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Reste – nicht mehr voll
Taugliches, vom Ganzen übrig gebliebene Bruchstücke, nur gerade so
noch verwendbare Teile, nicht verkäufliche Posten aus dem hintersten
Teil des Lagers, hinausgeworfene Fetzen, Randständiges, Bodensatz,
Müll.
Reste – armselig,
verbraucht, ungewollt, liegengeblieben, ausgebrannt, problematisch,
uninteressant.
Tortenrest, Neukölln, Berlin, 2013. |
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Biblisch gibt es zwei
verschiedene Sichten auf Reste und ihre spirituell-theologischen
Ausdeutung.
Zum einen ist da der Blick
auf den „heiligen Rest“ des im Exil lebenden Volkes Israel und
seine künftige Bedeutung. Es sind jene, die ausgehalten haben und
dafür von Gott erhöht werden. „Dann
ist der Rest Jakobs inmitten vieler Völker wie der Tau, der vom
Herrn kommt […]. Unter den Nationen, inmitten vieler Völker, ist
dann der Rest Jakobs wie der Löwe unter den Tieren im Wald […]“
(Mi 5,6f). In dieser Perspektive ist es nicht der Rest im oben
beschriebenen Sinne, sondern die Verdienten und Brauchbaren bekommen
nun einen Lohn zugesprochen. Wer gut ist, gehört dazu: „ein
Rest
kehrt um zum starken Gott, […] nur ein Rest von ihnen kehrt um.“
(Jes 10,21f)
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Die
andere Sicht, graduell von der ersten abgestuft, ist geprägt von
einer Verschiebung hin zum Tun Gottes am unwürdig-geheiligten Rest:
„Ich mache die Hinkenden zu einem heiligen Rest und die
Schwachen zu einem mächtigen Volk.“ (Mi 4,7) Gott selbst
sammelt seines Volkes Reste wieder, um vor der Welt ein Zeichen zu
setzen. Auch für Paulus gibt es aus spezifisch christlicher
Perspektive „einen Rest, der aus Gnade erwählt ist“ (Röm
11,5) im Volk Israel.
4
Die
Praxis Jesu ist analog zum Tun eines solchen, aus Gnade berufenden
Gottes: „Die Vorliebe Jesu galt auffallend oft den sogenannten
einfachen Leuten, den Unbedeutenden und Machtlosen. […] In
Menschen, die wie Abfall behandelt wurden, konnte er Kostbares
entdecken. […] Im Abfall entdeckt er Wunderbares, im Verworfenen
Zauberhaftes, im Verstummten und Erstickten die geheimnisvolle
Schönheit einer noch nie gehörten Poesie.“1
Drastisch gesagt: Jesus ist ein kreativer Lumpensammler.
Drastisch gesagt: Jesus ist ein kreativer Lumpensammler.
Teresa Murak, Lappenrest [Ausschnitt aus: Ścierki wizytek], Zachęta, Warschau, 2013. |
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Auch
die ersten Gemeinden werden von Paulus so beschrieben: „Da sind
nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht
viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt
[…], und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt […]. Und das
Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was
nichts ist […].“ (1Kor 1,26ff) Gott scheint ein Faible zu
haben für scheinbar unnütze Reste.
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Ähnliches
treibt viele KünstlerInnen des 20. Jahrhunderts. Auch sie sprechen
weggeworfenen und aufgegebenen Dingen neuen Wert zu. Meret Oppenheim
nennt solche Dinge „Fragmente
eines alten Palastes“, die sie für ihre
Objekte und Skulpturen nutzt.
Durch einen
anderen, einen weiter gefassten Blick auf das Übriggebliebene hat
auch Kurt Schwitters „im Abfall, im
Verworfenen und Unscheinbaren etwas Außerordentliches wahrgenommen.
Er hat durch seine Kunst den Blick dafür geöffnet, dass sich in all
dem eine Poesie verbirgt, eine bis dahin nicht erkannte Schönheit.“2
In gewissem Sinne beschreiten KünstlerInnen auf diese Weise den Weg
Gottes, wenn sie sich mit den „Zivilisationsmüll“ verwerten und
„Alten Resten eine Chance“
geben: „Die
Bibel beschreibt den Weg Gottes als Wendung zu den Armen. Sie
beschreibt Gottes Weg als Menschwerdung, als Eingehen in Schwäche
und Verwundbarkeit. Und sie beschreibt ihn als Durchgang durch Leid
und Tod in eine neue Schöpfung. Die Kunst der Gegenwart wie des 20.
