Die Sonntagsevangelien setzen in der
Zeit nach Weihnachten mit dem Erzählen der Geschichte von Jesus noch
einmal neu an. Nach der Feier der Taufe Jesu (als dem Aufbruch zum
öffentlichen Wirken Jesu) in der letzten Woche wird nun noch einmal
das Zeugnis des Täufers vorgestellt, wie es sich das
Johannesevangelium theologisch ausmalt (Joh 1,29-34).
Dass dieser wüstenstauberfüllte
jüdische Erweckungsprediger seine Erfüllung nun darin findet, einen
Handwerker aus Galiläa groß werden zu lassen, weil er in ihm den
Erwählten des Herrn erblickt, ist natürlich erstaunlich.
Schaue ich aber auf mich selbst, finde
ich wenig von einem Erweckungsprediger in mir und muss überlegen,
was seine Aussagen mir für mein Leben und für meine Arbeit mit
Inhaftierten in einem tendenziell religiös indifferenten Umfeld zu
sagen haben.
1 "Seht, das Lamm Gottes, das
die Sünde der Welt hinwegnimmt!" (Joh 1,29)
Seht! Spielzeug, Weimar, 2015. |
Die Worte kennen praktizierende
Katholiken aus der Liturgie, wenn der Zelebrant ihnen die geweihte
Hostie mit diesen Worten zeigt. Ob die Bildsprache aber ankommt, ist
ungewiss.
Das rettende Lamm ist ein
alttestamentliches Motiv aus dem Exodus, der von Gott gewirkten
Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten. Jede jüdische
Hausgemeinschaft sollte ein fehlerfreies Lamm schlachten und
verzehren, mit dem Blut musste der Eingang des Hauses bezeichnet
werden, damit kein Verderben hereinkommt (vgl. Ex 12,3-28). Rettung
brachte also eine Art Abwehrzauber – ein Blutszeichen, das die
Guten erkennbar macht und das Böse weiterverweist.
Auf diese Weise aber (und das ist auch
der Kontext der Erzählung, in denen die Erstgeborenen der Ägypter
getötet werden) trifft das Unheil eben einen anderen, im Falle der
biblischen Urerzählung vom Lamm den Unterdrücker.
Doch das Johannesevangelium hat bei
diesem Verweis auf die jüdische Überlieferung noch eine andere
Denklinie im Blick, die ihrerseits in der ersten Lesung aus dem Buch
Jesaja stark gemacht wird: Es ist die universale Dimension des
göttlichen Rettens. Darum wird der Retter im Lesungstext
angesprochen:
"Es ist zu wenig, dass du mein
Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die
Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die
Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht."
(Jes 49,6)
Nicht das Wegverweisen des Bösen zu
irgendeinem Nächsten hat Jesaja also im Sinn, nein – alle sind zum
Heil berufen. Es geht um ein weltweites Heilszeichen, um Lebenslicht
für alle – oder mit dem Sonntagsevangelium: um einen, der die
ganze Welt rettet und nicht nur ein Volk. Diese Linie gilt es
weiterzuziehen.
2 "Ich bin gekommen und taufe
mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zu machen" (Joh 1,31)
Johannes der Täufer betont in dem
kurzen Abschnitt zwei Mal: "auch ich kannte ihn nicht"
(v31.33) – es scheint also wichtig zu sein, dass da ein
unerwarteter Unbekannter kommt, keiner, dessen Kommen sowieso gerade
anstand. Johannes musste selbst erst einmal warm werden mit ihm, um
dann auch andere zu ihm führen zu können. (Wobei der zweite
Halbsatz in der gerade neu erschienen revidierten Einheitsübersetzung
nun genauer heißt: "damit er Israel offenbart wird.")
