Donnerstag, 13. April 2017

Karfreitag – Das Gebrochensein liegt der Kirche in den Genen

Vorbemerkung: In diesem Jahr darf ich zu den Hohen Tagen dreimal im Gefängnis Gottesdienste feiern und predigen, darum nutzen die Texte bisweilen die Form der Anrede und beziehen sich dabei immer wieder auf das Leben im Gefängnis. Dennoch wird nicht alles genauso gesagt werden, manche Dinge stehen hier nur, damit ich sie im Hinterkopf habe, wenn ich mich auf das freie Sprechen vorbereite.

Am Karfreitag erinnern wir uns an den gewaltsamen Tod des Jesus aus Nazareth vor knapp 2000 Jahren. Natürlich erinnern wir uns deshalb an ihn, weil wir als Christen der Meinung sind, dass sein Tod damals etwas mit uns zu tun hat. Aber was genau sollte uns dieser Tod angehen – und was kann er uns sagen, selbst wenn wir nicht die frömmsten Christen wären?

Ich möchte mit drei Gedanken versuchen, auf diese Frage einzugehen.

1 Vor Gericht und im Gefängnis
Vor der Wand. Rixdorf, Berlin, 2017.
Einem Menschen im Gefängnis müssen viele der Szenen der gerade gehörten Passion aus eigenem Erleben bekannt erscheinen – da gibt es Richter und Ankläger, einen oftmals nicht besonders viel selbst sprechenden Angeklagten und bisweilen eine Menge von Menschen, die nach Bestrafung lechzt. Es gibt eine Neueinkleidung, es gibt Leute, die sich nach der Verurteilung lustig machen, es gibt die Beamten in ihren verschiedenen Funktionen und so fort.

Ich weiß nicht, wie nah Sie sich diesem Jesus fühlen, wenn Sie das hören. Ich weiß nur, dass er sich Menschen, die von anderen verurteilt und inhaftiert werden, nahe fühlt. Er war selbst hinter Gittern und vor einem Richter und er weiß, was es bedeutet, gefangen zu sein. Und das tut er dem Glauben der Christen nach nicht als ein Mensch wie alle anderen, sondern als einer, der in ganz besonderer Beziehung zu Gott steht.
Wir sehen in ihm den Repräsentanten Gottes auf Erden und können darum sagen: In dem Mann Jesus aus Nazareth war nach unserem Glauben Gott selbst hinter Gittern. Er kennt das Gefühl, eingesperrt zu sein, ausgeliefert und entmündigt zu sein, im Ungewissen zu sein über das, was als nächstes kommt.

Schon diese Tatsache, die mit seinem Tod zunächst einmal nicht unmittelbar zu tun hat, zeigt Gottes Nähe zu Menschen in Haft.

Das mag einen anrühren oder nicht – als Christ glaube ich, dass die Einsamkeit in Haft, die man im Gefängnis mindestens von Zeit zu Zeit spüren kann, etwas ist, das Gott auch kennt.
Diese Einsamkeit kann uns mit Gott in Verbindung bringen, weil Jesus sie selbst erlebt hat.

2 Wie hat Jesus seinen Tod gedeutet?
Am Abend vor seiner Hinrichtung dagegen saß Jesus noch mit seinen Jüngern bei Tisch – wir kennen diese Mahlzeit als das Letzte Abendmahl. Er weiß, dass es ernst wird, vielleicht weiß er sogar, dass er sterben wird. Und bevor man ihm das Leben nimmt, deutet er dieses sein Leben während des Mahles auf seine ganz eigene Weise.

Denn Jesus verstand sich als "der endgütige Heilsbote Gottes"1 und scheiterte doch daran, mit diesem Heilsangebot Gottes tatsächlich ganz Israel zu erreichen: Das auserwählte Volk hat sich nicht auf neue Weise Gott angenähert, es hat Jesu Verkündigung von der nahenden Gottesherrschaft zum großen Teil nicht angenommen.

Bei Mahl und Fußwaschung bitte Schuhe ausziehen.
Thomashöhe, Rixdorf, Berlin 2015.
Jesus war sich dieser Gefahr und des weitgehenden Scheiterns seiner Botschaft bewusst. Aber er ging davon aus, dass er Gott auch und gerade dann dient, wenn er konsequent bei der Weitergabe des göttlichen Heilsangebotes bleibt, auch wenn es abgelehnt wird und selbst wenn ihn diese Ablehnung das Leben kostet.
Anders gesagt: Er wird getrieben von etwas, für das es sich lohnt, sein Leben einzusetzen und nötigenfalls zu verlieren.

