Mittwoch, 31. Oktober 2018

Reformation: Energieverlust oder -gewinn?

Nato-Manöver, Atomwaffenbau oder INF-Verträge – wenn man die gewaltigen Anstrengungen und riesigen Kosten sieht, mit denen die Nationen versuchen, einander mit Waffengewalt beizukommen und zu übertrumpfen, dann schaudert es mich. Noch dazu im gleichen Moment die Klimaveränderungen solch gewaltige Ausmaße annehmen, dass es nun wahrlich bessere Möglichkeiten gäbe, die menschlichen Fähigkeiten und Energien zu nutzen.

Ähnlich steht es mit der Reformation, deren Gedenken heute begangen wird.
So, wie die evangelische und die katholische Kirche (mindestens im deutschen Sprachraum) in sozialethischen, umweltehischen und in vielen theologischen Fragen miteinander können, fragt man sich, ob die ganze Kirchenspaltung und (theologische) Kriegführung es überhaupt wert war.

Schlosskirche zu Wittenberg.
Wittenberg, 2017.
Manchmal hilft wohl nur die große Krise, um das Gegeneinander zu überwinden und die Energien in einem fruchtbaren Miteinander zu kanalisieren.
In diversen Katastrophenfilmen ist es beispielsweise die nahende Großkatastrophe, die zum Auslöser für die globale Zusammenarbeit wird (in den entsprechenden Filmen natürlich immer unter der Führung der USA).

"World War Z" mit Brad Pitt zeigt beispielsweise eine Szene, in der der Protagonist Gerry nach Israel reist, um etwas über den Ursprung des Virus herauszufinden, der sich schon auf der ganzen Welt verbreitet und viele Menschen in zombieähnliche Kreaturen verwandelt hat. Die israelischen Behörden lassen vor den Befallenen aus Palästina fliehende Menschen nach Jerusalem herein. Dann beginnen gerettete Palästinenser und Israelis miteinander zu singen.
Was für ein utopisches, was für ein fröhliches Miteinander entsteht da angesichts der (natürlich nur kurz) gebannten Gefahr!

Leider schaffen es die Staaten der Welt heute immer noch nicht, ihre Kräfte zum Wohle aller einzusetzen – und manche große Krise führt auch zunächst zur Spaltung, wie wir es aktuell mit dem Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen vorgeführt bekommen.
Doch vielleicht führt diese Spaltung ja dazu, dass hilfreiche technische Lösungen eher in diesem Gegeneinander entstehen als im bloßen Nebeneinanderher. Nicht zu vergessen, dass Internet und Raumfahrt zunächst militärisch motivierte Projekte gewesen sind.

Aber wie steht es nun mit den Kirchen?
Zur Zeit scheint jede Glaubensgemeinschaft trotz vieler Gemeinsamkeiten vorrangig ihr eigenes Süppchen zu kochen, auch wenn Säkularisierung und Entchristlichung weiter voranschreiten.

Würde stärkere Differenz, wie sie ja auch von den Noch-Volksparteien auf der politischen Bühne gefordert wird, mehr Energie, Aufmerksamkeit und Zuspruch generieren? Setzt der Streit rivalisierender Gruppen so viel Kreativität frei, dass DIE große Krise der Glaubenslosigkeit angegangen werden kann?

Ich glaube, konstruktiver Wettstreit ist eine gute Sache – aber die heutige Krise der Religion geht tiefer, und so muss auch unterhalb des Konkurrenzdenkens eine Lösung gesucht werden – und das möglichst gemeinsam.
Der Reformationstag und unsere heutige Situation als Christen in Europa erinnern einerseits daran, welche gewaltigen Kräfte und Ideen freigesetzt werden können, wenn eine Situation als unhaltbar angesehen wird, andererseits stellt sich immer drängender die Frage, was denn erst noch passieren muss, um voneinander lernend Gott in dieser Welt zu verkünden.

Bewachsener Beton.
St. Ignatius, Frankfurt a.M., 2018.