Dienstag, 17. September 2013

Haben Katholiken die Wahl?

Nein, jetzt wird es nicht parteipolitisch. Aber angesichts der Möglichkeit, durch die Stimmabgabe am 22. September einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments zu nehmen, beschäftigt mich dieser Tage wieder einmal die Frage nach dem Nebeneinander zweier Organisations- und Beteiligungssysteme im Leben katholischer deutscher Staatsbürger.
Als Bürger herausgefordert, sich zu entscheiden zwischen verschiedenen Möglichkeiten, wie das demokratische Miteinander gestaltet werden soll – als katholischer Christ weitgehend ungefragt mit pastoralem Personal, Kirchenleitung und Vorgehen konfrontiert.

Natürlich lässt sich die Schärfe relativieren, denn auch innerkirchlich gibt es Räte und Gremien, die zur Wahl stehen, um wenigstens teilweise mitgestalten zu können – und in der Politik wiederum entsteht oft der Eindruck, dass es immer dieselben Gesichter sind, die da diskutieren – und dass dabei die kleine Stimme eines Einzelnen wenig Relevanz hat.

Und doch besteht ein Systemunterschied. Demokratisches Selbstverständnis ist nicht selbstverständlich für den Binnenraum der Kirche. Angesichts der gesellschaftlichen Logik, in der sich mündige Christen verorten und zu Hause fühlen, wird demokratisches Vorgehen aber vielerorts als selbstverständliches Procedere erwartet. Im kleinen Rahmen von Jugend- oder Verbandsarbeit und auch auf pfarrlicher Ebene wird oft praktisch-demokratisch agiert. Aber darüber hinaus sind wir Katholiken normalerweise nicht gefragt.

Und wer das Gefühl hat, nicht gefragt zu werden oder nicht mitgestalten zu können, hilft sich oft anders. (Wobei das fehlende Gefühl, tatsächlich mitzugestalten, ja wahrscheinlich auch ein Grund für die geringer werdende Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen ist.)
Die Wahrnehmung jedenfalls ist zumeist: ich habe die Wahl in die Kirche zu gehen oder eben nicht (mehr) zu gehen. Aber ist das die ganze Wahl, die ich habe? Wie gesagt, manche helfen sich auf diese Weise: Weggehen aus kirchlichen Strukturen ist beliebt – der Kirchenaustritt ist spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts salonfähig. Auch inneres Exil und Resignation sind häufig in der Kirche – brav die Kirchensteuern zahlen, sich aber nicht mehr sehen zu lassen scheint eine einfache und moralisch vertretbare Lösung zu sein.

Was ließe sich tun? Natürlich kann nicht über die Gottheit Jesu, den Sinn kirchlicher Ämter oder andere Glaubensfragen nach Mehrheitsprinzip entschieden werden. 

Doch ein demokratischer Prozess, in dem Personen sich wechselseitig anerkennen als Subjekte mit gleicher Freiheit,1 einer Freiheit, die sie im Gespräch miteinander verantwortungsvoll einsetzen können, ein solcher Prozess, in dem in ebendieser Verantwortung auch Entscheidungen getroffen werden können und nicht nur Empfehlungen und Handreichungen, wäre eben ein echtes Wagnis.

Er wäre mehr als ein Gesprächsprozess, in dem es um „eine vertiefte Klärung und Vergewisserung“ auf „Gesprächs- und Begegnungsforen“2 geht. Die Charismen des Heiligen Geistes würden zusammen mit der gleichen Würde aller Gotteskinder aufleuchten. Die Zumutung der geteilten Verantwortung würde lebendig und die ewigen Meckerer müssten zusammen mit den bisherigen Entscheidern eine Lösung finden. Entscheidungen wären zuzuordnen und in dem Sinne berechenbar, dass Verantwortung zugerechnet werden kann und von mehreren Seiten getragen werden muss. Die Gläubigen wären mehr als unmündige Schafe und die Kleriker mehr als überforderte Hirten. Dann wären die vielen Stimmen Teil der Lösung und nicht Teil des Problems
 
Denn Glaubwürdigkeit und Legitimation sind mindestens gefährdet, wo Partizipation fehlt. 
Doch wenn sich „participatio actuosa“ nicht nur auf Gottesdienste beschränkt, gläubige Christen nicht nur Zuarbeiter der Amtsträger sind und Verantwortung im Heiligen Geist übernommen werden kann, dann entsteht Kirche neu.


1 Vgl. C. Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen. Berlin 2. Aufl. 2009, 17.