Samstag, 1. April 2017

"Soviel Licht gibt es nicht auf der Welt" – Peter Høeg und Lazarus

In seinem Roman "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels" erkundet Peter Høeg die Auswirkungen der brutalen Erziehungswelt in einer dänischen Internatsschule auf das Leben der Heranwachsenden.
Das gesellschaftlich-pädagogische Ideal der Integration von leistungsschwachen, sozial auffälligen und straffällig gewordenen Schülern in eine Schule "für alle" wird konterkariert von der abgrundtiefen Isolation, in die die auf Angst gegründete übergriffige Pädagogik diese Kinder treibt. Das Buch bedient sich dabei regelmäßig der Bilder von Licht und Dunkel, Innen und Außen – und der Grenze, auf der sich der Ich-Erzähler Peter dabei sieht.

Schutt im Schatten.
Prora, Rügen, 2016.
Auf dem Höhepunkt der Konfrontation Peters und seiner Freunde, des jüngeren, psychisch labilen August, und der älteren, überlegten Katarina mit dem Schulleiter Biehl, kommt es zu folgendem Wortwechsel:

"Wir wollten helfen", sagte er [Biehl]. "Nicht nur den Kindern des Lichts. Auch euch andere wollten wir führen. Aus dem Totenhaus ins Land der Lebenden. Wir wollten alle in der dänischen Privatschule versammeln. Auch die, die Schlimmes erleiden und ein Recht auf Licht haben."
Augusts Körper zitterte [...].
"Was ist mit der Dunkelheit in den Menschen?" sagte Katarina.
"Das Licht wird sie zerstreuen", sagte Biehl.
August neigte sein Gesicht hinunter zu Biehls Ohr. Sie sahen aus wie zwei Menschen, die vertraulich miteinander reden.
"Soviel Licht gibt es nicht auf der Welt", flüsterte er.1

Die messianische Spur des Pädagogen, der sich berufen sieht, die Welt ins Licht zu führen, ist eine Hybris, die sich durch ihre unmenschliche Härte entlarvt hat. Im Rückblick fasst Peter zusammen: "Sie wollten nichts wissen von dem Gedanken, daß einige Schüler unten im Dunkel waren. Sie wollten überhaupt vom Dunkel nichts wissen, alles im Universum sollte hell und licht sein. Mit dem Messer des Lichts wollten sie das Dunkel sauberschaben."2

Das Dunkle darf nicht versinken, das Tote nicht ruhen, die Welt muss erlöst werden.

Unter diesem Druck scheint auch Jesus zu stehen, wenn die Protagonisten des Johannesevangeliums immerfort Ansprüche bei ihm anmelden, ihn bitten und betteln, seine souveräne Messianität einfordern, ihn missverstehen und dabei alles wollen.
Die Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-45) ist eines jener offenbarenden Zeichen, die Jesus nach dem Johannesevangelium tut, damit sein Sohnsein offenbar wird.

Was bei jedem anderen Menschen, und auch bei jenen, die in Jesu Nachfolge gehen oder zu gehen vermeinen (auch der Biehl des Romans hielt viele Predigten), nur maßlose Selbstüberschätzung ist und in der Religionsgeschichte oft genug in Bevormundung und Gewalt endete, das ist für Jesus selbst ureigener Auftrag – den Tod zu überwinden, das Licht, das Leben und die Auferstehung selbst zu sein: "Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben." (v25f)

Und tatsächlich: die Welt hat nicht genug Licht, um alles Böse, alles Dunkel und Leiden im Menschen und zwischen ihnen aufzuhellen. Auch die Kirchen werden die Welt nicht ins Paradies verwandeln. Selbst wohlmeinendste Pädagogen oder Sozialarbeiter oder Priester können die Menschen nicht erlösen. Und auch Lazarus wird wieder sterben.

Aber er verweist auf einen Vorglanz des Lichtes, er kommt aus dem Dunkel des Grabes wieder hervor. Selbst wenn sein irdisches Leben erneut enden wird, kann er sich dem Licht zuwenden, das nicht aus dieser Welt ist.
Denn Jesus schabt nicht mit Gewalt das Dunkel fort. Jesus befreit aus dem Todesdunkel.

Der Käfig ist leer. Bad Camberg, 2016.


1   P. Høeg, Der Plan von der Abschaffung des Dunkels. Reinbek bei Hamburg 1998, 236f.


2   Ebd., 262.