäbe?"1
Denn die Kirchengebäude gibt es in Deutschland allemal, es wäre nur die Frage, wie man Kirche so einladend gestaltet, dass interessierte Menschen auch hineingehen würden. Frings betont, dass alle interessierten Menschen dazu gehören könnten, seien sie nun getauft oder nicht. Entscheidend wäre, dass sie etwas suchen – und sich darum bewusst und je neu entscheiden würden, länger oder kürzer, verbindlicher oder mit mehr Abstand dabei zu sein – darum spricht Frings von einer Entscheidungsgemeinde.
Während traditionell das Territorium für eine Gemeinde entscheidend ist, würde hier gelten: "Eine Entscheidungsgemeinde wäre geformt nach dem Prinzip der Sehnsucht."2
Damit würde es um das Ernstnehmen der religiösen Fragen und Wünsche gehen und nicht um das Getauftsein oder die Hochform kirchlichen Selbstvollzugs in der Eucharistie, nicht um die fertigen Antworten, nach denen niemand mehr fragt – sondern um das Wagnis, sich auf die Realität einzulassen.
Dem besonders von konservativen Seiten erhobenen Vorwurf der Anbiederung an den Zeitgeist und das Rosinenpicken hält Frings entgegen: "Was wir zu wenig getan haben, ist, unser Angebot zu ändern, den veränderten Bedürfnissen der Menschen anzupassen." Denn es "gibt nicht das eine Angebot, sondern die unterschiedlichsten, abgestimmt auf den Hunger und Appetit der Kundschaft."3
Denn die Kirchengebäude gibt es in Deutschland allemal, es wäre nur die Frage, wie man Kirche so einladend gestaltet, dass interessierte Menschen auch hineingehen würden. Frings betont, dass alle interessierten Menschen dazu gehören könnten, seien sie nun getauft oder nicht. Entscheidend wäre, dass sie etwas suchen – und sich darum bewusst und je neu entscheiden würden, länger oder kürzer, verbindlicher oder mit mehr Abstand dabei zu sein – darum spricht Frings von einer Entscheidungsgemeinde.
Während traditionell das Territorium für eine Gemeinde entscheidend ist, würde hier gelten: "Eine Entscheidungsgemeinde wäre geformt nach dem Prinzip der Sehnsucht."2
Damit würde es um das Ernstnehmen der religiösen Fragen und Wünsche gehen und nicht um das Getauftsein oder die Hochform kirchlichen Selbstvollzugs in der Eucharistie, nicht um die fertigen Antworten, nach denen niemand mehr fragt – sondern um das Wagnis, sich auf die Realität einzulassen.
Dem besonders von konservativen Seiten erhobenen Vorwurf der Anbiederung an den Zeitgeist und das Rosinenpicken hält Frings entgegen: "Was wir zu wenig getan haben, ist, unser Angebot zu ändern, den veränderten Bedürfnissen der Menschen anzupassen." Denn es "gibt nicht das eine Angebot, sondern die unterschiedlichsten, abgestimmt auf den Hunger und Appetit der Kundschaft."3
Denn es ist ja beileibe nicht so, als
hätte die Kirche nur Sakramente und Sakramentalien zu bieten – das
eben, was für viele der einzige Andockpunkt der Kirche in ihrem
Leben ist und doch zugleich mehr persönliches Involviertsein
voraussetzen würde: sei es in der Kindertaufe, wo das Versprechen,
sein Kind im Glauben zu erziehen, doch oft genug nicht gehalten
werden kann, sei es bei der Erst-, die oft auf Jahre hin
Letztkommunion ist und Kinder ebenso wie Eltern mit einer unbekannten
liturgischen Feier und einem nicht nachvollziehbaren theologischen
Inhalt maßlos überfordert und so weiter und so fort.
Für diese Zustände weiß Frings eine
Unmenge an Beispielen und Anekdoten, angesichts derer seine
konsequente Lösung ist: "Nicht Schafen hinterherlaufen, die
sich gar nicht verloren fühlen. Sondern selbst Anlaufpunkt sein für
Menschen, die kommen wollen."4
Denn Kirche kann auch anders. Nicht
jeder muss für dasselbe bereit sein oder gar dasselbe von der Kirche
wollen. Es gäbe ja durchaus Möglichkeiten, die eine "gestufte
Nähe und auch Distanz"5
möglich sein ließen.
Wo sich Moos und Rinde begegnen. Wald bei Naurod, 2017. |
Für diese Gedanken wirft der Autor
einen Blick auf die Ursprünge des Christentums, auf Jesus und die
Menschen in seiner Umgebung:
Auch bei Jesus war es schließlich
nicht so, dass alle Menschen ihm nach einer Begegnung gefolgt sind.
Manche hat er explizit wieder weggeschickt, auch die berichteten
großen (laut den Berichten der Evangelien oftmals perplex
staunenden) Massen zogen nicht mit ihm mit durch Galiläa.
