"Und wie gehts weiter?"
Meine Tochter fragt das an manchen
Tagen nach jeder gelesenen Seite im Buch. Manchmal ist das etwas
anstrengend – aber genauso ist das Leben ja: es geht immer weiter.
Nur am Karfreitag schien es anders. Es
schien, als wäre die kurze glanzvolle Geschichte Jesu zu Ende. Da
zieht er knapp drei Jahre durch Galiläa und predigt und heilt und
beruft Jünger und setzt Zeichen von Gottes Liebe. Und was hat er
davon?
Er wird umgebracht. Jesus stirbt.
Allein.
1 Rückblick in Liebe –
Andeutungen wahrnehmen
Doch schon in der Passionserzählung
häufen sich die Hinweise, wie es weitergeht.
Begegnung von Licht und Schatten. Neukölln, Berlin 2014. |
Zu Blut und Schmerz, zu Gewalt und Qual
von Karfreitag gehört nämlich auch, dass es noch etwas anderes als Gewalt gibt –
nämlich Jesu Gewaltlosigkeit und die liebevolle Abnahme des toten
Leibes vom Kreuz; etwas anderes als Blut – nämlich das Tuch der
Veronika; etwas anderes als Schmerz – nämlich Simon von Zyrene,
der das Kreuz mitträgt.
Und am Schluss der Lesung von der
Passion erkennt der römische Hauptmann: "Wahrhaftig, das war
der Sohn Gottes." (Mk 15,39) Mitten im Elend eines blutig
Hingerichteten sieht er schon mehr.
Denn in diesen vielen kleinen Dingen
kündigt sich mitten im Horror schon ein Darüberhinaus an. Gewalt
und Tod, Einsamkeit und Frust, Langeweile und Wut haben nicht das letzte
Wort.
Die Antwort auf "Und wie gehts
weiter?" heißt Ostern also: Das Leid ist nicht alles! Gott
schenkt noch mehr! Das wars noch nicht!
In den liebevollen Begegnungen, in der
Nähe, im Überschreiten von Gewalt und Leid hin zu Anteilnahme und
Gemeinschaft deutet sich noch im Leiden an, was Gott vorhat: neues
Leben zu schenken.
Die Frage für uns ist darum: Wo sehe
ich Andeutungen von etwas Neuem in meinem derzeitigen Leben? Wo hoffe
ich, dass das, was ist, noch nicht alles war?
2 Begegnung macht es aus
Was jetzt kommt, ist das Ende jeglicher
Gewalt. Ostern ist die Aufhebung der leidvollen Einsamkeit, die das
Leben vieler Menschen bestimmt.
Ostern kündet, in Gefängnissprache
gesprochen, vom Ende der Vereinzelung, jeder allein in seine Zelle.
Ostern ist Aufschluss für immer. Ostern ist dauernde Lockerung und
ja, sogar Entlassung und ein Neuanfang im Jubel. Ostern ist Himmel
auf Erden.
Aber wir wissen: unsere
Lebenswirklichkeit ist oft wie eine Entlassung ohne euphorischen
Jubel. Da kommt die Jobsuche, der mühsame Neuaufbau von Beziehungen,
die Abkehr von schädlichen Kontakten, die Angst, ob noch jemand da
ist, der es ernst meint mit mir.
Das wirkliche Leben ist Arbeit und
Disziplin und immer wieder: Scheitern.
Ähnlich scheint es im Evangelium (Joh
20,1-9) den beiden Jüngern am Grab zu gehen. Sie kommen angerannt
und schauen hinein und sehen – nichts. Der Leichnam ist fort, sie
sind verwirrt. Einer kapiert es schneller – aber schweigt, der
andere (der erste Papst!), begreift nichts – und dann gehen sie
einfach wieder nach Hause.
Diesem trist-traurigen und
realistischen Blick schenkt Gott eine Verheißung.
Der trauernden Maria beispielsweise
wird gleich in den nächsten Versen des Evangeliums der Auferstandene
begegnen.
Und auch die Jünger begegnen Jesus
anschließend noch. Erst die Begegnung mit ihm macht der Verwirrung
ein Ende und hilft ihnen, zu glauben. Er sagt ihnen Frieden zu und
sendet sie, dass sie Versöhnung leben sollen und Vergebung
aussprechen (vgl. Joh 20,19-23).
Kelch vor Himmel. Brüdergemeine Rixdorf, Berlin, 2015. |
Was auch immer an diesen
Begegnungsgeschichten historisch dran ist – entscheidend ist, dass
es Begegnung sind, die die Menschen verändern.
Sie hätten ja in ihr altes Leben
zurückkehren und es sich in ihren alten Berufen gut gehen lassen
können. Wahrscheinlich haben das eine Reihe von Jesus-Sympathisanten
auch gemacht: 'Der angebliche Befreier ist tot, dann gehe ich eben
wieder zu meiner Familie.'
Aber einige haben nach seinem Tod einen
solchen Schub bekommen, dass sie ihr Leben drangegeben haben für die Botschaft des Auferstandenen und dass ihre Verkündigung durch das ganze
Römische Reich ging und sogar wir heute noch hier sind und von Jesus
erzählen.
Es gab also irgendeine Art Begegnung
mit dem Auferstandenen, die so entscheidend war, dass sie im Leben
dessen alles umgekrempelt hat. Sie hat den Jüngern klar gemacht,
dass bei Gott mit dem Tod nicht alles aus ist. Sondern dass seine
Liebe den Tod überwindet und Versöhnung und Gemeinschaft mit Gott
schenkt. Und dass diese Botschaft zu den Menschen muss.
(Auch heute spüren sich viele Menschen
auf der ganzen Welt von Gott geliebt, sie ahnen im Gebet Gottes Ruf
und lassen sich darauf ein.)
