Freitag, 24. Januar 2014

Ein Papst für alle?

Es findet statt: Die Gebetswoche für die Einheit der Christen. Dieses regelmäßig wiederkehrende Ereignis weckt keine medialen oder interkonfessionellen Begeisterungsstürme – meist noch nicht einmal ein paar Aufmerksamkeitsböen. Es spiegelt damit ziemlich typisch den ökumenischen Alltag für die meisten Kirchen und Gemeinschaften.


Dafür suggeriert das große öffentliche Interesse besonders an der Person des aktuellen Papstes bisweilen einen universalen Vertretungsanspruch des Christlichen durch das Oberhaupt der Katholiken - was selbstverständlich eine problematische Wahrnehmung ist. Aber es steckt ökumenisches Potenzial darin.

Schild, Wannsee, Berlin, 2014.
Papst Franziskus hat vor einiger Zeit seine programmatische Schrift "Evangelii Gaudium" (EG)1 veröffentlicht – und spricht darin auch von Neuerungen, die er für die katholische Kirche wünscht. Unter anderem träumt er von einer Grundhaltung, die "mehr der Evangelisierung der Welt als der Selbstbewahrung dient" (EG 27) und darum bereit ist, "hinauszugehen aus der eigenen Bequemlichkeit" (EG 20). Dieses anspruchsvolle Programm wendet er auch auf sich selbst und damit auf die Frage nach der "Neuausrichtung des Papsttums" (EG 32) an.
Dieser Gedanke geht zurück auf die Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" (UUS)2 von Johannes Paul II. aus dem Jahr 1995, der auch wusste, dass das Papstamt "eine Schwierigkeit für den Großteil der anderen Christen" (UUS 88) darstellt. Darum lädt er revolutionär dazu ein, "einen brüderlichen, geduldigen Dialog aufzunehmen" (UUS 96) und "eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet" (UUS 95).

Wenn Papst Franziskus dies nun wieder aufnimmt, spricht vieles dafür, sich die theologischen Überlegungen zu diesem Thema erneut anzuschauen.
In den Jahren 2005-2009 hat die lutherisch-katholische Gruppe von Farfa Sabina eine Bestandsaufnahme vorgenommen und eruiert, was das Papstamt für jene Christen bedeuten könnte, die sich auf Martin Luther berufen.3
Graffito, Kreuzberg, Berlin, 2012.
Die theologischen und praktischen Fragen wurden ebenso wie die kirchenrechtlichen Ausfaltungen beleuchtet und daraufhin abgeklopft, wo Annäherungen schon jetzt möglich sind. "In den Überlegungen hat sich herausgestellt, dass Lutheranern und Katholiken trotz aller Unterschiede im Verständnis des Papstamtes wesentliche Überzeugungen und fundamentale Übereinstimmungen gemeinsam sind, die als Ausgangspunkt einer künftigen Verständigung dienen könnten" (6)

Konkret ging es dabei v.a. um die historische Einordnung und das ökumenisch wohlwollende und "richtige" Verstehen theologischer Aussagen – sowohl Luthers "Antichrist"-Passagen als auch die Dogmatisierungen des I. Vaticanums standen hier im Zentrum. Dies kann hier nicht referiert werden, festgehalten werden kann aber zweierlei: 

a) Luthers Kritik ist, "auch wo sie ihre äußerste Schärfe erreicht, letzten Endes doch kein Grundsatzurteil, sondern eher ein Tatsachenurteil" (45), das bei sich ändernden Tatsachen revidierbar ist und auch die bisher theologisch entfalteten "Implikationen und Konsequenzen" (48) aus der göttlichen Rückbindung des Amtes unterscheiden muss von dieser Rückbindung selbst.

Graffito, Neukölln, Berlin, 2012

b) Das I. Vaticanum mit seinen Dogmen der päpstliches Unfehlbarkeit und des Jurisdiktionsprimats hat durch Ausklammerung aller anderen ekklesiologischen Fragen damit letztlich "zu einer notwendig defizienten Aussage über den Primat [geführt], die durch eine adäquate Darlegung der katholischen Ekklesiologie ergänzt und abgewogen werden muss." (106) Dies ist im II. Vaticanum durch eine neue Akzentuierung der Ekklesiologie in Einbindung des Papstamtes in die Kollegialität der Bischöfe zu Teilen geschehen.

