Seine Begegnung mit Jesus
(Mk 10,45-52) ist eine der bekanntesten Heilungsgeschichten des Neuen
Testaments geworden:
Am Rande der Straße nach
Jericho sitzend hört der blinde Bettler Bartimäus, dass Jesus
vorbeikommt und ruft nach ihm: "Sohn Davids, Jesus, hab
Erbarmen mit mir!" (v47) Entgegen dem Widerstand seiner
Begleiter lässt Jesus ihn zu sich kommen und fragt ihn, was er will.
Die gläubige Antwort "Ich möchte sehen können"
(v51) führt zu seiner Heilung.
Anschließend heißt es:
"und er folgte Jesus auf seinem Weg nach." (v52)
Doch dann verschwindet
Bartimäus aus der Bibel. Zwar heißt es in den anschließenden
Kapiteln bei Markus regelmäßig, dass Jesus mit den Jüngern und
nicht nur mit "den Zwölf", also den namentlich bekannten
Aposteln, unterwegs ist, aber Namen aus dieser größeren Gruppe
tauchen nicht mehr auf.
Verlassenes Lager. Hansaplatz, Berlin, 2018. |
Vielleicht ist Bartimäus also mit Jesus bis
nach Jerusalem gezogen, hat die Gleichnisse auf dem Weg gehört und
die Konflikte mit den religiösen Autoritäten erlebt und war um ihn,
als Jesus schließlich im Hause Simons des Aussätzigen von einer
unbekannten Frau gesalbt wird (Mk 14,3ff).
Aber als Jesus sein
Letztes Mahl einnimmt, ist nur noch die Rede von den Zwölf, also dem
engsten Kreis, zu dem Bartimäus eben nicht gehört.
Andere Jünger tauchen
erst wieder auf, als Jesus einige Tage später gekreuzigt wird. Dort
ist jedenfalls die Rede von vielen Frauen, "die mit ihm nach
Jerusalem hinaufgezogen waren." (15,41).
Das lässt darauf
schließen, dass tatsächlich eine größere Gruppe von
JesusanhängerInnen unterwegs gewesen ist, manche nur zeitweise,
andere länger.
Nach Jesu Tod wird
außerdem ein Ratsherr namens Josef von Arimathäa erwähnt, der in
Jerusalem ansässig ist und zugleich einer derer, die Jesu
Reich-Gottes-Verkündigung glaubten (vgl. 15,43). Er lässt Jesus vom Kreuz nehmen und gehört augenscheinlich zur Gruppe der Sympathisanten, die weder dem engeren
Jüngerkreis zuzurechnen sind, noch überhaupt mit Jesus herumzogen,
sondern Jesus und seine Jünger (so wie auch der erwähnte Simon) auf
andere Weise unterstützten.
Bartimäus seinerseits
scheint der größeren Gruppe derer anzugehören, die mit Jesus gehen
ohne konkret überlieferten Ruf in die Nachfolge. Es ist sein eigener
Entschluss, der wohl aus seinem starken Glauben erwächst. Der
brachte ihn ja auch dazu, Jesus als messianischen Königssohn zu
bezeichnen und ihm die Heilung zuzutrauen. So brachte sein Glaube ihn
wohl auch dazu, seine Heimat Jericho zu verlassen und sich dankbar an Jesus
zu binden.
Damit trat Bartimäus "in
die Dienst- und Schicksalsgemeinschaft mit ihm im Zeichen der
Gottesherrschaft"1
ein. Konkret: er nahm etwas auf sich, um bei Jesus zu sein – der
Evangelist Markus sieht den weiteren Weg Jesu denn auch vor allem als
Weg in Richtung Kreuzigung. Für seine Jünger war damit ebenfalls
die Gefahr von Verfolgung oder Ausschluss aus anderen Zusammenhängen
verbunden.
Doch Bartimäus, so stelle
ich ihn mir als "Sehenden" vor, hatte das irgendwie auf dem
Schirm. Und er entschied sich trotz dieser widrigen Aussichten dafür.
Immerhin verdankte er Jesus sein neues Leben als Sehender.
Möglicherweise hat er
sein neues Sehvermögen auch für die anderen Jünger nutzbar
gemacht.
Als einer, der achtsam auf
die Belange der Gemeinschaft schaut.
Oder der auf die kleinen
staunenswerten Momente des Alltags hinweist.
Der die Schönheit der
Schöpfung wahrnimmt.
Der aus eigener Erfahrung auch die Armen im Blick behält.
Der eher das Licht am Ende
eines Tunnels im Blick behält, als in den Schrecken vor der
Dunkelheit einzustimmen.
Der auf neue Möglichkeiten
aufmerksam macht.
Der mit seinen "Augen
des Glaubens" (Pierre Rousselot) Hoffnung und Zuversicht
verbreitet.
Solche Sehenden braucht
jede Gemeinschaft, gerade wenn die Zukunft nicht rosig aussieht.
Kleine Freuden wahrnehmen. Tiergarten, Berlin, 2018. |
1 J.
Roloff, Kirche im Spannungsfeld gestaltender Kräfte. Die Vielfalt
von Bildern der Kirche im Urchristentum. In: Gemeindestrukturen im
Neuen Testament (Bibel und Kirche 4/2001), 203-211, 204.