Ich liebe dieses Land.
Mit dem 27. Januar
als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Mit dem 08. Mai
als Gedenktag des Kriegsendes.
Ich liebe, was dieses Land ausmacht,
aber nicht alles, was in seiner Geschichte geschah.
Es gibt Verabscheuungswürdiges und
Bewundernswertes, Ekelhaftes und Schönes.
Wie überall.
Und es gibt eine Kultur, die über
beides, die eigenen Licht- und Schattenseiten, nicht schweigt.
(Jedenfalls nicht immer.)
Es gibt Selbstkritik als Grundlage
einer reflektierten Identität, was manchmal zu moralischer
Besserwisserei führt. Aber in diesem Land lebt eine Bereitschaft,
sich mit sich selbst und der eigenen Geschichte kritisch
auseinanderzusetzen.
Diese Haltung mag individuell sehr
verschieden verwirklicht werden. Sie schuf jedoch einen
weitreichenden Konsens über gewisse grundlegende Tatsachen in der
Geschichte dieses Landes.
Unter Schnee. Wald bei Alt-Buchhorst, 2017. |
Es hat lange bis dorthin gedauert, wie in den letzten Jahren erst wieder die Filme über Fritz Bauer
und die schleppende Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts
gezeigt haben ("Im Labyrinth des Schweigens" und
"Der Staat gegen Fritz Bauer").
Inwieweit dies auch zu einer Versöhnung
mit den Opfern des großflächigen staatlichen Terrors geführt hat,
vermag ich nicht zu sagen. Mit der eigenen Geschichte im 20.
Jahrhundert und ihren Schrecken jedoch haben die Deutschen einen
angemessenen Umgang gefunden. Natürlich schwankt dieser immer
zwischen einem
"Immer-wieder-alles-grundsätzlich-auf-den-Tisch-packen",
was gefühlt oder tatsächlich wie eine "Auschwitz-Keule"
(Martin Walser) aussehen kann, und einem ausweichenden
"Jetzt-muss-aber-mal-Schluss-sein", das den Wunsch von
manch linker Seite als Nationalismus gebrandmarkt wird.
Trotz dieser extremen Pendelschläge
gibt es dazwischen eine gewachsene Normalität, sich in Deutschland
gesellschaftlich mit Brüchen und Grenzen ebenso wie mit Höhenflügen
und Sternstunden auseinander zu setzen. So verläuft ein gangbarer
Weg zwischen Hurra-Patriotismus
und nationaler Selbstgeißelung.
Um so schwerer wiegt der Kulturbruch,
wenn ein demokratisch gewählter Politiker wie Björn Höcke von der
thüringischen AfD das offizielle Mahnmal zum Gedenken an die
ermordeten Juden Europas als "Denkmal der Schande"
bezeichnet.
Zu einer reifen Form der kulturellen
Identität gehört, so kann man es in der Biographiearbeit lernen,
dass auch dunkle Anteile der eigenen Geschichte in das Gesamtbild von
sich selbst integriert werden müssen. Wo die Auseinandersetzung und
die Suche nach geordnetem Umgang ausbleibt, "gibt es nur den
Fluchtweg in Selbstrechtfertigung, das schädliche Abdrängen der
Schuld und der Schuldgefühle unter einer Betonschicht oder den
Absturz in Verzweiflung und Selbstanklage."1
Eine solche Betonschicht der Rechtfertigung ist in manchen
Kreisen der Neuen Rechten klar erkennbar.
Doch Scham und Selbstbewusstsein
schließen einander nicht aus. Das Auseinandersetzen mit der
Vergangenheit kann ungleich mehr befreiend wirken als Aggression und
Wut. Denn Narben
gehören zum Leben dazu.
Doch neben diesen Fragen der deutschen Identität
ist dieser nationalistische Ausfall in erster Linie ein Schlag ins Gesicht der
Millionen Opfer der deutschen Vernichtung und ihrer
Angehörigen.
Ihnen gilt mein Gedenken an diesem Tag.
Bruch im Eis. Peetzsee, Alt-Buchhorst, 2017. |
1J.
Maureder, Mensch werden – erfüllt leben. Würzburg 2007, 77.