Genannt werden auch drei Gefahren bezüglich der kirchenrechtlichen Ausgestaltung des Papstamtes (150):
a) eine "maximalistische Interpretation der Beschlüsse des I. Vaticanums", wodurch es zu einer Verkürzung der theologischen Linie des II. Vaticanums kommen würde.
b) eine "positivistische Interpretation des Rechtes" bei der sich das Recht gegenüber den Glaubensgrundsätzen verselbständigen würde.
c) ein Rechtsverständnis, "nach welchem die [kirchenrechtlichen] Normen selbst die verbindliche Lehre der Kirche aussagen würden" und dieses so mit einer Autorität aufladen würden, die ihm nicht zukommt.

Graffito, Bonn, 2012.
Neben Ausblicken in andere Konfessionen (Orthodoxe, Anglikaner, Methodisten) und Sprachräume werden auch die Entwicklungen der lehramtlichen Aussagen nach dem II. Vaticanum kritisch geprüft, die den Lutheranern sehr viel Wohlwollen und Geduld abverlangen.
Schließlich kommen die Autoren nach vielen Abwägungen und Reflexionen zu ihren Schlussfolgerungen:

a) Eine Relecture der dogmatischen Festlegungen im Sinne der Verfasser führt dazu, dass das Papstamt "seinen Charakter eines kirchentrennenden Hindernisses zwischen Lutheranern und Katholiken verloren" (266) hat, ohne dass "die gegenwärtige Gestalt des Papstamtes als angemessener Ausdruck eines unversalkirchlichen Einheitsamtes" angesehen werden muss.

b) Kirche als Gemeinschaft und "Einheit der Kirche als communio ecclesiarum" (Gemeinschaft der Kirchen) zu verstehen, würde bedeuten: "katholischerseits die Anerkennung der lutherischen Kirchen als Kirchen" und "umgekehrt lutherischerseits die Anerkennung der Gestalt der Kirche als dem Evangelium nicht widersprechend" "Dies bedeutet nicht, dass die Kirchen mit der Gestalt der jeweils anderen Kirchen einverstanden sein müssen. Aber das, was Kirche zur Kirche macht, ist als in beiden Kirchen gegeben wechselseitig anzuerkennen." (267)

c) Die Vorteile eines Einheitsamtes für alle zu entdecken ist noch eine Herausforderung. Denn die notwendige Einheit und die mögliche Vielfalt müssten gut ausgewogen sein und erfordern ein großes Maß an Vertrauen. Würde es dann ein ökumenisches Einheitsamt geben, werden diesbezüglich auch visionäre Ziele genannt:
Graffito, Berlin-Mitte, 2012.
"Ein künftiger Inhaber eines universalkirchlichen Einheitsamtes hätte, sofern die Kirchen sich auf die Einrichtung eines solchen verständigen könnten, die Kompetenz, ein Konzil einzuberufen, die Verpflichtung, für die Einheit der Kirche(n) Sorge zu tragen und sich der pastoralen Nöte aller Gläubigen anzunehmen (Hirtenamt). In Beratung und Abstimmung mit den Kirchen würde er festlegen, wann es notwendig ist, gemeinsam zu entscheiden, zu lehren und zu zelebrieren und was legitimerweise der Ortsgemeinschaft an Entscheidung, Lehre und Liturgie überlassen bleiben mag. Entscheidungen auf der universalkirchlichen Ebene sind nämlich durchaus nicht immer zur Lösung von Problemen der regionalen oder lokalen Kirchenebene geeignet." (271)

Damit schließt sich der Kreis hin zu Papst Franziskus: "Ich glaube [...] nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen. Es ist nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen." (EG 16)

Natürlich sagt er das nur über das Verhältnis zu den Ortsbischöfen der katholischen Kirche. Aber es bleibt spannend, welche Wege da möglich scheinen...



1   Papst Franziskus, Die Freude des Evangeliums. Das Apostolische Schreiben "Evangelii Gaudium" über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Freiburg i.Br. 2013.
2
   Johannes Paul II., "Ut unum sint" über den Einsatz für die Ökumene. Bonn 1995. Hg. v. Sekretatriat der DBK (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles 121.)
3
   Gruppe von Farfa Sabina, Gemeinschaft der Kirchen und Petrusamt. Lutherisch-katholische Annäherungen. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 2011. [Auch hier sind die angegebenen Ziffern Textnummern, nicht Seitenangaben!]
Ähnlich Silvia Hell in ihrer lesenswerten Zusammenfassung eines Symposions aus dem Jahr 2000: "Daß dem Papstamt eine wichtige Rolle zukommt, wird auch evangelischerseits zunehmend akzeptiert. Angesichts der weltweiten Globalisierung braucht es ein sichtbares Zeichen der Einheit." (Schlussfolgerung 6 - http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/215.html)