Ich gebe gleich zu Beginn zu, dass es
sich hier um eine unausgewogene Mischung aus lyrisch-exegetischer
Quacksalberei und politisch-zeitgeschichtlichem Kommentar handelt und
dass diese Unentschiedenheit ganz eindeutig eine Schwäche der
folgenden Zeilen sein wird.
Dennoch!
Es gehörte in den letzten Monaten zum guten liberalen Ton und ist sicher auch in Maßen sinnvoll, sich über den Aufstieg der AfD aufzuregen. Wenn es aber in Deutschland eine Partei gibt, die sich eindeutig und ausschließlich rechtsradikalem Gedankengut verschrieben hat, dann ist es die heute vom Bundesverfassungsgericht offiziell als eindeutig nicht verfassungskonform deklarierte NPD, der organisatorisch gleichwohl abgesprochen wird, dass ihr Handeln derzeit zum Erfolg führen könne.
Auch nicht schön, auch nicht verboten. Lublin, 2014. |
Was diese richterliche Entscheidung als
politisches Symbol oder rechtliches Statement oder gesellschaftliche
Gefahrenanzeige tatsächlich bedeutet, darüber wird man in den
nächsten Wochen trefflich streiten müssen.
Inhaltlich sind der Rassismus und die
erklärte Feindschaft gegen demokratische Prinzipien seitens dieser
Partei unabweisbar.
Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem
Leitsatz 9 zum heutigen Urteil fest: Die NPD "strebt nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer
Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung an. Sie zielt auf eine Ersetzung der bestehenden
Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen 'Volksgemeinschaft'
ausgerichteten autoritären 'Nationalstaat'. Dieses politische
Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen
Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen
Demokratieprinzip unvereinbar."
Für mich bedeutet dies, dass legitime Vielfalt und als positiv angesehene Verschiedenheit dem Denken dieser Partei widersprechen. (Bevor dieses Argument droht, gegen sich selbst gekehrt zu werden, sei auch gleich noch angefügt, dass bestimmte Meinungsäußerungen eben nicht legitim sind, wenn sie zum Beispiel durch Ausnutzen eines erlaubten Meinungsspektrums dieses Spektrum selbst beseitigen wollen.)
Gegen solches Denken muss angedacht
werden.
Das tue ich regelmäßig an meinem (neben dem Gefängnis) zweiten Arbeitsort, einem kirchlichen Jugendhaus bei Berlin. Eines meiner Lieblingsthemen dort ist nämlich der Gedanke von legitimer Unterschiedlichkeit.
Ich lobe in meinen
Predigten oder Impulsen oft die vielen verschiedenen Gaben und
Charaktere in einer Klasse, die, frei nach des Paulus Bild vom einen
Leib mit seinen vielen Gliedern (1Kor 12,12-30), verschiedene
Aufgaben wahrnehmen können: "Das Auge kann nicht zur Hand
sagen: Ich brauche dich nicht. Der Kopf wiederum kann nicht zu den
Füßen sagen: Ich brauche euch nicht." (v21) Und so fort.
Es ist eine sehr eindeutige und leicht
eingängige Metaphorik, die dieses Lob der Vielfalt singt.
Ähnlich nun auch einer meiner
Lieblingsdichter, der polnische Priester Jan Twardowski:
Gerechtigkeit
Wenn alle je vier Äpfel hätten
wenn alle gesund und stark wären
wie ein Roß
wenn alle gleich wehrlos wären in
der Liebe
wenn jeder dasselbe hätte
dann brauchte keiner den andern
Ich danke Dir, daß Deine
Gerechtigkeit Ungleichheit ist
was ich habe und was ich nicht habe
sogar wofür es keine Abnehmer gibt
all das kann doch jemand nötig sein
es gibt die Nacht, damit es den Tag
gibt
es ist dunkel, damit die Sterne
leuchten
es gibt die letzte Begegnung und die
erste Trennung
wir beten, weil andere nicht beten
wir glauben, weil andere nicht
glauben
wir sterben für die, die nicht
sterben wollen
wir lieben, weil anderen das Herz
erkaltet ist
ein Brief nähert, weil ein anderer
entfernt...
ungleiche brauchen einander
sie verstehen am besten, daß alle
auf alle angewiesen sind
und ahnen das Ganze1
Verrottende Einheitspracht in der Abendsonne. Ehem. KdF-Bauten, Prora, Rügen, 2016 |
Das ist einer der wichtigsten und schönsten Gedanken, den wir nicht oft genug wiederholen und vor allem Kindern predigen können:
Wir haben einander in unserer Verschiedenheit nötig, weil wir uns ergänzen.
Unsere ganze Unterschiedlichkeit
bedeutet keineswegs Ungleichwertigkeit – übrigens oftmals auch in religiösen Dingen nicht, die ja so oft den Wahrheitsbegriff
vorschieben.
Allerdings führen die Unterschiedlichkeiten nicht selten in Konflikte, wie ja auch am Kontext des Pauluszitates deutlich wird. An der Unfähigkeit, die jeweils eigene Perspektive zu überschreiten, zerbrechen nicht selten aus unterschiedlichen Elementen zusammengesetzte soziale Konglomerate – von Familien über Parteien oder Kirchen bis hin zu ganzen sozialen Schichten.
Doch die Lösung dieser Gefahr besteht
eben nicht in einer (von besagter Partei gewünschten nationalen oder
rassischen) Separierung, sondern in der Überschreitung der eigenen
Begrenztheit. Wer andere Sichtweisen nicht wenigstens in Teilen als
legitim anerkennen kann, wird sich daran immer stören und lieber in
seine eigene Burg zurückziehen wollen – zum eigenen Schaden.
Mein Plädoyer würde darum lauten: Bei
aller Reibung und Störung, die Verschiedenheiten mit sich bringen,
braucht es nicht nur den Blick über die eigenen Wünsche, Grenzen
und Gewohnheiten hinaus, sondern auch den Willen, diese unter
Umständen einzuordnen in ein (höchstens ahnbares) größeres
Ganzes.
Irdisch wird dieses Ganze nach
Twardowski nie erreicht werden können – auch wenn religiöse und
politische Akteure immer wieder versucht haben, das totale Glück für
die jeweils eigene Gruppe herabzuzwingen. Wenn aber Vielfalt gewahrt
und gewürdigt wird, kann es den Hauch einer vermutenden Ahnung
dessen geben, was wirklich das Ganze ist.
Und es ist nicht die Volksgemeinschaft,
das wusste auch Jesus schon.
Der Kreis bleibt offen. Hof in Königsmünster, Meschede, 2015. |
1 J.
Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt
und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 63 (Übers.
von Alfred Loepfle).