Mir sagt das für mein seelsorgliches
Wirken im Gefängnis zweierlei:
Zum Ersten: Da ist eine Spannung
zwischen meiner persönlichen Beziehung zu Jesus und dem, was ich von
ihm mitteilen kann. Was auch immer ich sage und tue – hat es ein
Fundament in meiner Beziehung zu Gott? Es wird jedenfalls wohl
spürbar, wenn ich nur fromme Sprüche absondern würde und in meinem
sonstigen Verhalten nicht den Eindruck eines gelegentlich Betenden
machte. Mein Weg mit Jesus und mein intimes Ihm-Nahhestehen sind
Grund dafür, dass ich andere an ihn verweisen und ihm anvertrauen
kann.
Bekanntmachen was ist. Klingelschild in Moabit, Berlin, 2016. |
Oder sollte ich vielmehr den Namen Jesu
viel öfter im Munde führen? Ich gebe zu, dass mir das schwer fällt,
wenn Menschen mir ihre gebrochenen Biographien, ihre
Schicksalsschläge, ihre Wurzellosigkeit oder ihr momentanes Elend
der Haft anvertrauen. "Jesus hat auch gelitten, du bist nicht
allein" – das klingt mir zu billig.
Aber wie wird er den Menschen dann
bekannt, wenn nicht durch mein Zeugnis? Wenn schon der Seelsorger
lieber rein menschlich mitgeht oder bisweilen tröstende Worte findet
oder eine Wegfrage anbahnt, anstatt klar und deutlich auf den Retter
zu verweisen, wer soll es dann machen?
Ich habe kein theoretisches
Patentrezept, das sich mit meinem Charakter und meiner Art der
prakischen Gesprächsführung in totalen Einklang bringen ließe. Der
Stachel, dass eine stärkere Ausdrücklichkeit des Zeugnisses
möglich wäre und bisweilen gefordert ist, dass dies aber in
gleichzeitiger Übereinstimmung mit meiner Intuition bezüglich des
Fassungsvermögens meines Gegenübers und der Situation geschehen
soll, dieser stachelige Spagat bleibt mir.
3 "Er ist der Sohn Gottes."
(Joh 1,34)
Denn wem sagt das von den
kirchenabstinenten Menschen etwas, denen ich im Gefängnis zumeist
gegenüber sitze? Von Gott zu reden mit seinen Geboten und der
Schöpfung und dem Gericht, das ist eine Sache. Von Jesus als einem
menschlichen und ethischen Vorbild eine andere.
Aber von Jesus als dem Sohn? Was für
Vorstellungen tauchen da auf, wenn es nicht rein mythologische sind?
Trotzdem will ich, siehe oben, auch von
dem reden, was Jesus für mich bedeutet – und für mich ist er eben
der Sohn.
Meine "Formel", in der ich
dann gelegentlich bekenne und auszudrücken versuche, was es für
mich bedeutet, dass Jesus Gottes Sohn ist und die Weise, von der ich
hoffe, dass sie gleichzeitig ankommen kann, ist folgende:
In Jesus hat Gott gezeigt, wie er
wirklich ist und was er bereit ist für uns zu tun. Im Schicksal Jesu
geht Gott den harten Weg eines Menschen, der Versöhnung predigt,
damit aneckt und sich gegen die Unversöhnten der Welt nicht mit
Gewalt zur Wehr setzt. Vielmehr will er die liebevolle Zuneigung
eines Vaters dagegenstellen, die Umarmung noch im Sterben, das
Verzeihen auch unter Schlägen, das Aushalten im Verrat...
Es ist menschlich-weltlich betrachtet
eine Schwäche aus Liebe, die Jesus da vorführt.
Nur von dorther kann die Rede vom Sohn und seiner Hingabe am Kreuz irgendeine Bedeutung für meine Gegenüber gewinnen. (Wobei
meist eingeklammert bleibt, warum denn diese Hingabe überhaupt nötig
war, die Notwendigkeit muss zunächst vorausgesetzt werden – und
bleibt in der Regel unthematisiert.)
Wenn dieser Liebesschwache nun der uns
entgegenkommende Gott ist – was für ein Glück wäre das!
Das ist keine endgültige Lösung, ich
weiß. Aber vielleicht ein Anfang.
Bleibende Unschärfen mit Herkules. Wilhelmshöhe, Kassel, 2012. |