Nein, jetzt wird es nicht
parteipolitisch. Aber angesichts der Möglichkeit, durch die
Stimmabgabe am 22. September einen Einfluss auf die Zusammensetzung
des Parlaments zu nehmen, beschäftigt mich dieser Tage wieder einmal
die Frage nach dem Nebeneinander zweier Organisations- und
Beteiligungssysteme im Leben katholischer deutscher Staatsbürger.
Als Bürger herausgefordert, sich zu
entscheiden zwischen verschiedenen Möglichkeiten, wie das
demokratische Miteinander gestaltet werden soll – als katholischer
Christ weitgehend ungefragt mit pastoralem Personal, Kirchenleitung
und Vorgehen konfrontiert.
Natürlich lässt sich die Schärfe
relativieren, denn auch innerkirchlich gibt es Räte und Gremien, die zur Wahl stehen, um wenigstens teilweise
mitgestalten zu können – und in der Politik wiederum entsteht oft
der Eindruck, dass es immer dieselben Gesichter sind, die da
diskutieren – und dass dabei die kleine Stimme eines Einzelnen wenig
Relevanz hat.
Und doch besteht ein Systemunterschied. Demokratisches Selbstverständnis ist nicht
selbstverständlich für den Binnenraum der Kirche. Angesichts der
gesellschaftlichen Logik, in der sich mündige Christen verorten und
zu Hause fühlen, wird demokratisches Vorgehen aber vielerorts als
selbstverständliches Procedere erwartet. Im kleinen Rahmen von
Jugend- oder Verbandsarbeit und auch auf pfarrlicher Ebene wird oft
praktisch-demokratisch agiert. Aber darüber hinaus sind wir
Katholiken normalerweise nicht gefragt.
Und wer das Gefühl hat, nicht gefragt zu werden oder nicht mitgestalten zu können, hilft sich oft anders. (Wobei das fehlende Gefühl, tatsächlich mitzugestalten, ja wahrscheinlich auch ein Grund für die geringer werdende Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen ist.)
Die Wahrnehmung jedenfalls ist zumeist:
ich habe die Wahl in die Kirche zu gehen oder eben nicht (mehr) zu
gehen. Aber ist das die ganze Wahl, die ich habe? Wie gesagt, manche
helfen sich auf diese Weise: Weggehen aus kirchlichen Strukturen ist
beliebt – der Kirchenaustritt ist spätestens seit Mitte des 20.
Jahrhunderts salonfähig. Auch inneres Exil und Resignation sind
häufig in der Kirche – brav die Kirchensteuern zahlen, sich aber
nicht mehr sehen zu lassen scheint eine einfache und moralisch
vertretbare Lösung zu sein.
Was ließe sich
tun? Natürlich kann nicht über die Gottheit Jesu, den Sinn kirchlicher Ämter oder andere Glaubensfragen nach
Mehrheitsprinzip entschieden werden.
Doch ein demokratischer Prozess, in dem
Personen sich wechselseitig anerkennen als Subjekte mit gleicher
Freiheit,1
einer Freiheit, die sie im Gespräch miteinander verantwortungsvoll
einsetzen können, ein solcher Prozess, in dem in ebendieser
Verantwortung auch Entscheidungen getroffen werden können und nicht
nur Empfehlungen und Handreichungen, wäre eben ein echtes Wagnis.
Er wäre mehr als ein Gesprächsprozess,
in dem es um „eine vertiefte
Klärung und Vergewisserung“ auf „Gesprächs- und
Begegnungsforen“2
geht. Die Charismen des Heiligen Geistes würden zusammen mit der
gleichen Würde aller Gotteskinder aufleuchten. Die Zumutung der
geteilten Verantwortung würde lebendig und die ewigen Meckerer
müssten zusammen mit den bisherigen Entscheidern eine Lösung
finden. Entscheidungen wären zuzuordnen und in dem Sinne
berechenbar, dass Verantwortung zugerechnet werden kann und von
mehreren Seiten getragen werden muss. Die Gläubigen wären mehr als
unmündige Schafe und die Kleriker mehr als überforderte Hirten. Dann wären die vielen Stimmen Teil der Lösung und nicht Teil des Problems
Denn Glaubwürdigkeit und Legitimation
sind mindestens gefährdet, wo Partizipation fehlt.
Doch wenn sich
„participatio actuosa“ nicht nur auf Gottesdienste beschränkt, gläubige Christen nicht nur Zuarbeiter der Amtsträger sind und Verantwortung im Heiligen Geist übernommen werden kann,
dann entsteht Kirche neu.
1 Vgl.
C. Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen. Berlin 2.
Aufl. 2009, 17.