Vorbemerkung: In diesem Jahr darf
ich zu den Hohen Tagen dreimal im Gefängnis Gottesdienste feiern und
predigen, darum nutzen die Texte bisweilen die Form der Anrede und
beziehen sich dabei immer wieder auf das Leben im Gefängnis. Dennoch
wird nicht alles genauso gesagt werden, manche Dinge stehen hier nur,
damit ich sie im Hinterkopf habe, wenn ich mich auf das freie
Sprechen vorbereite.
Am Karfreitag erinnern wir uns an den
gewaltsamen Tod des Jesus aus Nazareth vor knapp 2000 Jahren.
Natürlich erinnern wir uns deshalb an ihn, weil wir als Christen der
Meinung sind, dass sein Tod damals etwas mit uns zu tun hat. Aber was
genau sollte uns dieser Tod angehen – und was kann er uns sagen,
selbst wenn wir nicht die frömmsten Christen wären?
Ich möchte mit drei Gedanken
versuchen, auf diese Frage einzugehen.
Einem Menschen im Gefängnis müssen
viele der Szenen der gerade gehörten Passion aus eigenem Erleben
bekannt erscheinen – da gibt es Richter und Ankläger, einen
oftmals nicht besonders viel selbst sprechenden Angeklagten und
bisweilen eine Menge von Menschen, die nach Bestrafung lechzt. Es
gibt eine Neueinkleidung, es gibt Leute, die sich nach der
Verurteilung lustig machen, es gibt die Beamten in ihren
verschiedenen Funktionen und so fort.
Ich weiß nicht, wie nah Sie sich
diesem Jesus fühlen, wenn Sie das hören. Ich weiß nur, dass er
sich Menschen, die von anderen verurteilt und inhaftiert werden, nahe
fühlt. Er war selbst hinter Gittern und vor einem Richter und er
weiß, was es bedeutet, gefangen zu sein. Und das tut er dem Glauben
der Christen nach nicht als ein Mensch wie alle anderen, sondern als
einer, der in ganz besonderer Beziehung zu Gott steht.
Wir sehen in ihm den Repräsentanten Gottes auf Erden und können darum sagen: In dem Mann Jesus aus Nazareth war nach unserem Glauben Gott selbst hinter Gittern. Er kennt das Gefühl, eingesperrt zu sein, ausgeliefert und entmündigt zu sein, im Ungewissen zu sein über das, was als nächstes kommt.
Wir sehen in ihm den Repräsentanten Gottes auf Erden und können darum sagen: In dem Mann Jesus aus Nazareth war nach unserem Glauben Gott selbst hinter Gittern. Er kennt das Gefühl, eingesperrt zu sein, ausgeliefert und entmündigt zu sein, im Ungewissen zu sein über das, was als nächstes kommt.
Schon diese Tatsache, die mit seinem
Tod zunächst einmal nicht unmittelbar zu tun hat, zeigt Gottes Nähe
zu Menschen in Haft.
Das mag einen anrühren oder nicht –
als Christ glaube ich, dass die Einsamkeit in Haft, die man im
Gefängnis mindestens von Zeit zu Zeit spüren kann, etwas ist, das
Gott auch kennt.
Diese Einsamkeit kann uns mit Gott in Verbindung bringen, weil Jesus sie selbst erlebt hat.
Diese Einsamkeit kann uns mit Gott in Verbindung bringen, weil Jesus sie selbst erlebt hat.
2 Wie hat Jesus seinen Tod gedeutet?
Am Abend vor seiner Hinrichtung dagegen
saß Jesus noch mit seinen Jüngern bei Tisch – wir kennen diese
Mahlzeit als das Letzte Abendmahl. Er weiß, dass es ernst wird,
vielleicht weiß er sogar, dass er sterben wird. Und bevor man ihm
das Leben nimmt, deutet er dieses sein Leben während des Mahles auf
seine ganz eigene Weise.
Denn Jesus verstand sich als "der
endgütige Heilsbote Gottes"1
und scheiterte doch daran, mit diesem Heilsangebot Gottes tatsächlich
ganz Israel zu erreichen: Das auserwählte Volk hat sich nicht auf
neue Weise Gott angenähert, es hat Jesu Verkündigung von der
nahenden Gottesherrschaft zum großen Teil nicht angenommen.
Bei Mahl und Fußwaschung bitte Schuhe ausziehen. Thomashöhe, Rixdorf, Berlin 2015. |
Jesus war sich dieser Gefahr und des
weitgehenden Scheiterns seiner Botschaft bewusst. Aber er ging davon
aus, dass er Gott auch und gerade dann dient, wenn er konsequent bei
der Weitergabe des göttlichen Heilsangebotes bleibt, auch wenn es
abgelehnt wird und selbst wenn ihn diese Ablehnung das Leben kostet.