Wenn Sie dann also am Ende Ihrer
Haftzeit vor der Tür der Haftanstalt stehen, müssen Sie sich
fragen, wohin es nun gehen soll. (Spätestens dann!)
Ist das Wichtigste eine ordentliche
Ladung Alkohol? Oder Rache an irgendjemandem? Oder versinken Sie in
Mutlosigkeit? Oder haben Sie konkrete Pläne mit konkreten Schritten?
Die Jünger standen nach dem Tod Jesu
ähnlich da – Es ist vorbei, was sollen wir jetzt tun?
Dann hatten sie ihre Begegnungen mit
dem Auferstandenen.
Ich hoffe, dass auch Sie Begegnungen
machen können, die Sie zu mehr erfülltem Leben führen – zu
Versöhnung, zu Frieden, zu Gemeinschaft.
Oder als Frage: wo haben Sie vielleicht
jetzt schon Begegnungen, die Sie ermutigen und aufrichten?
Begegnungen, die Sie zu mehr Leben führen und zu Versöhnung?
3 Der Leib
Eine kurze Anmerkung noch zu dem
verschwundenen Leichnam. Theologen und Historiker streiten ja seit
dem Beginn des Christentums darüber, welche tiefere Bedeutung es
hat, dass der Leichnam Jesu nicht mehr da war.
Das hat vor allem zu tun mit der
damaligen Vorstellung von der Auferstehung. Die Botschaft vom
Auferstandenen wäre nicht verstanden worden, hätte da noch ein
toter Körper gelegen. Wie sollte einer auferstanden sein, wenn doch
dort noch sein Körper liegt...
Skulpturen im Garten. Georg-Kolbe-Museums, Berlin, 2015. |
Aber es geht noch eine Spur tiefer,
nämlich um die Vorstellung von der leiblichen Auferstehung.
Aber hier muss man sofort einhaken und
einem Missverständnis vorbeugen – "Auferstehung des Leibes
heißt nicht Auferstehung des Körpers oder des Leichnams,
Auferstehung bedeutet vielmehr, daß im Tod der ganze Mensch mit
seiner konkreten Welt und Geschichte von Gott neue Zukunft erhält."1
Es geht nicht darum, dass Jesus ein
"ins allgemein biologische Leben Zurückgekehrter [wäre],
der dann nach den Gesetzen der Biologie eines Tages wieder sterben
müsste."2
Wenn wir in den Evangelien von Jesu
Erscheinungen hören, dann sind den Autoren zwei Dinge gleichzeitig
wichtig: Jesus ist nicht bloß ein Gespenst oder reiner Geist – er
isst mit den Jüngern (vgl. Lk 24,42f). Aber zugleich ist er nicht
sofort äußerlich erkennbar und auch nicht mehr an diese Welt
gebunden – er kommt auch in geschlossene Räume und die
Emmausjünger erkennen ihn ebensowenig wie Maria von Magdala (Lk
24,15f; Joh 20,14ff; 20,19.26).
Das bedeutet: Das Christentum ist keine
Gespenster- und keine Frankenstein-Geschichte! Es geht nicht um
Geisterglauben und nicht um revitalisierte Tote.
Sondern: Es ist die Verkündigung vom
wahren Leben bei Gott. Jesus ist mit all den Erfahrungen, die er in
der Welt gemacht hat, mit allem, was ihn in Galiläa und am Schluss
Jerusalem geprägt hat, in die "Welt des reinen Lebens"3
gegangen, in die Gemeinschaft mit Gott, in der es keinen Tod mehr
gibt.
Das Grab ist leer, weil Jesus ganz bei
Gott ist.
Auch für uns gilt: das, was wir in
unserem Leben in der Welt geworden sind; was uns geprägt hat; wer
wir sind mit unserer ganz persönlichen Geschichte – das alles
meint Leiblichkeit nach der christlichen Tradition.
Alles das, was wir im Kontakt mit der
Welt erlebt und erlitten haben, hat uns zu dem gemacht, was wir sind
– die individuelle leibgeistige Person, die wir geworden sind.
Auch das neue Leben gilt darum einer
Person, die geprägt wurde "durch ihr leibhaftiges Leben in
der Welt" und "in deren konkreter Prägung Welt
eingeschrieben, geborgen, aufgehoben ist."4
Und diese ganze Person ist Gott
wichtig. Alles ist wichtig und wird von Gott angenommen – und
verwandelt in ein neues Leben geführt.
Das wäre mein dritter Punkt: Wir
Menschen sind Gott als ganze Menschen wichtig. Als ganze Person, mit
unserer ganzen Geschichte. Und alles will er verwandeln und ins Leben
zu sich führen.
Ich wünsche Ihnen, dass Gott Sie
berührt und Sie in ihrem Leben schon die Andeutungen der
Auferstehung zu etwas Neuem finden! Ich wünsche Ihnen, dass Sie
seine Liebe zu Ihnen und Ihrem Leben spüren können in Begegnungen,
die Sie aufrichten und versöhnen! Ich wünsche Ihnen, dass Sie
spüren können, dass Sie Gott teuer sind mit Ihrem ganzen Leben mit
Brüchen und Grenzen, mit Ihrer ganzen Geschichte – und dass er Sie
verwandeln kann.
Blick über Land bei Rahrbach. 2015. |
1 G.
Greshake, Stärker als der Tod. Zukunft – Tod – Auferstehung –
Himmel – Hölle – Fegefeuer. 6. Aufl. Mainz 1981, 70.
2 J.
Ratzinger / Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Zweiter Teil. Vom
Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung. Freiburg i.Br. 2011, 298.
3 Ebd.,
293.
4 G.
Greshake, a.a.O., 69.