In letzter Zeit kommt mir dieses Thema
immer plausibler vor – dass für das Verständnis des christlichen
Lebensvollzugs beim durch Gott vorgeschlagenen Bund anzusetzen ist,
bei einem Bund, der seit den Bundesschlüssen, von denen das Alte
Testament berichtet, bis zu jeder einzelnen heutigen Person reicht.
Schon unsere normale Bezeichnung für
die beiden Teile der Bibel erinnert daran, denn es ist das "Wort
'Testament', das über das griechische diathéké das
alttestamentliche Wort für Bund (beríth) wiedergibt".1
In den biblischen Büchern geht es mithin nicht um das Erzählen von
Geschichten, sondern um das Zeugnis von diesem Bund Gottes mit den
Menschen.
Joseph Ratzinger verweist in diesem
Zusammenhang auf die rabbinische Theologie, nach der der
Bundesgedanke sogar der innerste Grund der Schöpfung der Welt sei:
"Der Kosmos wird geschaffen, nicht damit es vielerlei
Gestirne und Dinge gebe, sondern damit ein Raum sei für den 'Bund',
für das Ja der Liebe zwischen Gott und dem ihm antwortenden
Menschen."2
Was aber heißt Bund?
Beim Beantworten
der Frage drängt sich ein ganzes Geflecht biblisch-theologischer
Begriffe und Motive auf: Erwählung und Verpflichtung,
Heilsverheißung, Treue, Verantwortungsübernahme, Gebote,
Partnerschaft unter Ungleichen, Vertrauen usw.
Ich will mich an dieser Stelle nur auf
einige Momente am alttestamentlichen Bundesbegriff konzentrieren, die meiner Meinung
nach für unser heutiges Verständnis von Religiosität erhellend
sein können.
1
Christsein verstanden als
Bundesgeschehen bedeutet die biblisch bezeugte Erfahrung des
Angesprochenseins von Gott in einer Welt, die diesen Gott nicht
(mehr) kennt.
Gott will eine personale Beziehung
aufnehmen
– Christsein meint mich persönlich,
und das nicht (nur) im ethischen Sinne, sondern ganzheitlich. Ich, in meiner unverwechselbaren Individualität, bin von
ihm gemeint und zur Antwort in ein Verantwortungsverhältnis gerufen.
Denn nicht nur mir selbst und meinen Vorstellungen vom Leben, sondern
auch einer weiteren Inanspruchnahme soll ich gerecht werden. Doch die
scheinbar externe Herkunft des Anspruchs erweist sich als der
innerste Ruf zu mir selbst, zur Selbstwerdung durch Angleichung an
das Bild, das Gott von mir hat – an sein Ebenbild, das ich im
Innersten schon bin.
Natürlich
ist die Fähigkeit, Gott zu hören, also die "religiöse
Musikalität", wie Max Weber sie nennt, unterschiedlich stark
ausgeprägt und entwickelt. Ein personales Gegenüber anzunehmen, das
ich nicht sehe, mag in Zeiten digitaler Kommunikation in gewissen,
technisch unterstützten Situationen einleuchten, aber mich als
Person in allem, was ich bin und tue, der Gegenwart eines Anderen
ausgesetzt anzunehmen, hat für viele Menschen etwas von Überwachung.
Doch Gott schaut uns liebevoll an – und zugleich genau.
Und diese genaue Liebe will uns verwandeln.
Die biblische Ausdrucksweise dafür
lautet: "Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin
heilig." (Lev 19,2) Denn das ist der Kern unserer
Gottebenbildlichkeit: uns von Gott ansprechen zu lassen und ihm in
Heiligkeit gleich zu werden.
2
Doch auf dieses Bundesangebot
einzugehen meint mehr: es bedeutet zugleich eine Herausforderung.
Nicht Herausforderung im Sinne einer "challenge", wie sie
heute als Mutprobe oder Wettbewerb verstanden wird, sondern das
Hinausgerufensein zu neuen Möglichkeiten.
Im Sinne des Bundesschlusses, der uns
am nächsten ist: auch in der Ehe schließen zwei einen Bund, um
miteinander voranzugehen und sich gegenseitig weiterzuführen – und
nicht, damit jede Person bleibt (und wird), die sie schon ist (zur
Ehesymbolik vgl. Hos 1-2)
Zu Abraham sagt Gott in seinem
Bundesangebot daher: "Ich will einen Bund stiften zwischen
mir und dir und dich sehr zahlreich machen. ... Ich schließe meinen
Bund zwischen mir und dir samt deinen Nachkommen, Generation um
Generation, einen ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen werde ich
Gott sein. Dir und deinen Nachkommen gebe ich ganz Kanaan, das Land,
in dem du als Fremder weilst, für immer zu Eigen und ich will ihnen
Gott sein." (Gen 17,2.7f.)
