1.
Sie kennen das Gefühl
wahrscheinlich und haben sicher auch schon das ein oder andere Mal zu
hören bekommen, dass jemand sagt: Du bist eine Enttäuschung für
mich.
Jemand hatte Erwartungen
an Sie gestellt und sich etwas Schönes von Ihnen erhofft – und Sie
haben versagt.
Ich gebe Ihnen ein
Beispiel aus meinem Berufsalltag:
So viele Leute fragen nach
mir, möchten ein Gespräch führen, haben ein Anliegen oder eine
Bitte.
Und wenn ich dann nur
einen Arbeitstag lang da bin, muss ich viele der Fragenden und
Bittenden auf später vertrösten – oftmals schon wissend, dass es
in der nächsten Woche genauso eng werden könnte.
Kurz: Ich werde den
Erwartungen einfach nicht gerecht, die man an mich als Seelsorger
stellt.
Ausblick? Enttäuschung! Weimar, 2015. |
Wenn wir uns nun die Situation der Apostel Jakobus und Johannes im Evangelium
des Sonntags (Mk 10,35-45) vor Augen führen, dann scheint es sich um eine
Enttäuschung-Steilvorlage zu handeln: Sie wollen die besten Plätze
neben Jesus. Ausgerechnet neben ihm, der sich nicht nach vorn
drängelte und selbst keine besonderen Ehrungen für sich in Anspruch
nahm. Von ihm verlangen sie nun eine bevorzugte Behandlung.
Hätten sie nur gefragt,
ob sie auf ihren Wanderungen neben ihm gehen dürfen, wahrscheinlich
wäre es keine so grundsätzliche Frage geworden. Aber in seinem
Reich als die beiden Zweitwichtigsten neben ihm sitzen zu wollen, das
ist schon etwas heftig. Sie scheinen zu hoffen, dass Jesu Herrschaft
als Messias nicht ohne wichtige Ministerposten auskommt und dass sie
würdig wären, diese zu besetzen.
Wenn man hart formuliert,
könnte man sagen, dass sie während der ganzen Zeit mit Jesus in
keinster Weise verstanden haben, worum es Jesus geht: sie wären also
totale Versager und enttäuschen auf ganzer Linie.
Wahrscheinlich sind
Ehrgeiz und Stolz mit ihnen einfach durchgegangen, so wie uns das ja
auch oft genug passiert. Wer möchte nicht gern mal im Schatten eines
Mächtigen sitzen und so möglichst etwas von seiner Wichtigkeit
abbekommen?
Konkret: Auch ich würde
mich natürlich freuen, wenn die, die was zu sagen haben, ihre
Termine mit mir einhalten und mich so in meinem Status bestätigen
oder wenn ein Bischof in diese Haftanstalt käme und dadurch die
Wichtigkeit meiner Arbeit zeigen würde.
Bin auch ich also ein
Versager als Christ, wenn mir derartige Gedanken kommen?
Wahrscheinlich jedenfalls
bin ich nicht besser als die Jünger und wahrscheinlich geht es fast
alle Christen intuitiv ebenso: In der Nähe zur Macht zu sein,
verheißt Sicherheit. Man muss schließlich vorsorgen und seine
Schäfchen ins Trockene bringen. Sich möglichst unauffällig an
anderen vorbei nach vorn schieben, wenn sich die Chance bietet, ist da eine
sehr naheliegende Versuchung.
Aber wie verträgt sich
diese Einstellung mit dem Kern des Christseins?
2
Entscheidend ist im
konkreten Fall außerdem, wie der Enttäuschte mit denjenigen umgeht,
die ihn enttäuscht haben.
Manche Eltern brechen den
Kontakt ab, wenn der Sohn zum soundsovielten Mal im Gefängnis
landet, weil sie es einfach nicht mehr aushalten. Manche Freundschaft
zerbricht an der x-ten Lüge.
Auch von der Kirche sind
derzeit viele Menschen enttäuscht und manche wenden sich für immer
von ihr ab.
Dahinter immer die gleiche
Frage: Haben die es denn immer noch nicht gelernt?
Jesus dagegen regt sich nicht auf, sondern wiegelt zweimal ab: zuerst fragt er, ob sie das auch aushalten würden, was mit einem Platz an seiner Seite zusammenhängt, dann weist er die Verantwortung weiter und
betont, dass die Plätze von anderer Seite belegt werden (38-40).
Als er aber mitkriegt, wie
es unter den restlichen Jüngern rumort, holt er noch einmal weiter
aus und stellt die Strukturen der Welt denen der Jüngergemeinschaft
gegenüber:
"Ihr wisst, dass
die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die
Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen.
