Bei der immensen Aufmerksamkeit, welche
die Arbeit von Papst Franziskus genießt, stellte sich mir dieser
Tage die Frage nach einer Parallele – jener möglichen und
fraglichen Parallele zwischen Franziskus und Michail Gorbatschow.
Wie weit die Parallele letztlich
auszuziehen ist, kann ich mit meinem begrenzten Blick gar nicht
abschließend sagen – und ich will auch keine inhaltliche
Ähnlichkeit der Systeme insinuieren.
Weil die Frage selbst vielleicht nicht
sofort einleuchten mag, beginne ich einfach, einige Ähnlichkeiten zu
beleuchten – um dann aber auch die Unterschiede zu markieren, die
ich sehe.
(Aus Gründen der Lesbarkeit verbleibe ich zunächst grammatisch im Präsens, auch wenn sich dieser im Fall der UdSSR und ihres Führers erledigt hat.)
(Aus Gründen der Lesbarkeit verbleibe ich zunächst grammatisch im Präsens, auch wenn sich dieser im Fall der UdSSR und ihres Führers erledigt hat.)
1
Es geht um die Leitung riesiger, bisweilen unübersichtlicher, international agierender Institutionen, im einen Fall um die untergegangene Sowjetunion, im anderen Fall um die römisch-katholische Kirche. Die Leitung wird in unterschiedlicher Weise ausgeübt durch verschiedene Institutionen wie das Politbüro, das Zentralkommitee, den Ministerrat – bzw. das Kardinalskollegium, das Staatssekretariat, die Kurie. Wie viel Macht diese Einrichtungen haben, wird aber stark bestimmt von der jeweiligen Person an der Spitze – weniger durch konsitutionelle Festschreibung.
Letztlich fokussiert sich nämlich nicht nur die Aufmerksamkeit auf die führende Person, sondern auch die Machtkonzentration ist gebündelt in einem Amt, bzw. in einer Person, die als aktuelle Personifizierung des Amtes erlebt wird, also auf den Generalsekretär des ZK der KpdSU bzw. den Papst. Beide Personen haben in Personalunion auch noch andere Ämter und Titel, werden von außen aber zuerst in dieser genannten Funktion wahrgenommen.
Es geht um die Leitung riesiger, bisweilen unübersichtlicher, international agierender Institutionen, im einen Fall um die untergegangene Sowjetunion, im anderen Fall um die römisch-katholische Kirche. Die Leitung wird in unterschiedlicher Weise ausgeübt durch verschiedene Institutionen wie das Politbüro, das Zentralkommitee, den Ministerrat – bzw. das Kardinalskollegium, das Staatssekretariat, die Kurie. Wie viel Macht diese Einrichtungen haben, wird aber stark bestimmt von der jeweiligen Person an der Spitze – weniger durch konsitutionelle Festschreibung.
Letztlich fokussiert sich nämlich nicht nur die Aufmerksamkeit auf die führende Person, sondern auch die Machtkonzentration ist gebündelt in einem Amt, bzw. in einer Person, die als aktuelle Personifizierung des Amtes erlebt wird, also auf den Generalsekretär des ZK der KpdSU bzw. den Papst. Beide Personen haben in Personalunion auch noch andere Ämter und Titel, werden von außen aber zuerst in dieser genannten Funktion wahrgenommen.
2
Es besteht ein großes Medieninteresse
am aktuellen Amtsträger. Das ist angesichts der Zentralität der
Person im System bis zu einem gewissen Grad normal, allerdings werden
sowohl Gorbatschow als auch Franziskus in besonderer Weise auch als
Hoffnungsträger wahrgenommen. Viele Wünsche nach Veränderung
werden auf sie projiziert, denn das schwächelnde System braucht
frischen Wind, die Themen Demokratisierung und Teilhabe prägen das
Klima. Als Gegner von Perestroika und Kirchenreform erscheint
allgemein "der Apparat", also die Kommunistische Partei1
bzw. die kurialen Behörden des Vatikans.