Ästhetische Herausforderung. Oberwiesenthal 2013. |
Dorthin also geht die Reise:
Nachkommenschaft, neues Land, eigener Gott. Und die damit in
Verbindung stehende Herausforderung ist nicht nur der lange
herausgeforderte Glaube an das Geschenk einer reichen
Nachkommenschaft, sondern der symbolische Verlust der sexuellen
Selbstbestimmung durch das Zeichen der Beschneidung: "Die Beschneidung bezeichnet den Bund nicht auf eine
willkürliche und rein äußerliche Weise, so als sei sie eine Tonsur
oder eine rituelle Narbe. Abrams Penis ist – wie auch die Penisse,
die sexuelle Potenz seiner Abkömmlinge – der Gegenstand des
Bundes. Gott verlangt von Abram das symbolische Zugeständnis, daß
seine Fruchtbarkeit nicht sein Eigentum ist, das er ohne göttliche
Einschränkung ausüben kann."3
Die sich aus einer solchen (im wahrsten
Sinne des Wortes) Beschneidung gewisser Freiheiten ergebenden
Möglichkeiten erscheinen nur auf den ersten Blick als geringer. Denn
hier zeigt sich die wechselseitige Verschränkung in jedem
personellen Geschehen: es bedarf einer inneren Relation von Gabe und Gegengabe.
Geld oder andere Wert-Stoffe können den Beziehungsgehalt einer
inhaltlich angemessenen Gegengabe nicht ersetzen.
Gott schenkt die Überfülle eines
großen Volkes als Nachkommenschaft eben indem er die Möglichkeit
dazu übertragen bekommt.
Für die eigene Religiosität: Gott
will mich durch den Bund mit ihm wachsen lassen und mein Gott sein –
aber dazu muss ich mein Ja sagen und das aufgeben, was mich davon
abhält.
Also: Aus was ruft Gott mich heraus?
3
Diese letzte Frage weist schon hin auf
einen weiteren Aspekt des biblisch fundierten Bundesverständnisses:
Mit dem Bund schenkt Gott Befreiung.
Das Volk Israel gründet einen
gewichtigen Teil seiner Gotteswahrnehmung auf die Exodustradition.
Eine klassische Bundesformel lautet darum: "Ich nehme euch
als mein Volk an und werde euer Gott sein. Und ihr sollt wissen, dass
ich Jahwe bin, euer Gott, der euch aus dem Frondienst führt."
(Ex 6,7)
Gott als Gott annehmen und sich auf
diesem Wege von allen anderen unfrei machenden Göttern befreien, das
scheint ein nachvollziehbarer Gedanke, der auch in unsere Zeit passt.
Mich erinnert dieser Aspekt an das
Suscipe-Gebet des Ignatius, der im Rahmen der Exerzitien vorschlägt,
wie folgt zu beten:
"Nehmt, Herr, und empfangt
meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen
ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Ihr habt es mir
gegeben; Euch, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist Euer, verfügt
nach Eurem ganzen Willen. Gebt mir Eure Liebe und Gnade, denn diese
genügt mir."4
Auch hier wieder erscheinen Geben und
Nehmen in personalem Zusammenhang. Der Verpflichtungscharakter des
Bundesschlusses ist nämlich eine innere Entscheidung, die freier
macht indem sie Gott in der Haltung des Angebots begegnet.
Nicht die Aufgabe der spärlich gegen
Gott zusammengeklaubten Souveränität ist Inhalt dieses Gebets,
sondern ein Freiwerden von inneren Abhängigkeiten und dem Wunsch,
"alle ungeordneten Anhänglichkeiten von sich zu entfernen",5
um so in innerer Freiheit Gott begegnen zu können.
Aber sogar dieser Wunsch oder Akt
selbst ist schon ein Geschenk der Gnade, es ist Gottes Güte, die zur
Umkehr treibt (vgl. Röm 2,4) und ein Geschenk der Bundesbeziehung zu
ihm, das Freiheit ermöglicht und zum Ergreifen dieser Freiheit
einlädt.
Ich weiß nicht, ob durch diese
Erläuterungen klar machen konnte, worum es mir mit diesen
Anknüpfungen an den Bundesgedanken geht.
Sich in der Anonymität der unbelebten
Welt, in der Anonymität einer großen Stadt, in der Anonymität des
leeren Alls gemeint zu fühlen, bedeutet oft eine Herausforderung.
Doch die ungleich größere Herausforderung ist das Herausgehen aus
meinen Bequemlichkeiten in die Freiheit derer, die Kinder Gottes sein
wollen. Christsein bedeutet mehr als nur Glauben an irgendwelche Wahrheiten, sogar mehr als Vertrauen auf irgendjemanden. Es ist ein Ruf ins Involviertsein, eine In-Verantwortungnahme.
Davon lebt Religiosität als
Bundesgeschehen: vom beidseitigen freien Hineingehen in die
Beziehung. Ignatius nennt das in seinem Exerzitienbuch Liebe: "Die
Liebe besteht in Mitteilung von beiden Seiten: nämlich darin, daß
der Liebende dem Geliebten gibt und mitteilt, was er hat, oder von
dem, was er hat oder kann; und genauso umgekehrt der Geliebte dem
Liebenden."6
Halten und Gehaltenwerden. Pforte der Barmherzigkeit in St. Paulus. Moabit, Berlin, 2016. |
1 C.
Westermann, Tausend Jahre und ein Tag. Unsere Zeit im Alten
Testament. Stuttgart, Berlin 1965, 66.
2 J.
Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Vom
Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg i.Br. 2011, 96.
3 J.
Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 70.
4 Ignatius
v. Loyola, Geistliche Übungen und
erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 234.
5 Ebd.,
No. 1.
6 Ebd.,
No. 231.