Samstag, 7. Dezember 2013

Bethlehems Mauer - Ort der Menschwerdung


Seit ich Fotos mache, bin ich fasziniert von Mauern. Nicht, weil ich Mauern ein besonders tolles Statement in Sachen menschlichen Miteinanders fände, sondern weil Mauern sehr Verschiedenes aussagen können und auf sehr Verschiedenes hinweisen können. Es gibt kreativ bemalte, ruinöse, durchlässige, niedrig-schwellige, bewegliche, verwundete und viele mehr Mauern.

Weihnachtsmauer mit Turm, Bethlehem, Palästina, 2013.

Auf der Reise in Israel in diesem Jahr war einer der eindrücklichsten Orte Bethlehem. Und zwar nicht wegen der Geburtskirche, der Altstadt oder all den kleinen christlichen Wallfahrtszielen – sondern wegen der Mauer. Von Israel aus Sicherheitsgründen errichtet, steht sie dort seit 2003, an vielen Stellen bis acht Meter hoch, ausgestattet mit Kameras, Türmen, teilweise völkerrechtswidrig weit ins Westjordanland einschneidend.1

Mauer mit Banksy-Graffito,
Bethlehem, Palästina, 2013.

Für mich ist diese Mauer in Bethlehem ein Ort der Menschwerdung. Denn an ihr zeigt sich sehr deutlich, was menschlich ist – der Hass und die Angst genauso wie die Kreativität und das Beharren angesichts widrigster Umstände. Politisch finde ich ein Urteil hier äußerst riskant – laut israelischem Außenministerium ist die Anzahl der israelischen Opfer nach dem Bau eminent zurückgegangen; zugleich schneidet sie wichtige Zugangswege palästinensischer Bauern und Arbeiter ebenso ab wie sie durch Checkpoints devisenbringende Touristen vor der Einreise abschreckt.

Mauer bei Rachels Grab, Bethlehem, Palästina, 2013.
Wir haben den Checkpoint bei Rachels Grab zu Fuß überquert und als EU-Bürger komfortabel passierend die demütigende Situation der palästinensischen Männer und Frauen nur ahnen können, die von schwerbewaffneten jungen  Soldaten durchgewunken werden oder aber ihr Hab und Gut vor ihnen ausbreiten müssen. 
Mit dem Taxi konnten wir anschließend in die Innenstadt zu den üblichen Highlights fahren.

Auf dem Rückweg waren wir zu Fuß und sind an der Mauer entlang gegangen. Der internationale Zorn und die daraus erwachsende unheimliche Kreativität haben mich fast umgeworfen. Nicht nur Banksy war hier, sondern Graffiti in englischer, deutscher, spanischer, polnischer und einer Menge anderer Sprachen waren zu sehen, die mal mehr politisch und mal eher spielerisch Meinungen kundgaben.

Mauer mit neutestamentlichem Graffito,
Bethlehem, Palästina, 2013.
Zumeist war es der Aufschrei der Ungerechtigkeit, dass Menschen hier eingesperrt sind und isoliert, schikaniert und abgetrennt leben müssen. Je mehr ich innerlich dabei verweile, desto mehr empfinde ich, wie ansatzweise auch damals schon, ein Gefühl religiöser Andacht angesichts von Betlehems Mauer. Wenig nur in der Geburtskirche, vielmehr hier kann ich entdecken, warum es auch heute noch nötig ist, auf Gottes Menschwerdung in Jesus zu blicken, der die trennende Mauer der Feindschaft weggenommen hat und die Beiden vereinte (vgl. Eph 2,14). 

Ganz ähnlich sprechen übrigens auch die adventlichen Texte dieses Sonntags (Mt 3,1-12) von der Ebnung des Weges für Frieden und Umkehr. Johannes schreit es den Menschen zu, dass nicht Herkunft oder Selbstgewissheit den Herzensweg zu Gott bilden, sondern die Hinwendung zu Gott und die Ebnung aller möglichen Wege. Als riefe er im Namen Gottes, wie Menschen immer rufen müssen: "Tear down this wall."

Mauer von Israel aus, bei Bethlehem, 2013.

1   Vgl. D. Vieweger, Streit um das Heilige Land. Was jeder vom israelisch-palästinensischen Konflikt wissen sollte. Gütersloh 2010, 237f. Ein übrigens sehr empfehlenswertes Buch für die Hintergründe zum ganzen Konflikt bis in die nahe Gegenwart hinein.