Samstag, 8. Februar 2014

„La voie de l'ennemi“ – Die Berlinale zeigt Heimatlosigkeit.

Die Story des Films von Rachid Bouchareb ist leicht erzählt. Der Polizistenmörder William Garnett (Forest Whitaker) wird nach 18 Jahren Haft auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen. Er hat sein Leben geändert, ist Muslim geworden und möchte nun ein friedliches und normales Leben führen. Und genau so wirkt er auch – ein ruhiger, nachdenklicher und frommer Mann. So wird er zurück in die kleine Stadt geschickt, aus der er kam, erhält ein schäbiges Zimmer und eine Menge Auflagen von seiner Bewährungshelferin. Er findet einen Job, bald auch eine Freundin und tut überhaupt sein Bestes, um sich tatsächlich zu bewähren. Aber es soll nicht sein.

Friedrichstadtpalast, Berlin-Mitte, 2014.
“This is our home.“ – Der Sheriff (Harvey Keitel), immer noch derselbe, dessen Untergebenen Garnett damals ermordet hat, will schützen, was ihm wertvoll ist. Die Bewährung mag vor dem Staat gelten, nicht aber vor ihm. Folgerichtig zertrampelt er alle Versuche des Entlassenen, für sich ein neues Leben aufzubauen und im Ort Heimat zu finden. 
Wie viel Heimat gesteht der Mächtige dem Machtlosen zu?
Der Neuanfänger erhält jedenfalls keine Chance, so sehr er sich auch bemüht. Seine Vergangenheit wird er nicht los, trotz aller Sühne im Gefängnis, trotz aller Unterstützung durch die Frau an seiner Seite, trotz aller Hilfeversuche seitens der Bewährungshelferin.

Da ist keine Vergebung, keine Heimat. Er ist ein Einwanderer aus der unerwünschten Außenwelt, der zwar den richtigen Pass hat, aber die falsche Vorgeschichte.
Jean Améry findet in seinem Aufsatz „Wieviel Heimat braucht der Mensch?“ eine Sprache dafür: „Heimat ist, reduziert auf den positiv-psychologischen Grundgehalt des Begriffs, Sicherheit.“1

Gerade diese wird Garnett nicht gewährt. Er will einen neuen Anfang setzen und wird dabei die ganze Zeit beobachtet, schikaniert und gedemütigt. Kaum unternimmt er den ersten Besuch bei der Freundin, fährt der Sheriff vor. Hat dieser den selbsternannten Grenzschützern, die illegale Einwanderer abfangen, noch mitgegeben, dass das Gesetz nicht durch Gesetzesbruch geschützt werden kann, tut er selbst nicht dergleichen und verunsichert, wo er kann. Auch beim Arbeitgeber wird er vorstellig und macht klar, dass dieser Mann in seinen Augen keinen Platz am Ort hat.

Die weiteren Ausführungen Amérys passen sich hier über die Zeiten und Räume hinweg nahtlos ein: „Es läßt sich, was der Mensch an Heimat nötig hat, nicht quantifizieren. Und doch ist man gerade in diesen Tagen, da die Heimat an Reputation verliert, stark versucht, die bloß rhetorische Frage zu beantworten und zu sagen: Er braucht viel Heimat, mehr jedenfalls, als eine Welt von Beheimateten, deren ganzer Stolz ein kosmopolitischer Ferienspaß ist, sich träumen läßt. [...] Es ist nicht gut, keine Heimat zu haben.“2

Leider zeigt der Film nicht nur anhand des wiederkehrenden Anblicks der Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko, dass trotzdem kein Ort für den Protagonisten ist. Nicht jedem gönnt der Sheriff die von ihm während einer Rede hochgehaltenen Ideale von „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“. 

Für den Übeltäter ist einfach keine Heimat vorgesehen. Darum endet der Film, wie es Leonard Cohen bildhaft in einem Lied ausdrückt: „And the trees are burning in your promised land.“


1   J. Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München 1966, 79.
2   Ebd., 100.