Bei euch aber soll es
nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer
Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave
aller sein." (vv42-44)
Historisch gesehen dürfte
das ein Text sein, der erst nach dem Tod Jesu in den ersten Gemeinden
ausformuliert und Jesus in den Mund gelegt wurde.
Aber die Haltung in diesen
Sätzen ist die Haltung Jesu:
Viele Leute? Fehlanzeige. Grünheide, 2016. |
Die Christen und damit die
Kirche(n) sollen eine Art Kontrapunkt zur Welt bilden und stattdessen
Orte sein, wo es nicht um Macht, Einfluss, Anerkennung, Größe und
Ehre geht.
Wer sich heute in der
Kirche umschaut und das Gebaren mancher Kirchenoberen beobachtet, der
weiß, dass dieser biblische Aufruf immer noch nötig ist und immer
noch weitgehend ungehört verhallt.
Aber Jesus wählt damals
und heute nicht den Beziehungsabbruch, der ja auch eine mögliche
Konsequenz solchen Fragens uns Handelns seiner Jünger sein könnte,
sondern er beweist Großmut.
Anstatt die Jünger
fortzuschicken und sich wegen ihrer Unbelehrbarkeit von ihnen zu
trennen, zeigt er ihnen (und uns) einen Weg.
Im Wesentlichen besteht
dieser Weg darin, nicht vom eigenen Ego beherrscht zu werden, sondern
es im Zaum zu halten.
Wahre Herrschaft im
christlichen Sinne besteht darin, anderen zu dienen.
3
Und dafür ist Jesus
selbst das beste Beispiel.
Der letzte Satz des
Evangeliums lautet dementsprechend: "der Menschensohn ist
nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und
sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele." (v45)
Hier liegt nun der Grund für die Enttäuschung vieler Menschen:
Eine solche Aussage ist
ein Dämpfer für alle, die glauben, gegen den Islam müsse nun ein
Christentum in Stellung gebracht werden, das mit klarer Kante zeigt,
wo es eigentlich lang geht.
Dieser Satz ist
enttäuschend für jene, die sich einen Chef mit harter Hand
gewünscht hatten, oder einen, der viele Sonderposten und exklusive
Aufgaben verteilen wird.
Sein Auftrag jedoch ist: Kümmert
euch um einander, helft, richtet auf, tröstet – kurz: dient.
Und er geht mit gutem
Beispiel voran. Das feiern wir als Christen, wenn wir uns am Sonntag
versammeln. Wir feiern die Erinnerung an die Lebenshingabe Jesu, die
von der Auferweckung durch Gott gekrönt wird. Jesu Liebe hat ihn
dahin gebracht, nicht fortzulaufen oder der Gewalt seiner
Glaubensbrüder und der Römer mit Gegengewalt zu antworten, sondern
auszuharren.
Aber seine Liebe bestand
nicht nur in Leiden und Passivität, sondern sie war der eigentliche Impuls Gottes, sich überhaupt auf den Weg zu den Menschen
zu machen.
Das bedeutet: Wenn Gott
kommt, dann nicht als prächtiger Held, sondern eben als Diener.
Auch hier enttäuscht
Jesus im besten Sinne die Erwartungen der Menschen.
Denn die Liebe schwingt
sich eben nicht zum Herrscher auf, sondern lässt andere groß sein.
Genau das feiern wir auch jeden Sonntag: Gott beschenkt uns mit
seinem Leben, er will seine Liebe auf uns überströmen lassen und
uns reich machen, damit wir unsererseits Liebe weiterschenken können.
Gerade letzteres geht nicht ohne
Selbstüberwindung. Denn der Wunsch nach Nähe zur Macht sitzt tief
in uns. Aber wenn wir uns geliebt fühlen, können auch wir leichter
lieben, dann wird das Gefühl der Unsicherheit, das uns in die Nähe
der (scheinbar) Mächtigen treibt, schwinden und die Versuchung der Macht kleiner werden.
Ein Mächtiger im Sinne
der Welt hätte die beiden unverschämten Jünger vielleicht
weggeschickt. Jesus dagegen, der sie liebte und genau wegen Menschen
wie ihnen gekommen war, zeigt ihnen, was möglich ist, wenn auch sie
die Täuschung der Macht hinter sich lassen und dergestalt
„ent-täuscht" anderen Menschen dienen können.
Tolle Fassade? Noch nicht mal das! Humboldtforum, Berlin-Mitte, 2018. |