Irgendwann blieb seine religiöse
Erziehung stecken – als Kind und etwas darüber hinaus war Thomas
zwar begeistert mit dabei, aber dann fehlte ihm eine entscheidende
Erfahrung, die einige andere gemacht hatten.
Er wusste selber nicht, was das sein könnte. Er spürte eben keine besondere Nähe mehr zu Gott oder zu
Jesus.
Verabschiedete sich innerlich. Und war draußen.
Das war plötzlich alles nichts mehr
für ihn, er glaubte nicht, dass es noch irgendetwas bringen würde,
mit den Anderen rumzuhängen, wenn sie jetzt vielleicht noch in
irgendeine blöde Schwärmerei fielen.
Ist er da oder weg oder was? Friedhofskapelle Alter St.-Michaels-Friedhof, Neukölln, Berlin, 2017. |
Wie vielen kirchlich sozialisierten
Jugendlichen geht das nicht so?
Als Kind in eine Gemeindegruppe
integriert, schöne Geschichten von Jesus, nette Leute, vielleicht
noch Ferienfahrten oder ein Einsatz als Ministrant – aber dann
verliert das Ganze an Charme. Eigentlich unvermeidlich – die
eigentlich spannende Frage ist, warum überhaupt noch jemand
mitmacht.
Normalerweise sind die Thomasse in
unseren Breiten in der Mehrzahl und der Normalfall – es sind
Thomassen.
Was könnte Gemeinde, was könnten
Christen jungen Menschen einer solchen Situation überhaupt bieten?
Noch mehr Freizeiten? Noch mehr mitlaufen? Noch mehr nette
Geschichten?
Das Kindsein fällt ab, genauso wie der
Kinderglaube. Und an seine Stelle tritt: nichts.
Vielleicht kommt irgendwann ein wenig
Nostalgie, wie es damals war. Aber nichts Substanzielles, nichts
Neues.
Die übrigen Jünger haben laut dem
Johannesevangelium (Joh 20,19-31) eine Erfahrung mit dem
Auferstandenen gemacht, durch die sie neu Blut geleckt haben. Sie
haben seinen Frieden gespürt. Sie haben das neue Leben geahnt. Sie
fühlen, dass sie wieder ein Ziel, eine neue Sendung haben.
Thomas dagegen war nicht dabei und
spürt all das nicht.
Aber er vermisst etwas. Dieser Thomas
aus dem Evangelium will noch mehr.
Und vielleicht unterscheidet ihn dieser
Wunsch nach dem Mehr von vielen Jugendlichen.
Oder es unterscheidet ihn wenigstens,
wo er eine Antwort sucht – nämlich immer noch am alten Platz.
Oder es unterscheidet ihn, was er dort
vorfindet, wo er sucht.
Denn zwei Dinge sind hier
bemerkenswert:
Zum Einen hat der Apostel Thomas nicht
nur eine religiös intensiv geprägte Vergangenheit, sondern vor
allem eine Menge an Vorbildern und Freunden, die aus tiefstem Herzen
in einer neuen Beziehung zu Jesus und seinem Gott stehen. Das ist
heute nicht vielen Jugendlichen auf der Suche vergönnt; religiös
inspirierende Vorbilder im persönlichen Nahumfeld sind eher die
Ausnahme. Was Gemeinde und Kirche bieten müsste, wären also in
erster Linie religiöse Menschen, die zum Zweifeln, zum Fragen und
zum Widerspruch anregen.
Für Thomas waren diese Leute, die
Jünger Jesu, sein Glück, hier konnte er andocken und bekam Input
für den weiteren Weg, so dass er selbst eine religiöse Erfahrung
machen konnte.
Und zum Anderen fragt er weiter und
bleibt dran. Eine typisch religiöse Haltung übrigens, dieses
Weiterfragen und Sich-nicht-Zufriedengeben. Viel verbreiteter sind
bei uns jene Menschen, die der tschechische Theologe Tomáš Halík
"Apatheisten" nennt: "An Gott denken sie
nicht einmal in der Weise, dass sie seine Existenz leugnen würden.
Die Apatheisten sind der Religion gegenüber apathisch, gleichgültig
– und zwar nicht nur gegenüber den religiösen Antworten, sondern
auch gegenüber den Fragen, die der Glaube stellt."1
Ist er das oder ist er das nicht? St. Christophorus, Neukölln, Berlin, 2017. |
Thomas aber fragt. Er zweifelt und ist
gewillt, mehr herauszufinden.
Ein Blick in den Text sagt uns nun
weiter, was Thomas denn sucht – und dazu außerdem, wen er findet
und wen er nicht findet:
"Wenn ich nicht die Male der
Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die
Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich
nicht." (v25)
Die klassische Auslegung dieser Haltung
ist: Thomas will prüfen und testen, anfassen und sich mit seinen
Sinnen überzeugen. Ein Zweifler, der nach Beweisen lechzt: 'Kann
dieses Auferstehungsgerede denn wahr sein, wo der Verstand doch
völlig anderes sagt?'
Ähnlich fragemutig wurde der Apostel
Thomas vom Evangelisten Johannes schon vorher gezeichnet, wenn er auf
Jesu Aussage, dass die Jünger den Weg zum Vater schon kennen würden
antwortet: "Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie
sollen wir dann den Weg kennen?" (Joh 14,5) Er ist
anscheinend ein fordernder Typ, der klare Aussagen erwartet.
Jesus geht zwar auf diesen Thomas zu,
doch er weist die Anspruchshaltung zurück: "Weil du mich
gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch
glauben." (v29) Vielmehr soll ihm das Glaubenszeugnis
der Anderen ausreichen.
Auch wir werden keinen beweisbaren Gott
erfahren können.
Denn einen solchen findet auch Thomas nicht –
die Auferstehung ist nicht beweisbar im naturwissenschaftlichen Sinne
(wie Joachim
Valentin vor kurzem noch einmal pointiert klarstellte), sondern
kann als religiöse Erfahrung eine existenzielle Kraft entfalten.
Denn wen findet Thomas nun?
Er hat Glück – nicht seine
Forderung, wohl aber seine Fragestellung führt ihn zum
Auferstandenen: zu einem verwundeten Gott. Ein Gott
mit Blessuren.
Thomas will Jesu Wunden prüfen – und
Jesus zeigt ihm eben diese seine Wunden.
Er findet keinen abgehobenen Gott;
keinen, der sich fernhielte vom Leid der Menschen. Kein ewiges
Prinzip oder reine Weisheitslehre. Sondern einen durch die
menschliche Geschichte Verwundeten.
Einen Gott, der sich als Liebender
einbringt in die menschlichen Belange und als solcher so nah dran ist
am Leben, dass ihn das Leben versehrt.
Vielleicht ist diese religiöse
Erfahrung des Thomas auch für heutige Gottsucher, Jugendliche wie
Erwachsene, ein gangbarer Weg. Denen, die sich schon fragend
aufgemacht haben und suchen, wo Gott sie ansprechen könnte, denen
zeigt Er sich als Verletzter. Nicht als Beweisbarer, sondern
verletzt.
Verletzlichkeit als Eigenschaft Gottes,
das klingt ungewohnt. Vielleicht ist es gar nicht das, was Menschen
von Gott wollen. Aber so präsentiert er sich in Jesus Christus:
Verwundet und in der Auferstehung verwandelt.
Auferstanden. Frisches Grün bei Naurod, 2017. |
1 A.
Grün, T. Halík, Gott los werden? Wenn Glaube und Unglaube sich
umarmen. Münsterschwarzach 2016, 57.