"Doch jeder Mensch bekommt
seinen Zuspruch."6
Konkret bedeutete das: "Wer Heilung brauchte, Hunger hatte,
Hilfe benötigte, der bekam seinen Zuspruch, ohne Wenn und Aber. Der
Bedingungslosigkeit seiner Liebe folgt manchmal die Einladung zur
Nachfolge."7
Das bedeutet für Menschen im Dienst
der Kirche eine ungeheure Entlastung. Auch ich selbst als Seelsorger
im Gefängnis fühle mich mit diesen Erinnerungen innerlich freier –
ich kann Menschen in Kontakt mit der Liebe Gottes zu bringen
versuchen. Aber das hat schon bei Jesus nicht dazu geführt, dass
sich alle (oder auch nur viele) dauerhaft an ihn binden konnten und
wollten. Frings schreibt: "Der erste Kontakt und Zuspruch ist
bedingungslos. Daraus muss auch keine 'Mitgliedschaft' entstehen."8
Möglich sind unterschiedliche
Segensfeiern, in denen die Zuwendung und Nähe Gottes ausgedrückt
werden kann, ohne dass jemand dadurch in den verbindlichen Bund
eintritt.
Ein Anspruch wird erst dann formuliert,
wenn jemand sich auch tatsächlich auf einen Weg einlassen will.
Frings pointiert: "Nach außen Zuspruch, bis es weh tut, nach
innen wachsenden Anspruch."9
Denn erst mit einer Entscheidung für das Christsein kommt es auch zu
einem beidseitigen Anspruch von Einzelnem und Gemeinschaft.
Auf diese Weise wird, wer etwas von der
Kirche will, selbstverständlich mit dem Wort Gottes gestärkt, mit
Segen aufgerichtet und in Gemeinschaft eingefügt, solange er oder
sie das möchte.
Was darüber hinaus geht, bedeutet
eigenes Engagement und nicht das Zurücklehnen auf die hauptamtlichen
Christen – Kirche zu werden wäre ein Unterschied dazu, etwas von
der Kirche zu wollen. Es wäre darum ein Schritt "von der
versorgten zur sorgenden Gemeinde".10
Daraus spricht ein großes Zutrauen in
die Menschen mit religiösen Wünschen und in die Prägekraft des
Christentums.
Und es wäre nicht eine Sakramentenverwaltung nach dem Prinzip, dass man nur "alles oder nichts" bekommen kann (wie es bei Taufe, Adoleszenz und Trauuung mit den Sakramentenspendungen weithin Praxis ist), sondern dieses Modell würde gestufte Möglichkeiten der Nähe zur Kirche bieten.
Und es wäre nicht eine Sakramentenverwaltung nach dem Prinzip, dass man nur "alles oder nichts" bekommen kann (wie es bei Taufe, Adoleszenz und Trauuung mit den Sakramentenspendungen weithin Praxis ist), sondern dieses Modell würde gestufte Möglichkeiten der Nähe zur Kirche bieten.
Ausprobieren könnte man es doch mal!
Praktisch hieße das laut Frings vor
allem "Ungleichzeitigkeit und Individualität",11
also etwas, das unsere Welt sowieso schon auszeichnet. Es wäre eine
wahrscheinlich kleine Gruppe von ÜberzeugungstäterInnen, die sich
dann herauskristallisieren würde. Aber das spricht ja nicht gegen
die Idee, solange sie nicht exklusiv als einzige Möglichkeit,
Gemeinde zu sein, gedacht wird. Etwas mehr Weite in den
Vorstellungen, wie Kirche sein kann, tut uns sicher gut – Margot
Käßmann resümierte jüngst ihre Reisen als
Reformationsbotschafterin: "So wie wir selbst Kirche sind,
muss Kirche nicht unbedingt sein."12
Ein Vorbild der beachtenswerten Gedanken zu kirchlichen Neuaufbrüchen bietet nach Thomas Frings die Apostelgeschichte: "Die Protagonisten kamen aus einer uralten Tradition, mit unglaublich viel Geschichte und standen vor der Aufgabe, Neuland unter den Pflug zu nehmen."13
Ein Vorbild der beachtenswerten Gedanken zu kirchlichen Neuaufbrüchen bietet nach Thomas Frings die Apostelgeschichte: "Die Protagonisten kamen aus einer uralten Tradition, mit unglaublich viel Geschichte und standen vor der Aufgabe, Neuland unter den Pflug zu nehmen."13
Ein Boot, das sich Gemeinde nennt!? Grünheide, 2016. |
1 T.
Frings, Aus, Amen, Ende. So kann ich nicht mehr Pfarrer sein.
Freiburg i.Br. 2017, 148.
2 Ebd.,
151.
3 Ebd.,
153.
4 Ebd.,
158.
5 Ebd.,
160.
6 Ebd.,
155.
7 Ebd.,
159.
8 Ebd.,
158.
9 Ebd.,
166.
10 Ebd.,
154.
11 Ebd.,
156.
12 M.
Käßmann, Meine Reise um die Welt in 143 Tagen. In: Die Zeit vom
27.04.2017, 52.