Samstag, 7. November 2020

Ihr seid wichtig – seid auch bereit! Predigt zum Gleichnis von den zehn Jungfrauen

"Sie haben Ihre VPK1 leider doch erst übernächste Woche!"

"Bitte haben Sie noch etwas Geduld, ich brauche nur noch eine Unterschrift!"

"Der Teilanstaltsleiter möchte da noch einmal draufschauen, ich kann Ihnen erst in ein paar Tagen Bescheid geben."

"Der Psychologische Dienst ist gerade nicht besetzt, da müssen Sie leider noch warten."

"Leider bin ich bei dem Termin im Urlaub, mit dem Gespräch wird es erst im nächsten Monat was."

 

Sie kennen diese und viele andere Aussagen, die alle darauf hinauslaufen, dass Sie sehr geduldig sein müssen, bis in Ihrem Haftverlauf irgendetwas passiert.

Sie kennen damit auch das Gefühl beständiger Unsicherheit, ob nun demnächst eine entscheidende Änderung eintritt oder nicht.

Fest verbunden.
Fürst-Pückler-Park Bad Muskau, 2020.
Vielleicht können Sie darum gerade nicht gut schlafen und liegen unruhig abends in Ihrer Zelle – ganz im Gegensatz zu den Jungfrauen im Evangelium (Mt 25,1-13), von denen wir eben gehört haben. Ihre Aufgabe war das Warten auf den Bräutigam – und das gelingt ihnen unterschiedlich gut.

Ich möchte mit Ihnen in drei Schritten auf diesen Text schauen – zunächst schauen wir, was das Warten der Jungfrauen in den Traditionen der damaligen Zeit für einen Sinn hatte und dann schlage ich Ihnen zwei Deutungen vor, die uns angehen können.


1. Hintergrund

Was steht im Hintergrund des Wartens der Jungfrauen?

Mit der Hochzeit ging eine Frau nach den Gepflogenheiten des alten Israel aus einer Familie in eine andere Familie über. Der Bräutigam holte die Braut aus ihrem Vaterhaus ab und führte sie zu sich, in ihren neuen Hausstand, wo dann die eigentliche Hochzeit stattfand.

Ähnliche Traditionen mit langen Prozessionen und Märschen durch das Dorf kennen einige von Ihnen vielleicht aus der eigenen Heimat.

Die Aufgabe der Jungfrauen war es nun, die Ankunft des Bräutigams am Haus der Braut mit ihren Lichtern gebührend zu umrahmen, und dann das Paar feierlich zum Haus des Bräutigams zu begleiten.

Eine Verspätung des Bräutigams gehörte dazu, da der Bräutigam immer wieder aufgehalten wurde, damit er mehr Geschenke herausrückte. Je mehr Geschenke, desto mehr erhöhte sich der "Wert" der Braut. Die Brautjungfern mussten also oftmals warten, das gehörte einfach zum Procedere der Hochzeit dazu.2

Allerdings gibt es einige Dinge, die den Text etwas sonderbar erscheinen lassen:

Komisch ist beispielsweise, dass der festliche Zug von Braut und Bräutigam in unserem Text überhaupt nicht erwähnt wird. Dabei geht es ja beim Warten ja genau darum. Vielleicht wurde das einfach ausgespart, weil die "ursprünglichen Hörer/innen mit damaligen Hochzeitsbräuchen vertraut waren",3 so dass sich der Evangelist auf das konzentrieren konnte, was ihm wichtig war. Der festliche Zug spielte einfach keine Rolle für sein Anliegen. Ihm ist dagegen wichtiger, das Vergessen der törichten Jungfrauen und den sich anschließenden Konflikt zu beschreiben, bevor es zur Feier geht.

Und hier gibt es eine zweite Ungereimtheit: "Eine verschlossene Tür paßt nicht zu einer Hochzeit in einem jüdischen Dorf, wo die ganze Dorfgemeinschaft mitfeiert".4 Wenn hier nun einige von der Feier ausgeschlossen werden, liegt eine Verfremdung vor, die einen anderen Akzent setzen soll.

Es zeigt sich: Jesus (oder der Evangelist) hatte klare Vorstellungen, was er sagen wollte. Er knüpfte nur lose an die Hochzeitsbräuche seiner Zeit an und wollte die HörerInnen durch die Geschichte auffordern, wachsam zu sein. Oder, mit anderen Worten:

Wer an der Heilszeit des Messias teilnehmen will, muss gut vorbereitet sein.5

Zwei Botschaften für uns liegen darin:


2. Ihr seid wichtig!

Die ersten HörerInnen wussten: Die Jungfrauen mit ihren Fackeln "waren von großer Bedeutung für das Fest. Kämen alle mit ausgebrannten Fackeln an, wäre das eine tiefe Schande für die Braut".6 Mit anderen Worten, die HörerInnen fühlten sich angesprochen:

Wichtig und bereit.
Neue Brücke in Neukölln, Berlin, 2020.
Wenn ihr nicht dabei seid, klappt es nicht. Ohne euch gibt es kein richtiges Fest.

Und das gilt auch für uns, für Sie alle:

Es wäre schade, wenn ihr nicht dabei wärt! Seid dabei!

