Samstag, 4. Januar 2014

Liebeswort und Liebestat. Oder: Goethe zu Weihnachten

Ein fundamentaler christlicher Glaubenssatz lautet: Die Welt führt sich zurück auf einen vernünftig-sinnvollen Willen.
Darum ist nach dem Johannesevangelium das, woraus die Welt hervorgeht, der Logos Gottes (altgriechisch: Wort, Sinn, Rede oder Vernunft).
Nicht Tohuwabohu, blindes Chaos und physikalische Zwangs- bzw. Zufälligkeit, sondern „Logos“.

Wie am Weihnachtstag wird der biblische Hymnus, der den Logosbegriff einführt, auch am heutigen Sonntag gelesen: „Am Anfang war das Wort“ (Joh 1,1).

Sofa, Neukölln, Berlin, 2013.
Hier stock' ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen ...1

Goethes Faust stößt wie viele nach letzten Gründen forschende Menschen auf die bekannte Urfrage – Was hält die Welt im Innersten zusammen?2 
 
Trotz der Vielfalt an Bedeutungen von „Logos“ führt der seinerseits versuchte Ausweg - „Im Anfang war die Tat“3 - nicht zum christlichen Gehalt, wenngleich das, was der Hymnus anschließend sagt, genau auf die dem Anfang „logisch“ folgende Tat Gottes zielt:

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14)

Angesichts der weitgehenden Trost- und voraussichtlichen Zukunftslosigkeit kirchlichen Gemeindelebens in Westeuropa frage ich mich bisweilen: Was faszinierte die alte Welt, was fasziniert heute Chinesen oder Inder am Christentum? Große Kulturen mit eigener langer und beeindruckender Geschichte – was spricht sie an der christlichen Botschaft an?

Algen, Jena, 2013.
Es könnte, glaube ich, diese doppelte Botschaft sein, die sich aus dem oben Gesagten ergibt:

Wir brauchen das numinos-anonyme Weltgeschehen nicht zu fürchten, denn es steht eine ordnende Kraft dahinter, eine Kraft, die sich zwar nicht in menschliche Worte fassen lässt, aber in Wort und Tat Kontakt aufnimmt und auch angesprochen werden kann.

Und dann: Da ist jemand, der tut etwas für uns. Und zwar nicht irgendwer, sondern genau diese innere Logik, aus der die Welt besteht, dieser Logos selbst wird aus Liebe zu einem von uns, um uns nahe zu sein und zu befreien.

Daraus wächst, was in der Antike eine umwerfend neue Kultur des Miteinanders, der Solidarität und Hingabe aus der Mitte der religiösen Überzeugungen heraus wurde.

Denn dieses Liebeswort Gottes existentiell ernst zu nehmen heißt es aufzunehmen – um es dann, nun selbst Kind Gottes geworden (vgl. Joh 1,12), wiederum in die eigene Liebestat münden zu lassen.


1   Faust I, Vers 1225ff.

2   Vgl. ebd., 382f.


3   Ebd., 1237.