Demonstrative Handlungen unterstreichen
den Neuerungswillen der beiden Leitungspersonen, dazu zählen das
Auswechseln von Amtsträgern oder das öffentlichkeitswirksame Wenden
nach außen – ohne dass dies als Ausfegen wahrgenommen würde.
S-Bahnschild, Steglitz, Berlin, 2014. |
Beide fallen durch ihre Freundlichkeit
auf und es wird bemerkt, dass sie auch bei der vorherigen
Amtsübergabe schon im Gespräch waren. Auf die lange Regentschaft
Breschnews folgten in der UdSSR jefdoch erst noch die beiden greisen
Übergangsgeneralsekretäre Andropow und Tschernenko, in der
römisch-katholischen Kirche sorgte nach dem polnischen Rekordpapst
Wojtyła ab 2005 Joseph
Ratzinger für Kontinuität.
Eine schwierige Frage ist der
Personenkult – die katholische Kirche hatte damit in jüngster Zeit
schon mehr zu tun als heute, v.a. im Umfeld des Todes von Johannes
Paul II., selbiges gilt für die Sowjetunion nach Stalin, wenngleich
das Aufstellen von Büsten und das Umbenennen von Straßen und
Plätzen mit Breschnew eine neue Blüte erreicht. Gorbatschow und
Franziskus sind Teil dieses Systems, sie grenzen sich nicht hart ab,
halten aber weitgehend Distanz zu diesen Auswüchsen.
3
Der Wunsch nach Veränderung und Reform
ist an vielen Ecken der Institution greifbar. Wider den
euphorisierenden medialen Eindruck aber handelt es sich bei Papst
Franziskus und Michail Gorbatschow um konservative Reformer. Beide
wollen nichts Zentrales aufgeben, sondern das verkrustete und zu
Teilen marode System von den Quellen her erneuern.
Gorbatschow bezog sich immer wieder
sehr ausdrücklich und positiv auf Lenin und sprach noch 1990 davon,
dass das Ziel seiner Reformen die Umsetzung der sozialistischen Idee
bleibe.2
Eine ökonomische Kehrtwende in einem nahezu bankrotten Staat sieht
anders aus. Zu dieser Zeit zeigte sich in den Ländern des Ostblocks
schon sehr deutlich der Verfall der kommunistischen Staaten zugunsten
demokratisch-marktwirtschaftlicher Modelle.
Auch Papst Franziskus wird nach Meinung
vieler Beobachter wohl weder in der Sexualethik noch bei den
Zugangsvoraussetzungen zum Priesteramt, zwei äußerst
hochgehandelten kirchlichen Konfliktfeldern, grundsätzliche Umbrüche
verkünden. Vielmehr steht die Zuwendung zur zentralen Leitfigur des
Christentums, zu Jesus Christus, im Vordergrund.
Beide stehen zwischen den an sie
herangetragenen hochfliegenden Erwartungen und den eigenen
Intentionen einer Erneuerung durch Konzentration auf Kerninhalte.
4
Zu den Unterschieden (mit einem halben
Tempuswechsel): Die katholische Kirche ist kein Staat und
funktioniert nicht wie ein solcher. Dementsprechend sind Intentionen
und Handlungsoptionen des Papstes andere als die eines Staatslenkers.
Wenn sich die sowjetischen Machthaber in der ganzen Welt Verbündete
und Abhängige suchten und schufen, damit dem Kommunismus weltweit
zum Sieg verholfen werde, so hat die Kirche auf ihre Mitgliedern in
allen Ländern einen deutlich geringeren Einfluss und zumal einen
eher moralischen als wirtschaftlichen.
Innerhalb der katholischen Kirche
existiert zudem kein mächtiges Feindbild als Gegenüber, an dem sich
abzuarbeiten wäre. Wohl gibt es Kritik an gesellschaftlich
verbreiteten Prozessen und Haltungen wie Individualismus und
Relativismus3
auch von Papst Franziskus, dies wird aber nicht an einer gegnerischen
Institution fest gemacht.
