Mittwoch, 11. November 2020

Vox populi 2. Wie der heilige Martin zum Bischof wurde

Dies ist das Gegenstück zum letzten Beitrag. War ich dort skeptisch, bin ich hier euphorisch, habe ich dort die kritische Zurückhaltung geprobt, erhoffe ich hier einen Fortschritt.

Denn bei Martin können wir sehen, wie Bischofsernennungen auf katholisch auch funktionieren können. Nicht von oben, aus Rom, käme dann das Machtwort, sondern von unten, aus dem Volk Gottes, würde ein Bischof legitimiert.

Martin, der Soldat, der zum Einsiedler geworden war, wurde nach dem Tod des vorherigen Bischofs von Tours vom Volk gesucht, damit er, der heilige Mann aus der klösterlichen Abgeschiedenheit, der neue Bischof werde. Die Legende erzählt, dass Martin gar nicht wollte und sich sogar im Gänsestall versteckte, bis die Gänse ihn durch ihr Geschnatter verrieten.

Kein weißer Rauch vonnöten!
Massen auf dem Tempelhofer Feld, Berlin, 2018.
Martin kommt hier so besonders und sympathisch herüber – und möglicherweise war er tatsächlich so bescheiden und den anstrengenden Aufgaben eines Bischofs eher nicht zugeneigt, aber in der Form seiner Wahl befindet er sich in guter Gesellschaft.

"In der alten Kirche kam der Gemeinde bei der Bischofswahl die entscheidende Rolle zu",1 schreibt Hubert Wolf in seinem Buch "Krypta".

So hören wir bei einer Reihe von altkirchlichen Bischofsernennungen, dass die Zustimmung oder Wahl der Gemeinde oder auch eine mehr oder minder spontane Ausrufung durch das gläubige Volk durchaus als legitime Formen der Bischofsernennung angesehen wurden. Später kamen auch die Zustimmung des Ortsklerus und der Nachbarbischöfe hinzu, erst viel später spielte der Bischof von Rom eine größere Rolle. Die Entwicklung ging jedoch in Richtung Elitenentscheidung: "Nicht zuletzt durch das drastische Anwachsen der Gemeinden in den größeren Städten auf mehrere Tausend Seelen wurde die Bischofswahl immer mehr zur Angelegenheit des Klerus und einzelner politisch einflussreicher Persönlichkeiten des Laienstandes."2


Zuvor aber wurde die Ernennung durch Volksentscheid als ein Wink Gottes angesehen, der durch das gläubige Volk seinen Willen kundtue. Theologen und Bischöfe der alten Kirche hatten kein Problem damit, wie Ambrosius zu formulieren:

"Zu Recht geht ein solcher Mann aus der Wahl hervor, den die gesamte Gemeinde gewählt hat. Zu recht wird angenommen, dass derjenige durch göttliche Entscheidung gewählt wurde, den alle gefordert hatten."3

In dieselbe Richtung geht auch die Lehre vom sensus fidelium, dem "(Glaubens)Sinn der Gläubigen", die durch das Zweite Vatikanische Konzil wieder stark gemacht wurde. Es wird angenommen, dass der Heilige Geist nicht nur die kirchliche Hierarchie (hoffentlich gut) leitet, sondern auch das gläubige Volk und dass die gemeinsame Willensbekundung "aller" Kirchenglieder eine vom Geist vorgegebene Richtung ist.

Vor diesem Hintergrund und vor allem angesichts von Aussagen wie der des Ambrosius verwundert es nicht, dass Martin sich dem Willen des Volkes beugte, da er in ihm ja den Willen Gottes selbst vermuten musste.

Diese Art des Gehorsams stünde auch der gegenwärtigen Kirche und ihrer Leitung gut zu Gesicht. So sehr das Volk als Masse verführbar ist, so sehr sollte es doch immerhin ein geeignetes Mitspracherecht erhalten, wenn es darum geht, Vorsteher zu bestellen.
Oder allgemeiner: Wenn der Heilige Geist durch den Willen des ganzen Gottesvolkes wirkt, dann ist Demokratie eine gute Sache für die Kirche.

 

 

1   H. Wolf, Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte. München 2015, 34.

2   Ebd., 35.

3   Ambrosius von Mailand, zit. n. ebd., 34.

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