Jahrhunderts hat wesentlich mit diesen Kernaussagen zu tun. Sie hat
sich selbst auf diesen Weg gemacht. Das zeigt sich jedoch auf eine
völlig neue und überraschende Weise. Den Künstlerinnen und
Künstlern ist es zu verdanken, dass inmitten einer Konsum- und
Erfolgsgesellschaft dem als gering und wertlos Geltenden Würde und
Ansehen geschenkt wird.“3
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Damit ist
schließlich der gesellschaftliche Aspekt angesprochen. Auch hier
gibt es seit den letzten Jahrzehnten die Tendenz zur
Wiederverwertung: allerorten werden „Nachnutzungskonzepte“
erstellt, mit Recycling von Zahngold bis Altglas lässt sich Geld
verdienen und selbst der energetisch ausgeschlachtete Dung führt
Altes immer neu in den ewigen Kreislauf ein.
Blumenrest, Neukölln, Berlin, 2013. |
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Und der Mensch? „Würde und Ansehen“? Der ökonomische Blick trübt die Empathie.4 Unter dem Eindruck wachsender ökonomisch-sozialer Ungleichheit und Automatisierung der Arbeitsprozesse erscheinen manche Menschen(gruppen) entbehrlich: Sie „kämpfen darum, nützlich zu bleiben, wesentlich zu werden, im Wettbewerb zu bestehen, den drohenden Absturz in die soziale Irrelevanz und materielle Unterversorgung zu vermeiden.“5
Und der Mensch? „Würde und Ansehen“? Der ökonomische Blick trübt die Empathie.4 Unter dem Eindruck wachsender ökonomisch-sozialer Ungleichheit und Automatisierung der Arbeitsprozesse erscheinen manche Menschen(gruppen) entbehrlich: Sie „kämpfen darum, nützlich zu bleiben, wesentlich zu werden, im Wettbewerb zu bestehen, den drohenden Absturz in die soziale Irrelevanz und materielle Unterversorgung zu vermeiden.“5
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Wer
allerdings prekär lebt und abgehängt ist, bleibt auf Almosen
angewiesen. Das biblische Beispiel des armen Lazarus illustriert die
Hoffnung auf die Reste des reichen Mannes: „Er
hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen
herunterfiel.“ (Lk 16,21)
Dies bleibt
ihm ebenso entzogen wie soziale Anerkennung und gesellschaftliche
Teilhabe, die wichtigen menschlichen „Währungen“, die im
Sozialstaat mehr und mehr in den Blick rücken.
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Die Ausschließlichkeit von Nützlichkeit und Brauchbarkeit scheinen, auf das Vorige zurückgreifend, nicht Gottes Maßstab zu sein. Gott ist nicht nur ein Resteverwerter, der noch etwas rausholen will. Vielmehr hat er einen liebevollen, nicht nur entrümpelnden oder ausschlachtenden Blick auf Dinge und Menschen. Das Unscheinbare, Verlorene und Verbrauchte birgt mehr in sich, birgt Wert und Würde.
Die Ausschließlichkeit von Nützlichkeit und Brauchbarkeit scheinen, auf das Vorige zurückgreifend, nicht Gottes Maßstab zu sein. Gott ist nicht nur ein Resteverwerter, der noch etwas rausholen will. Vielmehr hat er einen liebevollen, nicht nur entrümpelnden oder ausschlachtenden Blick auf Dinge und Menschen. Das Unscheinbare, Verlorene und Verbrauchte birgt mehr in sich, birgt Wert und Würde.
Vielleicht
wäre das der Beginn einer Restspiritualität.
1 G.
Schörghofer, Drei im Blau. St. Pölten, Salzburg, Wien 2013, 49.
2 Ebd.,
50. „Kurt
Schwitters war der erste Künstler, der systematisch die von anderen
weggeworfenen Dinge in Kunstwerke verwandelte. Er verwendete
Papierabfälle aller Art, verworfene Probedrucke, Drucksorten,
Plakate und Zeitschriften. Sie wurden nicht übermalt, sondern
beschnitten und so zusammengeklebt, dass sich eine Gestalt ergab,
ein poetisches Gebilde. Auch aus wirr erscheinenden Wörtern und
Buchstaben schuf Schwitters sprachliche Gebilde von wunderbar
poetischer Kraft.“ (Ebd., 48)
3 G. Schörghofer, Biennale 2013:
Alter Stuhl und neue Kunst. In: StdZ, 12/2013, 793-794; hier: 794.
4 Vgl.
I. Trojanow, Der überflüssige Mensch. St. Pölten, Salzburg, Wien
4. Aufl. 2013, 77, 85.