Anders gesagt: Er wird getrieben von
etwas, für das es sich lohnt, sein Leben einzusetzen und
nötigenfalls zu verlieren.
Beim letzten Mahl nun stellt er sich
ganz in den Dienst dieses seines Auftrages, das Heil Gottes zu den
Menschen zu bringen. Brot und Wein reicht er den Anwesenden als
Zeichen dafür, dass er auch sein Leben weiterreicht. Er bricht das
Brot, denn auch er selbst, auch sein Leben wird gebrochen.
Er glaubt, dass Gott etwas mit ihm
vorhat und dass dementsprechend auch sein Tod etwas bewirken soll.
Und weil er Gott vertraut, nimmt er dieses Todesschicksal an und sagt
den Seinen zu: "Unser Vater wird euch nunmehr aufgrund meines
Todesdienstes das Heil seines Reiches geben, Anteil an der Gabe des
eschatologischen Mahles."2
Durch das Mahl bleibe ich euch nahe.
Was
den Jüngern, die später von ihm Zeugnis ablegen werden, besonders im Gedächtnis
bleibt, ist die Deutung seines Todes beim Mahl – ich gebe mich
für euch.
Jesus deutet sein Geschick also schon
am Abend zuvor völlig anders als es jene tun, die ihn verurteilen.
Diese Freiheit hat er und lässt er sich nicht nehmen.
Und auch für Sie stellt sich ja diese
beiden Fragen:
Gibt es etwas, das mich treibt und
aufrecht hält und weitergehen lässt? Gibt es etwas, das mir so
heilig ist, dass ich mich dafür mit ganzer Kraft einsetzen würde?
Und: Vertraue ich darauf, dass Gott
auch mit mir einen Plan hat? Und was glaube ich, was Gott mit mir
vorhat, wenn ich hier bin und meine Haft verbüße?
Damit sind wir bei der Frage nach Gott.
3 Was für ein Gott ist das?
Über viele Jahrhunderte hinweg wurde
der Kreuzestod so gedeutet, als habe ein brutaler Gott seinen Sohn
aus irgendeinem Zwang heraus in den Tod geschickt. An einen solchen
Gott glaube ich nicht.
Gott ist ein Gott des Lebens, er will
nicht den Tod, schon gar nicht den Tod seines Sohnes.
Und doch hat er dem Menschen die
Freiheit gegeben. Menschen können einander Böses antun und sogar
töten.
Viele Menschen fragen in konkreten
Situationen trotzdem, wie Gott das zulassen könne. Dabei wäre eher
zu fragen, wie Menschen einander so etwas antun können.
Gott liebt die menschliche Freiheit und
ist bereit, dafür in seinem Sohn auch selbst zu leiden.
Dafür steckt menschliches
Gebrochensein nun auch in Gott. So ein Gott ist das.
Zugeich steckt es sozusagen auch der
Kirche als Verkünderin Gottes in den Genen. Die Frage ist nur, ob man ihr das Gebrochensein Gottes immer ansieht.
Wo Kirche vorrangig gesellschaftliche
Prägekraft sucht, Privilegien verteidigt, Moral einfordert – dort
verkündet die Kirche Gott nicht als einen gebrochenen Gott.
Aber vielleicht käme sie ihm näher
und wäre darum auch anziehender, wenn sie das in ihr steckende
Gebrochensein wachsen ließe, so wie es Papst Franziskus ausgedrückt
hat: "Mir ist eine 'verbeulte' Kirche, die verletzt und
beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber,
als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer
Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank
ist."3
Als Christen wäre das aber eine
Einladung an uns alle, besonders am Karfreitag: Unser eigenes
Gebrochensein anerkennen und uns auf diese Weise Gott zu nähern, der
in Jesus genauso gebeugt und gebrochen, leidend und gequält war wie
auch wir uns manchmal fühlen.
Zum Schluss: Dieser inhaftierte und
gebrochene Gott hat also einen Plan für uns, für Sie, für jeden
Menschen. Ich lade Sie dazu ein, ihn in diesen Tagen einfach mal zu
fragen, in sich hineinzuhorchen und herauszufinden, was Gott von
Ihnen ganz individuell, hier und jetzt denn will.
Leere. Neukölln, Berlin, 2016. |
1 H.
Schürmann, Jesus. Gestalt und Geheimnis. Gesammelte Beiträge.
Paderborn 1994, 217.
2 Ebd.,
237.
3 Papst
Franziskus, Die Freude des Evangeliums. Das Apostolische Schreiben
"Evangelii Gaudium" über die Verkündigung des
Evangeliums in der Welt von heute. Freiburg i.Br. 2013, No. 49.