So wie es für Ihre Familie traurig ist, dass Sie jetzt nicht bei Ihnen sein können, so ist es auch für Gott traurig, wenn Sie, wenn wir alle, nicht bereit sind, bei ihm zu sein. Gott wünscht sich die große geschwisterliche Gemeinschaft aller Menschen! Er will keine Gewalt im Namen der Religion, egal welcher. Er will vielmehr, dass alle gemeinsam feiern.

Dazu ruft er alle: Kommt und feiert miteinander. Ihr seid mir wichtig!

Und natürlich haben wir auch eine Aufgabe.

Und zwar sollen wir, um das Bild des Gleichnisses aufzunehmen, Licht bringen und anderen leuchten.

Wir sollen diese Einladung Gottes weitertragen!

Wenn Sie nach dem Gottesdienst zum Beispiel wieder in Ihre Hafthäuser gehen würden und völlig niedergeschlagen wären, würde man sich natürlich fragen, was das für eine komische Veranstaltung war, bei der Sie da gewesen sind.

Wenn Sie aber fröhlich wiederkommen, tragen Sie vielleicht etwas von Ihrem Vertrauen auf Gott, von Ihrer Offenheit für Andere, von Ihrer Hoffnung auf eine gute Zukunft weiter zu Ihren Mitinhaftierten.

Ich hoffe, Sie können Kraft aus Gottes Nähe schöpfen und weiterschenken, sei es im Gottesdienst, sei es im persönlichen Gebet, sei es anderswo.

Und damit sind wir bei der zweiten Botschaft für uns:


3. Seid aufmerksam!

Denn eine zweite Botschaft dieses Evangeliums lautet: Seid wachsam! Gott will zu euch kommen.

Bereitet euch gut darauf vor!

Doch was heißt das genau?

Natürlich, so glauben wir als Christen, werden wir Gott irgendwann begegnen, wenn wir gestorben sind – auf diese alles entscheidende Begegnung bereiten wir uns unser Leben lang vor.

Aber nicht nur die endgültige Begegnung mit Gott gibt es – Gott ist auch jetzt und hier bei uns. Auch dafür müssen wir vorbereitet sein.

In unseren Alltag, in unser Leben will er kommen, hier in Haft ebenso wie draußen in Freiheit.

Es geht nicht nur um das Ende! Sondern es geht darum, dass wir Gott eine Chance geben, in unserem Leben eine Rolle zu spielen.

Manchmal kommt es uns so vor, als würde er nie in unserer Nähe sein, als wäre auch dieser ganze Knast weit weg von Gott.

Aber in jeder ruhigen Stunde während des Einschluss,

in jeder Begegnung auf dem Flur,

in jedem gemeinsamen Essen,

in jedem tiefen Gespräch,

in jeder schmerzlich empfundenen Sehnsucht nach Freiheit

in all dem will er zu uns kommen.

Er kommt und lädt uns ein, ihm zu folgen.

Wir müssen aufpassen, dass wir sein Kommen nicht verpassen, weil der Fernseher wichtiger ist oder der Lärm des Alltags zu heftig.

Auch hier kann man in das Gleichnis schauen:

Gerade in der Nacht sind die Momente, wo unsere Bereitschaft wichtig ist.

Die Nacht hat eine eigene Dynamik der Gefühle, hier kommen wir tiefer zu uns selbst und zu Gott.

Die Nacht öffnet unser Herz und macht uns bereiter, Gott aufzunehmen.

Ich lade Sie ein, sich gerade in der Nacht, vielleicht vor dem Einschlafen, einen Moment der gesammelten Stille, der Aufmerksamkeit zu nehmen.

Vielleicht sind dann auch die anfangs genannten Geduldsproben und Mühen leichter zu bewältigen, wenn wir wissen, dass Gott den gleichen Ernst und die gleiche Ungeduld vor einer VPK von uns erwartet, wenn es darum geht, bei ihm zu sein und mit ihm zu gehen.

Schließlich wartet er genauso ernsthaft und genauso ungeduldig darauf, dass wir unser Herz für ihn öffnen.

Ich wünsche Ihnen diese Geduld mit Gott und diese Offenheit für ihn.

Seien Sie bereit für ihn!

 

Bereit!
Flughafengebäude Tempelhof, Berlin, 2019.


1   Vollzugsplankonferenz – laut Gesetz die Instanz, bei der eine Gruppe von MitarbeiterInnen des Justizvollzugs darüber entscheidet, welche weiteren Schritte im Verlauf der Haft für den Inhaftierten anstehen, ob er Ausgänge bekommt, ob er eventuell vorzeitig entlassen werden kann, ob er in den Offenen Vollzug verlegt wird, ob er weitere Kurse oder Gespräche besuchen muss, damit irgendetwas davon positiv entschieden werden kann.

2   Vgl. zum Ganzen G. Lohfink, Die vierzig Gleichnisse Jesu. Freiburg i.Br. 2020, 170-172.

3   U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 18-25) I/3. Zürich / Braunschweig, Neukirchen-Vluyn 1997, 469.

4   Ebd., 473.

5   Vgl. ebd.

6   G. Lohfink, a.a.O., 172.

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