5
Franziskus war vor seiner Wahl zum
Papst als Erzbischof und Kardinal zwar ein hochrangiger Inhaber von
Amtsgewalt, aber er wirkte nicht in lokaler Nähe zum Zentrum der
Macht, sondern lebte als Erzbischof in Argentinien.
Gorbatschow dagegen war in den Jahren
direkt vor seiner Amtsübernahme schon im Moskauer Politbüro tätig.
Die Befasstheit mit gesamtsowjetischen Fragen war ihm als
Zuständigen für die Agrarwirtschaft im engsten Führungszirkel
stets greifbar.
Tür und Mauer, Moabit, Berlin, 2014. |
Für Gorbatschow sprach bei der Suche
nach einem Nachfolger für Tschernenko vor allem seine Jugend, von
der man neben seiner Erfahrung und dem Charisma tatkräftige
Wirkungen erhoffte.
Mit Jorge Bergoglio haben die Kardinäle
ihrerseits einen nur unwesentlich jüngeren Nachfolger für Papst
Benedikt XVI. gewählt, auch seine Gesundheit ist durch die
Amputation der halben Lunge nicht sonderlich hoffnungerweckend.
6
Schließlich die Folgen. "Im Westen vermutete man, dass Gorbatschow – absichtlich oder nicht – das kommunistische System schwäche und es liberalen Gedanken zugänglicher mache."4 Die Folgen sind bekannt, in den Wirren der 1990er Jahre bereicherten sich einige Wenige beträchtlich am Restvermögen der untergegangenen Sowjetunion, die alten Eliten kamen zumeist gut unter – und die autoritäre Staatsführung unter Putin hat viele demokratische Hoffnungen zunichte gemacht.
Schließlich die Folgen. "Im Westen vermutete man, dass Gorbatschow – absichtlich oder nicht – das kommunistische System schwäche und es liberalen Gedanken zugänglicher mache."4 Die Folgen sind bekannt, in den Wirren der 1990er Jahre bereicherten sich einige Wenige beträchtlich am Restvermögen der untergegangenen Sowjetunion, die alten Eliten kamen zumeist gut unter – und die autoritäre Staatsführung unter Putin hat viele demokratische Hoffnungen zunichte gemacht.
Für die katholische Kirche bleiben die
Folgen des mentalen und spirituellen Aufbruchs unter Franziskus noch
offen. Welche Begehrlichkeiten und Hoffnungen weckt Franziskus mit
seiner Reformrhetorik? Hält die Kirche dies ohne größere
Spaltungen aus? Für die Sowjetunion gilt, dass die "Perestroika
interne Probleme im Land entfesselt hatte, denen mit Gewalt nicht
beizukommen war"5
– und auch nicht mit Gorbatschows Reformversuchen.
Welche Dynamik Franziskus mit seinem
neuen Stil und seinen tatsächlichen Änderungen letztlich auslösen
wird, bleibt abzuwarten. Mit wechselnden Führungsstilen kennt sich
die Kirche aus – und eine geklärte Nachfolgeregelung kann sie
ebenso bieten wie eine (regional verschiedene, aber nichtsdestotrotz)
stabile Bindung ihrer Mitglieder. Frustrationen hoher Erwartungen und
enttäuschte Hoffnungen sollten da auszuhalten sein.
1Vgl.
D. Wolkogonow, Die sieben Führer. Aufstieg und Untergang des
Sowjetreichs. Frankfurt 2001, 469.
2Vgl.
ebd., 458.
3Vgl.
Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums. Das Apostolische
Schreiben "Evangelii Gaudium" über die Verkündigung des
Evangeliums in der Welt von heute. Freiburg i.Br. 2013, 63.64.67
u.ö.
4Vgl.
D. Wolkogonow, a.a.O., 489.
5Ebd.,
520.