Beim letzten Mahl nun stellt er sich ganz in den Dienst dieses seines Auftrages, das Heil Gottes zu den Menschen zu bringen. Brot und Wein reicht er den Anwesenden als Zeichen dafür, dass er auch sein Leben weiterreicht. Er bricht das Brot, denn auch er selbst, auch sein Leben wird gebrochen.

Er glaubt, dass Gott etwas mit ihm vorhat und dass dementsprechend auch sein Tod etwas bewirken soll. Und weil er Gott vertraut, nimmt er dieses Todesschicksal an und sagt den Seinen zu: "Unser Vater wird euch nunmehr aufgrund meines Todesdienstes das Heil seines Reiches geben, Anteil an der Gabe des eschatologischen Mahles."2
Durch das Mahl bleibe ich euch nahe.
Was den Jüngern, die später von ihm Zeugnis ablegen werden, besonders im Gedächtnis bleibt, ist die Deutung seines Todes beim Mahl – ich gebe mich für euch.

Jesus deutet sein Geschick also schon am Abend zuvor völlig anders als es jene tun, die ihn verurteilen. Diese Freiheit hat er und lässt er sich nicht nehmen.

Und auch für Sie stellt sich ja diese beiden Fragen:
Gibt es etwas, das mich treibt und aufrecht hält und weitergehen lässt? Gibt es etwas, das mir so heilig ist, dass ich mich dafür mit ganzer Kraft einsetzen würde?
Und: Vertraue ich darauf, dass Gott auch mit mir einen Plan hat? Und was glaube ich, was Gott mit mir vorhat, wenn ich hier bin und meine Haft verbüße?

Damit sind wir bei der Frage nach Gott.

3 Was für ein Gott ist das?
Über viele Jahrhunderte hinweg wurde der Kreuzestod so gedeutet, als habe ein brutaler Gott seinen Sohn aus irgendeinem Zwang heraus in den Tod geschickt. An einen solchen Gott glaube ich nicht.
Gott ist ein Gott des Lebens, er will nicht den Tod, schon gar nicht den Tod seines Sohnes.

Und doch hat er dem Menschen die Freiheit gegeben. Menschen können einander Böses antun und sogar töten.
Viele Menschen fragen in konkreten Situationen trotzdem, wie Gott das zulassen könne. Dabei wäre eher zu fragen, wie Menschen einander so etwas antun können.
Gott liebt die menschliche Freiheit und ist bereit, dafür in seinem Sohn auch selbst zu leiden.

Dafür steckt menschliches Gebrochensein nun auch in Gott. So ein Gott ist das.
Zugeich steckt es sozusagen auch der Kirche als Verkünderin Gottes in den Genen. Die Frage ist nur, ob man ihr das Gebrochensein Gottes immer ansieht.
Wo Kirche vorrangig gesellschaftliche Prägekraft sucht, Privilegien verteidigt, Moral einfordert – dort verkündet die Kirche Gott nicht als einen gebrochenen Gott.
Aber vielleicht käme sie ihm näher und wäre darum auch anziehender, wenn sie das in ihr steckende Gebrochensein wachsen ließe, so wie es Papst Franziskus ausgedrückt hat: "Mir ist eine 'verbeulte' Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist."3

Als Christen wäre das aber eine Einladung an uns alle, besonders am Karfreitag: Unser eigenes Gebrochensein anerkennen und uns auf diese Weise Gott zu nähern, der in Jesus genauso gebeugt und gebrochen, leidend und gequält war wie auch wir uns manchmal fühlen.

Zum Schluss: Dieser inhaftierte und gebrochene Gott hat also einen Plan für uns, für Sie, für jeden Menschen. Ich lade Sie dazu ein, ihn in diesen Tagen einfach mal zu fragen, in sich hineinzuhorchen und herauszufinden, was Gott von Ihnen ganz individuell, hier und jetzt denn will.

Leere. Neukölln, Berlin, 2016.
 
1   H. Schürmann, Jesus. Gestalt und Geheimnis. Gesammelte Beiträge. Paderborn 1994, 217.
2   Ebd., 237.
3   Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums. Das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Freiburg i.Br. 2013, No. 49.